[fessenheim-fr] Fessenheim-Artikel im Schweizer Tagesanzeiger

Klaus Schramm klausjschramm at t-online.de
Do Dez 22 11:31:03 CET 2016


Hallo Leute!

Hier ein Artikel aus dem Schweizer Tagesanzeiger
...enthält kaum was Neues, wärmt aber gehässige
Vorurteile auf (Bsp: "Anders als in Deutschland
und der Schweiz ist der Glaube an die Zukunft der
Atomindustrie in Frankreich noch weitgehend
ungebrochen." und "...als die paar Abstellwilligen
(...) in der Regierung Hollande.")

Ciao
    Klaus Schramm


www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/standardewiges-fessenheim/story/17388280

Ewiges Fessenheim

Frankreichs Präsident François Hollande versprach, das umstrittene AKW 
Fessenheim vom Netz zu nehmen. Seine möglichen Nachfolger aber wollen 
davon nichts wissen.

Abgestellt sind die zwei Reaktorblöcke des AKW Fessenheim, gelegen am 
Rhein, 35 Kilometer unterhalb von Basel, zurzeit zwar schon. Aber Freude 
darüber mag bei den Atomgegnern im Dreiländereck am Oberrhein nicht 
aufkommen. Denn abgeschaltet sind die Reaktoren nur so lange, bis der 
Stromgigant Electricité de France (EDF), der Betreiber des AKW, den 
Nachweis für den sicheren Weiterbetrieb erbringt. Für den einen der 
Blöcke soll dies schon im Januar möglich sein, der zweite soll im März 
2017 wieder ans Netz gehen.

Die französische Atomaufsichtsbehörde ASN hatte nach der Feststellung 
möglicher Sicherheitsmängel den Stopp der zwei Reaktoren angeordnet. Zum 
einen hatte man in Dampferzeugern erhöhte Carbonrückstände festgestellt, 
welche die Stabilität von Stahlteilen des Reaktors beinträchtigen 
können. Zum anderen waren fehlerhafte Stahlteile entdeckt worden, die 
vor Jahren in der zum Atomkonzern Areva gehörenden Stahlschmiede Creusot 
Forge hergestellt worden waren. Dieselben Mängel fand man übrigens auch 
im AKW Beznau.

Hollandes klares Wahlversprechen

«Jetzt haben wir den Beweis, dass es auch ohne Fessenheim geht», sagt 
André Hatz, der Sprecher der Organisation Stop Fessenheim. Für die 
Regierung Frankreichs soll die Betriebspause d i e Gelegenheit sein, die 
Reaktoren für immer abzuschalten, meint er. Tatsächlich stillgelegt wird 
Fessenheim aber wohl noch lange nicht, obwohl Staatspräsident François 
Hollande dies 2012 vor seiner Wahl versprochen hatte. Er werde das 1977 
ans Netz gegangene, dienstälteste und öffentlich am meisten kritisierte 
AKW des Landes bis Ende seiner Amtszeit vom Netz nehmen, präzisierte er 
später. Hollande sicherte sich mit diesem Versprechen die Gunst der 
französischen Grünen.

Frankreichs Grüne, aber vor allem auch die Grenznachbarn im grün 
regierten Bundesland Baden-Württemberg und in Basel zweifeln schon seit 
Jahren an der Sicherheit des pannenanfälligen Altkraftwerks, das zudem 
noch in einem Erdbeben­risikogebiet steht. Die Nachbarn auf der 
deutschen Rheinseite haben guten Grund, sich zu sorgen: Ein Störfall mit 
Radioaktivitätsaustritt würde sie besonders treffen, liegt doch der 
Meiler unmittelbar an der Grenze zum Badischen. Aber auch im Elsass ist 
ein Teil der Bevölkerung in den letzten Jahren unruhig geworden: 
Regelmässig finden Kundgebungen von Fessenheim-Gegnern aus allen drei 
Ländern statt.

Doch die Opposition von jenseits der Grenze ist im Elsass nicht immer 
willkommen: In dem im Vergleich zu anderen französischen Regionen 
relativ wohlhabenden Département du Haut-Rhin verdienen Tausende ihr 
Geld jenseits der Grenze, in Deutschland oder in der Schweiz. Seit 
Jahren müssen sie feststellen, dass der Motor der Wirtschaft bei den 
Nachbarn brummt, während er bei ihnen stottert. Die Arbeitslosigkeit 
liegt im Elsass mit rund 10 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in 
Basel und im Badischen. Das drückt auf die Moral der stolzen Franzosen, 
die von ihren Politikern jahrzehntelang immer nur die halbe Wahrheit zur 
wirtschaftlichen Lage ihres Landes gehört haben.

Zartbesaitete Elsässer

Als in der Sitzung der Commission locale d’information et de 
surveillance (Clis), einem aus elsässischen und deutschen Regional- und 
Lokalvertretern zusammengesetzten AKW-Informationsgremium, die deutsche 
Seite im Oktober ein Fessenheim-kritisches Gutachten aus 
Baden-Württemberg einbrachte, heulte der Bürgermeister der 
AKW-Standortgemeinde auf und verliess unter Protest den Sitzungssaal. 
«Fessenheim zu schliessen, ist eine Dummheit», polterte auch Michel 
Sordi, Bürgermeister im nahen Cernay und Abgeordneter der Liberalen in 
der Pariser Nationalversammlung. Es brauchte danach diplomatische Worte 
der Freiburger Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer, um die sonst so 
gern beschworene deutsch-französische Freundschaft am Oberrhein zu 
retten und die zartbesaiteten Elsässer AKW-Befürworter wieder mit ihren 
deutschen Gesprächspartnern zu versöhnen.

Die Episode zeigt, wie angespannt seit der Abstellankündigung des 
sozialistischen Präsidenten über Fessenheim debattiert wird und wie 
energisch sich vor allem die im Staatsbetrieb Electricité de France 
komfortabel installierten Gewerkschafter für ihr Kraftwerk ins Zeug 
legen. Die zahlreichen und lauten Verteidiger von Fessenheim erwiesen 
sich jedenfalls als hartnäckiger und effizienter als die paar 
Abstellwilligen in den lokalen Anti-AKW-Organisationen und in der 
Regierung Hollande.

Der Standortregion drohe mit der Stilllegung ein wirtschaftliches 
Desaster, warnen sie. Arbeitsplätze und hohe Steuereinnahmen gingen 
verloren, so die Klage. Kein Wunder, zeigte auch die EDF keinerlei Gehör 
für die Stilllegungspläne von Hollande und Royal, obwohl sich der 
nationale Strommonopolist zu 85 Prozent in Staatsbesitz befindet und die 
Regierung im Konzern das Sagen haben sollte. Widerwillig und wohl nur 
aus finanziellen Gründen kam es diesen Sommer immerhin bereits zu 
Entschädigungsverhandlungen zwischen der Umweltministerin und der 
Betreiberfirma EDF. Von 400 Millionen Euro ist derzeit die Rede, die bei 
einer Stilllegung aus der Staatskasse an den finanziell angeschlagenen 
Staatsbetrieb fliessen sollen. In Zeiten, in denen jede im französischen 
AKW-Park produzierte Kilowattstunde nur mit Verlust im freien 
europäischen Strommarkt verkauft werden kann, ist das für die EDF kein 
schlechter Deal.

Bis Ende Jahr soll der Stromkonzern dafür im Gegenzug vorerst einmal ein 
Gesuch für die Stilllegung einreichen, so die Ankündigung Royals vor 
einigen Wochen. Bis heute ist das allerdings nicht geschehen. «Die 
spielen wohl jetzt einfach fünf Monate auf Zeit und warten auf die 
Wahlen», glaubt Ruedi Rechsteiner, Energiefachmann, Alt-SP-Nationalrat 
und Vizepräsident des Trinationalen Atomschutzverbandes (TRAS), der seit 
Jahren auch juristisch für die Schliessung von Fessenheim kämpft. Und 
sollte die EDF wider Erwarten doch noch vor Jahresende aktiv werden, ist 
das Gesuch wohl nicht mehr als ein Papier, das der Favorit für die 
Präsidentschaftswahlen vom April umgehend in den Papierkorb werfen wird: 
François Fillon, der aussichtsreiche Kandidat der aktuellen bürgerlichen 
Opposition, hat wiederholt angekündigt, dass er Fessenheim nicht 
abstellen werde.

Ein Hindernis für den unbeschränkten Weiterbetrieb des AKW am Rhein hat 
die französische Umweltministerin allerdings errichtet: Im neuen 
nationalen Energiewendegesetz hat sie verankert, dass der Anteil 
Atomstrom an der Landesproduktion bis 2025 von derzeit über 70 auf 50 
Prozent sinken muss. Bei der Inbetriebnahme des neuen AKW in Flamanville 
am Ärmelkanal müsste deshalb mindestens ein kleineres altes Werk des 
EDF-Parks stillgelegt werden. Das könnte Fessenheim sein. Die 
Fertigstellung von Flamanville verzögert sich aber seit Jahren, die 
Kosten explodieren. Im besten Fall Ende 2018, eher wohl aber 2019 oder 
2020 werde der inzwischen 10,5 Milliarden Euro teure neue Reaktor aus 
dem Hause des Atomkonzerns Areva ans Netz gehen, sagen Branchenkenner. 
Erst dann könnte Fessenheim oder auch ein anderes AKW tatsächlich vom 
Netz genommen werden.

Vorwärts ins nächste Abenteuer

Ohne Einverständnis der EDF wird wohl auch das nicht geschehen. Der 
Stromkonzern hält unter seinem neuen, von der Regierung vor einem Jahr 
eingesetzten Chef Jean-Bernard Lévy weiter nichts von der gesetzlich 
vorgeschriebenen Energiewende weg vom Atomstrom. Im Gegenteil: In diesem 
Jahr hat die EDF mithilfe neuer Staatsdarlehen in der Höhe von 3 
Milliarden Euro die Reaktorsparte des Nuklearkonzerns Areva übernommen 
und damit das ins Schlingern geratene Prestigeunternehmen französischer 
Technologie vor dem Bankrott gerettet. Gleichzeitig hat man mit 
Grossbritannien und chinesischen Partnern den Bau von zwei neuen 
Areva-EPR-Reaktoren im britischen Hinkley Point vereinbart: Ein 
23-Milliarden-Euro-Geschäft, das der französischen Atomtechnologie das 
Überleben sichern soll.

Anders als in Deutschland und der Schweiz ist der Glaube an die Zukunft 
der Atomindustrie in Frankreich noch weitgehend ungebrochen. Nicht nur 
fast alle konservativen Politiker, auch die Gewerkschaften und viele 
Sozialisten verteidigen trotz Tschernobyl und Fukushima die 
Nukleartechnologie und die Atomstrompolitik der EDF, so auch der 
parteilinke Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, der sich um die 
sozialistische Präsidentschaftskandidatur bewirbt. Klar AKW-kritisch 
sind nur die Grünen, die sich mit internen Flügelkämpfen aber ständig 
selber schwächen.

Am Ende zahlt der Steuerzahler

Gegen eine in Staat und Gesellschaft bestens verankerte, eingeschworene 
nationale Atomgemeinde haben die Grünen nichts zu melden. An der Spitze 
dieser informellen, intransparenten Atomallianz stehen EDF und Areva. 
Die beiden mächtigen Staatskonzerne verfügen über verlässliche 
Seilschaften in Parteien, Regierungen, Verwaltungen, Medien und den 
technischen Wissenschaften und halten gut dotierte Posten in den 
staatlichen Gremien und der Nuklearwirtschaft besetzt. «Traurig ist, 
dass auch die Gewerkschaft CGT in Frankreich ein zentraler Teil dieser 
undemokratischen Allianz ist», sagt Axel Mayer, Geschäftsführer bei der 
Natur- und Umweltorganisation Bund in Freiburg, der seit Jahren für die 
Schliessung von Fessenheim kämpft. «Umso mehr, als der Einfluss der 
Gewerkschaft auf die Sozialisten sehr stark ist.»

Von Fessenheim, atomaren Seilschaften und den riesigen Finanzproblemen 
von EDF und Areva ist im anlaufenden französischen Wahlkampf allerdings 
kaum die Rede, der energiepolitische Sachverstand bei den meisten 
Politikern entsprechend. Regierungen und Minister kommen und gehen, die 
EDF bleibt ein Staat im Staat, der sich selbst regiert. «Too big to 
fail» gilt beim grössten Stromversorgungsunternehmen Europas mit 39 
Millionen Kunden in besonderem Mass. Und sollte die Rechnung nicht 
aufgehen, ist das für die Konzernkapitäne nur halb so schlimm: Als 
Auffangnetz für ihre nuklearen Abenteuer dienen wie bis anhin in jedem 
Fall die Steuerzahler und die Stromkonsumenten.



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