[fessenheim-fr] Fwd: Vor vierzig Jahren: Bauplatzbesetzung Kaiseraugst
Klaus Schramm
klausjschramm at t-online.de
Mo Mär 30 17:08:21 CEST 2015
From: BUND-Regionalverband Südlicher Oberrhein <bund-8728013 at versanet.de>
Das Ende von Kaiseraugst war der Anfang der Atomlobby
www.schweizamsonntag.ch/ressort/menschen/das_ende_von_kaiseraugst_war_der_anfang_der_atomlobby/
Von Pascal Ritter
Samstag, 28. März 2015 23:27
Politisierten Bevölkerung und Stromwirtschaft: Besetzer auf dem Gelände
des einst in Kaiseraugst geplanten Kernkraftwerks. Foto: RDB/SI
Vor 40 Jahren wurde der AKW-Bauplatz besetzt. Recherchen zeigen: Ein
SP-Bundesrat empfahl der Energiebranche die PR-Agentur Farner. Es folgte
eine Propagandaschlacht.
Die schlimmsten elf Wochen der Schweizer Kernkraftbetreiber begannen vor
40 Jahren. Am 1. April 1975 stoppten Aktivisten die Bauarbeiten für das
in der Fricktaler Gemeinde Kaiseraugst geplante Atomkraftwerk. Sie
besetzten das Areal und bauten eine Zeltstadt. Ihr Ziel: den Bau des
Werks verhindern. Die Atomgegner erfuhren grosse Unterstützung aus der
Bevölkerung. Bauern aus der Region brachten Lebensmittel für das
Protestdorf, im ganzen Land solidarisierten sich Menschen. Am 6. April
pilgerten 16 000 Personen auf das Gelände. Zwei Wochen später
demonstrieren 18 000 in Bern. Der Protest gegen einzelne
Kernkraftprojekte war zur Volksbewegung geworden. Die Besetzung erhielt
damals in den Medien viel Beachtung und ist gut erforscht. Kaum bekannt
ist, was sich zur gleichen Zeit auf den Teppichetagen der
Elektrizitätswirtschaft und in den Sitzungszimmern der Behörden abspielte.
Recherchen in Archiven der Energieszene und im Bestand der PR-Agentur
Farner im Archiv für Zeitgeschichte der ETH zeigen nun: Kaiseraugst
markiert den Beginn des Atomlobbyings in der Schweiz. Denn der Protest
war für die Projektanten des Kernkraftwerks Kaiseraugst und die ganze
Energiebranche ein Schock. Sie wurden von der Bewegung überrumpelt. Und
das aus drei Gründen:
> Ende der Euphorie: Die Kritik an der Atomenergie war neu. Wenige
Jahre zuvor herrschte noch Atomeuphorie. Ford kündigte in den USA ein
nuklearbetriebenes Auto an, und die ETH plante unter der Stadt Zürich
ein Atomkraftwerk. Selbst als im Januar 1969 im waadtländischen Lucens
ein Versuchsreaktor explodierte, blieb der Schock aus. Die AKW in Beznau
und Mühleberg gingen ohne grössere Proteste ans Netz. Dann kippte die
Stimmung. Plötzlich blockierten Tausende das Projekt in Kaiseraugst.
> Angst vor Domino-Effekt: Bundesrat und Elektrizitätsunternehmer waren
überzeugt: Ohne Atomenergie kommt das Blackout. Bis Mitte der 70er-Jahre
nahm der Stromverbrauch in der Schweiz stark zu, Politik und
Energiewirtschaft rechneten weiterhin mit starkem Wachstum. Der
Bundesrat liess Notfallpläne für Stromengpässe entwerfen. Die Blockade
in Kaiseraugst, so die Angst von Bundesrat und Stromwirtschaft, könnte
den Bau weiterer Anlagen gefährden.
> Noch keine Lobby: Die Medien standen auf der Seite der Aktivisten.
Der «Blick» titelte «Atomangst», und die «Tagesschau» brachte die Bilder
der bunten Besetzung in die Wohnzimmer der Nation. Die Atomkraft hatte
noch kaum eine Lobby. Die einzige Organisation, die für Kernenergie
warb, war die Schweizerische Vereinigung für Atomenergie (SVA). Sie
verstand sich – im Gegensatz zu ihrer Nachfolgeorganisation, dem
Nuklearforum – als Informationsdrehscheibe für Fachkräfte. Nach Beginn
der Besetzung wurde sie von den Journalisten heillos überrannt.
Plötzlich interessierten sie sich für jedes Atomereignis im In- und
Ausland. Auch die Öffentlichkeitsarbeit des mächtigen Verbandes
Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE) steckte noch in den
Kinderschuhen: ein paar Inserate hier, eine Themenzeitung dort.
In dieser Krise empfahlen sich PR-Strategen aus Zürich als Retter. Die
Agentur des umtriebigen Werbers Rudolf Farner hatte sich mit
Politkampagnen einen Namen gemacht. Mitinhaber Gustav Däniker meldete
sich während der Besetzung bei der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG mit den
Worten: «Wie lange wollt ihr hier noch gvätterle?» und generierte so
einen Auftrag.
Das PR-Büro entwarf eine Strategie mit dem Ziel, das Kernkraftwerk
Kaiseraugst in einem positiven Umfeld zu bauen. Zu diesem Zweck sollte
ein «glaubwürdiges Gremium von Politikern und Wissenschaftern» gegründet
werden, das für den Bau des Kernkraftwerks wirbt. Dies geschah am 11.
August 1975: In Aarau wurde das Energieforum Nordwestschweiz gegründet
mit FDP-Ständerat Willy Urech als Präsidenten.
Mit Veranstaltungen und Zeitungsinseraten, die von der Kernkraftwerk
Kaiseraugst AG finanziert wurden, versuchte das Forum, Bedenken gegen
das Projekt auszuräumen. Kaiseraugst war aber längst zur nationalen
Frage geworden. Der damalige Energieminister Willi Ritschard, SPler und
überzeugter Kernkraftbefürworter, verhandelte direkt mit den Besetzern.
Gleichzeitig liefen intensive Gespräche innerhalb der Energiebranche. Am
24. April traf sich Ritschard mit der Verbandsspitze des VSE. Der
Energieminister verurteilte die Besetzung als «illegal». Kaiseraugst
müsse unbedingt gebaut werden. Und Ritschard rief den VSE dazu auf, mehr
für das Image der Kernenergie zu tun. «Gezielte Öffentlichkeitsarbeit»
sei nötig. Und zwar nicht nur in Form von «sachlicher Aufklärung»,
sondern emotional. Und Ritschard empfahl dem VSE, ebenfalls die
PR-Agentur Farner zu engagieren.
Der VSE befolgte den Rat, gründete zusammen mit der SVA und der
Industrie (BBC und Sulzer) ein inoffizielles Komitee mit dem Namen
«Aktion Kernenergie Schweiz» und liess sich von Farner ein umfassendes
und langfristiges Kommunikations-Konzept erarbeiten. Dies war auch
nötig. Denn die Besetzer verliessen zwar nach der Zusicherung eines
Baustopps und weiteren Verhandlungen mit dem Bundesrat am 11. Juni das
Gelände in Kaiseraugst, sie waren während der elf Wochen Besetzung aber
nicht untätig geblieben und begannen bereits mit der
Unterschriftensammlung für eine nationale Volksinitiative. Sie sollte
den Bau neuer AKW an die Zustimmung der Anrainerkantone knüpfen. Das
hätte den Bau neuer Werke massiv erschwert. Und die Leute
unterschrieben. Die Initiative kam vorzeitig zustande. Zudem gründeten
die Atomgegner munter weitere Sektionen.
In dieser Frage harzte es auf der Seite der Atomlobby. Auf nationaler
Ebene fehlte ein glaubhafter Absender für ihre Botschaften.
Stromkonzerne und Industrie wollten nicht als solche auftreten. Das wäre
nicht gut angekommen. Ein Gremium aus Politikern und Wissenschaftern
musste her. Doch die Gründung eines solchen stellte sich als einiges
schwieriger heraus als in der Region Kaiseraugst.
Vor den Nationalratswahlen im Herbst wollten sich die Politiker nicht
mit dem Thema Atomenergie die Finger verbrennen. Am meisten sträubten
sich die Sozialdemokraten. Deren Bundesrat kämpfte zwar in vorderster
Linie für die Kernkraft, ihre Basis war aber mehrheitlich dagegen.
Entsprechend schwer waren sie für eine atomfreundliche Lobby zu
gewinnen. Im März 1976 gelang es trotzdem, sie in ein «Energieforum
Schweiz» zu integrieren, doch das hatte seinen Preis. Das Energieforum
weigerte sich, die von der Agentur Farner längst entworfenen Inserate zu
unterzeichnen. Es kam zur Entfremdung zwischen dem Forum und dessen
eigentlichen Initiatoren. Als Alternative wurde die Schweizerische
Informationsstelle für Kernenergie gegründet, die fortan als Absender
für die Botschaften der Energieunternehmen fungierte.
Die PR-Agentur Farner entwickelte im Auftrag der «Aktion Kernenergie»
eine umfassende PR- und Lobbyingkampagne. Sie schaltete Inserate,
intervenierte auf Redaktionen und versuchte positive Botschaften über
die Atomenergie überall zu platzieren. Auf atomkritische Berichte
reagierte sie mit Leserbriefen. Schliesslich engagierte sie sich im
Abstimmungskampf gegen die Atominitiative. Und dies mit Erfolg. Am 18.
Februar 1979 wurde sie von Volk und Ständen abgelehnt, wenn auch knapp.
Die Wut der Atomgegner über die Propagandaflut der Atomlobby war riesig.
Militante Aktivisten sprengten tags darauf einen Informationspavillon
der Kernkraft Kaiseraugst AG. Der Abstimmungskampf wurde so heftig
geführt, dass er gegen «die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze
der Demokratie» verstiess, wie Journalist Hans Tschäni nach der
Abstimmung schrieb. Seine Kritik, die er später im Buch «Wer regiert die
Schweiz?» wiederholte, richtete sich auch gegen den starken Einfluss der
Atomlobby auf das Abstimmungsresultat. Der Blick in die Archive
bestätigt seine damalige These: Auch die Elektrizitätswerke – die zum
grossen Teil im Besitz der Kantone waren – engagierten sich im
Abstimmungskampf, und das mit bundesrätlichem Segen.
Wie viel die inoffizielle Aktion der Energiewirtschaft zur Niederlage
der Atomgegner beitrug, ist schwer zu schätzen. Der Effekt dürfte dank
Anti-Lobby-Reflex eines Teils der Stimmenden abgeschwächt worden sein.
Zudem engagierten sich die Parteien und Verbände sowohl auf Seite der
Gegner als auch der Befürworter sehr stark. Fest steht, dass die
Energiewirtschaft auch mithilfe des PR-Büros Farner den Schock von
Kaiseraugst überwand und zum politischen Player wurde. Von nun an
standen sie auf der Siegerseite. Die Antiatombewegung scheiterte mit
vier weiteren Volksinitiativen (siehe weiter unten). Nur 1990 kam ein
10-jähriges Moratorium für den Bau von neuen Atomkraftwerken durch. Ein
kleiner Trost für die AKW-Gegner: Kaiseraugst blieb Planungsruine.
Entsorgt wurde sie 1988 aber erst durch eine Eingabe vom damaligen
Nationalrat Christoph Blocher.
Fukushima änderte alles. Der Bundesrat will keine neuen Werke mehr
bauen. Heute kämpft die Energieministerin gegen die Reste einer Lobby,
deren Gründung ihr Vorgänger einst anregte.
*AKW-Abstimmungen:*
1979 Atominitiative I: 51,2% Nein.
1984 Atominitiative II: 55% Nein.
1990 «Stopp dem Atomkraftwerkbau (Moratorium) 54,5% Ja.
1990 «Für den Ausstieg aus der Atomenergie»: 52,9% Nein.
2003 «MoratoriumPlus – Für die Verlängerung des Atomkraftwerk-Baustopps
und die Begrenzung des Atomrisikos»: 58,4% Nein.
2003 «Strom ohne Atom – Für eine Energiewende und die schrittweise
Stilllegung der Atomkraftwerke»: 66,3% Nein.
2011 Fukushima: Bundesrat beschliesst Atomausstieg (keine Abstimmung)
Mehr Informationen über die Mailingliste fessenheim-fr