[fessenheim-fr] Belgien: Materialermüdung in AKW

Klaus Schramm klausjschramm at t-online.de
Mi Feb 18 14:34:18 CET 2015


Hallo Leute

Hier ein bsonders brisantes Thema: Materialermüdung im
Stahl der Reaktordruckbehälter.

Ciao
    Klaus Schramm


www.linkszeitung.de/akwrdb150217liz.html

17.02.2015

Belgien: Materialermüdung in AKW
Reaktordruckbehälter weltweit betroffen?

	
	Risse im Stahl
Brüssel (LiZ). Bei der Untersuchung der Reaktordruckbehälter der 
belgischen Atom-Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 wurde weitere Tausende 
Risse festgestellt. Zwei renommierte Materialwissenschaftler warnen vor 
der bislang von offizieller Seite möglicherweise unterschätzen 
Materialermüdung durch den Neutronen-Beschuß. Greenpeace fordert, sofort 
sämtliche 435 Atom-Reaktoren weltweit genau zu überprüfen.

Tausende neu festgestellte Risse der Reaktordruckbehälter der beiden 
belgischen Atom-Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 haben möglicherweise 
schwerwiegende Konsequenzen für sämtliche Atomkraftwerke weltweit. "Wie 
so oft bei Atomkraftwerken wurde die Tragweite des Problems 
offensichtlich verkannt," sagt Heinz Smital, Kernphysiker und 
Atomexperte von Greenpeace. "Es ist dringend notwendig, die Risse im 
Metall ernster zu nehmen als bisher und weltweit umfangreiche 
Untersuchungen durchzuführen." Greenpeace Belgien konstatiert, daß sich 
die Nuklear-Industrie nicht nur seit Jahren in einer schweren Krise 
befindet, sondern nun zudem mit ihrem Bestand an überalterten 
Atom-Reaktoren einem dramatisch steigenden Risiko gegenübersieht.

Laut Greenpeace haben (Stand Mitte 2014) die weltweit 435 kommerziellen 
Atom-Reaktoren ein Durchschnitts-Alter von 28,5 Jahren erreicht - 
ursprünglich ausgelegt für eine Betriebsdauer von 25 Jahren. 170 
Atom-Reaktoren (44 Prozent) haben bereits eine Betriebsdauer von 30 
Jahren überschritten und 39 Reaktoren sind bereits über 40 Jahre am 
Netz. Der 1969 in Betrieb genommene ältere der beiden Atom-Reaktoren des 
Schweizer AKW Beznau ist mit mittlerweile 45 Jahren der weltweit älteste.

Schon 2010 hatte der österreichische Werkstoffphysiker Professor 
Wolfgang Kromp vor der unterschätzten Versprödung des Stahls der 
Reaktordruckbehälter gewarnt. Diese Behälter, in denen sich die 
Brennstäbe mit Uran befinden, müssen hohen Drücke und Temperaturen und - 
im Falle der Schnellabschaltung - Temperaturschocks standhalten können.

Besonders kritisch beurteilt Kromp eine Schweißnaht, die rund um den 
Druckbehälter verläuft und bei hohem Druck einer hohen Materialspannung 
ausgesetzt ist. Kromp vergleicht die Wirkung einer solchen wiederholten 
Belastung mit dem Biegen eines Drahtes, der nach einer gewissen Zahl von 
Wiederholungen bricht.

Vor dem Bruch einer solchen Schweißnaht entstehen kleinste Risse an 
besonders beanspruchten Stellen. Diese Risse können sich innerhalb 
kurzer Zeit gefährlich ausweiten. Das Kühlwasser entweicht unter hohem 
Druck, die Temperatur im Inneren des Behälters steigt und die Brennstäbe 
können durchschmelzen wie dies in Harrisburg (1979), in Tschernobyl 
(1986) und in Fukushima (2011) der Fall war.

Um die Stabilität der Reaktordruckbehälter-Wandung zu bestätigen, 
beschränkten sich Gutachten bislang auf indirekte Verfahren. Es wurden 
Materialproben derselben Legierung, aus der der Reaktordruckbehälter 
besteht, eingehängt, um ihre Materialeigenschaften von Zeit zu Zeit zu 
untersuchen. Laut Theorie würden diese demselben Neutronen-Beschuß 
ausgesetzt wie die Behälterinnenwand, sodaß deren Versprödung am Zustand 
der Materialproben abgelesen werden könne. Doch diese Proben stehen 
nicht unter der Materialspannung, unter der die gebogene Außenwand eines 
Zylinders steht. Mehr noch: Mit diesen Proben kann der Zustand von 
Schweißnähten laut Professor Kromp nicht einmal annähernd simuliert 
werden (Siehe unseren Artikel v. 30.07.10).

Nach den alarmierenden Ergebnissen der Untersuchungen in den beiden 
belgischen Atomkraftwerken sprach der Leiter der belgischen Atomaufsicht 
FANC (Federal Agency for Nuclear Control), Jan Bens, von einem möglichen 
"globalen Problem für die gesamte Nuklear-Industrie". Bens empfahl daher 
in einem Interview mit dem nationalen belgischen TV eine weltweite 
akkurate Untersuchung aller 435 Atom-Reaktoren weltweit. "Wir haben 
unsere internationalen Kollegen bereits informiert und beraten.“ Auch an 
den Untersuchungen in Belgien beteiligte WissenschaftlerInnen warnen vor 
einem unvorhersehbaren Versprödungs-Bruch in einem der weltweit 435 
Atom-Reaktoren. Die Materialermüdung sei bislang offenbar unterschätzt 
worden. "Ich würde mich tatsächlich wundern, wenn das nirgendwo anders 
auch aufgetreten wäre," sagte Walter Bogaerts von der Universität Leuven.

Greenpeace hat in Belgien auf Herausgabe aller Untersuchungs-Dokumente 
geklagt und dieses Verfahren im Januar auch gewonnen. Die belgische 
Atomaufsicht verweigert jedoch bisher die Übergabe mit der Begründung, 
die Papiere zunächst auf etwaige Verschluß-Sachen überprüfen zu müssen.

Bereits im Sommer 2012 wurden bei der Revision des belgischen Reaktors 
Doel 3 mit Ultraschalluntersuchungen unerwartete feine Risse im Stahl 
des Reaktordruckbehälters festgestellt (Siehe unsere Artikel v. 9.08.12, 
v. 17.08.12 und v. 15.02.13). Wenig später wurden bei 
Ultraschall-Untersuchungen ähnliche Risse im Druckbehälter des Reaktors 
Tihange 2 festgestellt. ExpertInnen deuteten die Risse als sogenannte 
Wasserstoff-Flocken, Fehleinschlüsse bei der Herstellung des 
Reaktordruckbehälters. Daher wurden hauptsächlich alte 
Herstellungsunterlagen gesichtet. Eine komplette und genaue Untersuchung 
der Reaktordruckbehälter blieb aus. Herstellungsfehler konnten jedoch 
nicht belegt werden. Die Atomaufsicht ordnete weitere Tests an und 
veröffentlichte im Dezember 2014, daß dabei weitere Tausende Risse in 
den Reaktordruckbehältern gefunden worden waren, deutlich mehr als 
erwartet. Insgesamt wurden 13.047 Risse im Druckbehälter von Doel 3 und 
3.149 Risse im Druckbehälter von Tihange 2 entdeckt.

Der Reaktordruckbehälter ist das "Herz" eines Atomreaktors. In ihm 
befinden sich die hochradioaktiven Brennelemente, mit deren nuklearer 
Kettenreaktion Wasser erhitzt wird. Ein plötzliches Versagen des 
Reaktordruckbehälter ist in den Auslegungen der Atomreaktoren nicht 
vorgesehen und könnte zu katastrophalen Freisetzungen radioaktiver 
Strahlung führen. Greenpeace fordert daher sämtlich Atom-Reaktoren 
sofort abzuschalten und die erforderlichen Untersuchungen durchzuführen.

Bundes-Atom-Ministerin Barbara Hendricks zeigt sich jedoch bis dato 
unberührt von den belgischen Untersuchungs-Ergebnissen. Es lägen noch 
keine "eigenen Erkenntnisse" über die neue Bewertung des Leiters der 
belgischen Atomaufsicht zu den beiden Atomkraftwerken Doel 3 und Tihange 
2 vor, so Ministeriumssprecher Michael Schroeren, der schon unter 
Atom-Minister Jürgen Trittin im Dienst war.

Im Gegensatz hierzu hat der belgische Strom-Konzern Electrabel (ein 
Tochter-Konzern von GDF/Suez) am 15. Februar angekündigt, einen seiner 
derzeit noch mit Betriebsgenehmigung ausgestatteten Reaktordruckbehälter 
zu "opfern", um daran direkte Materialuntersuchungen vor dem 
unbefriedigenden Hintergrund der wenig geklärten und extrem 
beunruhigenden Riss-Phänomene vornehmen zu können.

Nun hätte beispielsweise der Reaktordruckbehälter des am 11. Mai 2005 
nach knapp 37 Jahren Betriebszeit stillgelegten AKW Obrigheim auf 
Versprödung untersucht werden können. Doch dies wird mit aller Macht 
verhindert. Auch die "grün-rote" baden-württembergische Landesregierung 
zeigt hieran kein Interesse.


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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel zum Thema Materialermüdung in AKW:

       Bruch nun auch an Drosselkörpern
       im AKW Philippsburg (7.07.14)

       AKW Grohnde - Fremdkörper
       im Reaktor-Druckbehälter entdeckt (16.05.14)

       Werden die belgischen Atomkraftwerke
       Doel und Tihange wieder hochgefahren? (15.02.13)

       Französischer Physik-Professor fordert
       Stilllegung des AKW Fessenheim (15.02.13)

       8000 Risse im AKW Doel
       Stilllegung dennoch ungewiß (17.08.12)

       Riß im Reaktordruckbehälter
       des belgischen AKW Doel (9.08.12)

       Marode Druckbehälter deutscher AKW
       Blockade von Untersuchungen (30.07.10)

       AKW in den USA
       zeigen deutliche Material-Probleme
       Laufzeiten von 40 Jahren utopisch
       Zunehmende Gefährdung (11.10.09)





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