[fessenheim-fr] ...wittern Morgenluft

Klaus Schramm klausjschramm at t-online.de
Mo Jun 30 13:45:31 CEST 2014


Hallo Leute!

Kaum hat die Gesetzes-Novelle zur Blockade der
Energie-Wende den Deutschen Bundestag passiert
(siehe Rund-eMail
 > Gabriel blockiert Energie-Wende
  - EEG de facto abgeschafft < ),
wittern schon die ersten Atomenergie-Lobbyisten
Morgenluft. Hier (s.u.) ein Kommentar aus dem
'Handelsblatt'. Darin wird mal wieder die
"Renaissance der Kernenergie" (zum ersten Mal
seit März 2011?) beschworen und das seit 14
Jahren immer wieder aufgewärmte Süppchen von
der "Sonderrolle" Deutschlands kredenzt.

Tatsächlich jedoch fällt Deutschland in Hinblick auf
die Entwicklung der Atomenergie im internationalen
Vergleich weder positiv ("Atom-Ausstieg"), noch
negativ ("Atomenergie-Ausbau") auf, wie ein Vergleich
mit Großbritannien zeigt -> Grafik in Artikel
www.linkszeitung.de/akwaus131102liz.html

Nebenbei macht der sich als "wertkonservativ"
bezeichnende 'HB'-Journalist Wolfram Weimer
eine süffisante Bemerkung zum AKW Fessenheim:
"Die versprochene Stilllegung des Uralt-AKWs
an der deutschen Grenze in Fessenheim wird
dagegen immer weiter hinaus gezögert. Im
soeben vorgelegten französischen
Energiewendegesetz wird die Stilllegung des
elsässischen Atommeilers nicht einmal erwähnt."

Wenn Weimer meint, mit dieser Stichelei den
Finger in eine offene Wunde stoßen zu können,
ist ihm entgegenzuhalten, daß er hier nur
jene trifft, die sich mit Illusionen selbst
verwundbar gemacht haben.

Die internationale Entwicklung spricht eindeutig
gegen die Propaganda Weimers, denn es existieren
weltweit nur sehr wenige Atom-Reaktoren, die
länger als 42 Jahre in Betrieb waren. Wenn
60 Jahre "Laufzeit" von der Politik beschlossen
werden, ist damit noch nichts darüber ausgesagt,
wie lange die betreffenden AKW tatsächlich noch
in Betrieb sein werden. Aus statstischer Sicht
handelt es sich um nichts anderes als um ein
global gespieltes russisches Roulett. Der
nächste Super-GAU ist so unvermeidlich.

Und noch etwas: Ein Rechter wie der Atomkraft-
Gegner Herbert Gruhl hatte zwischen "struktur-
konservativ" und "wertkonservativ" unterschieden.
Auch als Linker muß ich mir daher ein kleines
Lächeln nicht verkneifen, wenn ich hier lese,
daß nun Weimer als "wertkonservativ"
firmieret.

Ciao
    Klaus Schramm


What's right?
Die Kernenergie ist wieder da
27.06.2014, 12:31 Uhr

Drei Jahre nach der Katastrophe von Fukushima meldet die Internationale 
Atomenergiebehörde einen globalen Boom an Atomkraft. Immer mehr Länder 
bauen Kernkraftwerke – Deutschland ist mit seinem Ausstieg ziemlich allein.

von Wolfram Weimer

Es ist genau drei Jahre her: Um 12.18 Uhr am Donnerstag, 30. Juni 2011, 
war es so weit: Bundestagspräsident Lammert bat die Abgeordneten zur 
Abstimmung per Handzeichen über die Novelle des Atomgesetzes und 
verkündete daraufhin: „Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der vier 
Fraktionen CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen angenommen.“ Deutschland hatte 
den Atomausstieg beschlossen. Die politische Klasse in Berlin war sich 
sicher – die Welt werde diesem Beispiel folgen. Tatsächlich aber 
passiert genau das Gegenteil.

Vor allem das neue Großmächte-Quartett (Brasilien, Russland, Indien und 
China) setzt massiv auf Atomenergie. In China sind nach Angaben der 
Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) derzeit 29 neue Kernkraftwerke 
im Bau. Russland hat mit der Errichtung von zehn neuen Atomkraftwerken 
begonnen, in Indien werden bald sechs neue Meiler installiert sein. Der 
frisch gewählte indische Premierminister Narendra Modi erklärt: 
„Kernkraft wird ein Eckstein der indischen Energieversorgung.“

Doch nicht nur die aufstrebenden Wirtschaftsgroßmächte investieren 
massiv, immer mehr Länder entscheiden sich für den Neu-Einstieg, 
darunter die Türkei, Bangladesch, Ägypten, Jordanien, Nigeria und 
Vietnam. Selbst die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit dem Bau 
eines Atomkraftwerks begonnen, ebenso Weißrussland und Finnland. Und 
rechtzeitig zur Fußball-WM meldet auch Argentinien den Spatenstich für 
ein neues Kernkraftwerk. Brasilien baut zwischen den Metropolen Rio de 
Janeiro und Sao Paolo die Anlage „Angra dos Reis“ am Atlantik. Auch die 
großen Bestände in Frankreich und den USA werden ausgeweitet.

Der IAEA-Generaldirektor resümiert, die Kernenergie sei wieder ein 
globaler Wachstumsmarkt. Insgesamt seien weltweit 72 Kernkraftwerke neu 
im Bau; sie würden die bestehenden 435 Meiler massiv ergänzen.

Im Rahmen dieses weltweiten Comebacks der Kernenergie hat sich nun auch 
Japan für eine Rückkehr zur Atomkraft entschieden. Man werde alsbald die 
ersten, nach der Atomkatastrophe von Fukushima abgeschalteten Meiler 
wieder anfahren, erklärten Regierungsvertreter in Tokio. Das AKW Sendai 
(Präfektur Kagoshima) auf der Südinsel Kyushu werde nach der Sommerpause 
als erstes wieder ans Netz gehen. Japans Strompreise sind nach der 
Abschaltung sprunghaft gestiegen, und die hohen Importe von Öl und 
Flüssiggas hat die Handelsbilanz Japans schwer belastet. Im 
Jahresenergiebericht der Regierung wird zudem auf die steigenden und 
klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen hingewiesen, die ohne die 
Kernkraft nun zu verzeichnen seien.

Premierminister Shinzo Abe ist daher der Ansicht: „Für die Grundlast der 
japanischen Energieversorgung brauchen wir die Kernkraft.“

Auch die direkten deutschen Nachbarn wollen die Atomenergie ausbauen 
oder ganz neu einsteigen. So will Polen ab 2024 Atomenergie produzieren: 
In Zarnowiec (etwa 70 Kilometer von Danzig und 300 Kilometer von der 
deutschen Grenze entfernt) soll das neue Kraftwerk entstehen. Derzeit 
wird der polnische Strom zu 85 Prozent aus Kohle produziert. Und auch 
Frankreich baut neue Atomkraftwerke – in Flamanville am Ärmelkanal 
entsteht gerade der dritte Meiler, er soll in zwei Jahren ans Netz 
gehen. Die versprochene Stilllegung des Uralt-AKWs an der deutschen 
Grenze in Fessenheim wird dagegen immer weiter hinaus gezögert. Im 
soeben vorgelegten französischen Energiewendegesetz wird die Stilllegung 
des elsässischen Atommeilers nicht einmal erwähnt.

Damit erweist sich der panikartige Atomausstieg der deutschen Politik 
vor drei Jahren als eine verblüffend einsame Veranstaltung. Die Berliner 
Energiewende wird im Ausland weithin als eine deutsche 
Kurzschlussreaktion angesehen, vor allem da sich die Folgeprobleme 
daraus immer weiter auftürmen. Der Netzausbau stockt, die Strompreise 
steigen, der Industriestandort wird belastet, Milliardensubventionen in 
alternative, aber unrentable Energien sind vergeudet und eine absurde, 
hochbürokratische Energieplanwirtschaft ist entstanden.

Zugleich wird die Stromversorgung in Deutschland labiler, denn die 
enormen Einspeisesubventionen für Ökostrom zwingen inzwischen sogar die 
modernsten und saubersten Gaskraftwerke der Welt zum Stillstand. Und da 
in der Not auch noch mehr Kohle verstromt wird, trübt sich am Ende sogar 
die Klimabilanz ein. „Deutschland macht im Moment energiepolitisch 
einiges falsch“, heißt es bei der EU-Kommission in Brüssel. 
EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia will daher den Deutschen ihren 
Sonderweg streitig machen. Atomstromimporte aus Frankreich dürften nicht 
mit deutschen Ökoumlagen belegt werden, außerdem sei die deutsche 
Subventionspolitik bei Ökoenergien nicht europakonform.

Ex-Kanzler Gerhard Schröder hat wohl Recht, wenn er den überstürzten 
deutschen Ausstieg kritisiert. Man hätte sich tatsächlich mit der 
Abschaltung von Atomkraftwerken einfach mehr Zeit lassen, die 
Energiewende behutsamer angehen und viele Milliarden sparen sollen.

In der politischen Klasse sehen das erstaunlich viele so, und hinter 
vorgehaltener Hand flüstern sogar gestandene Minister, dass auch 
Deutschland vernünftigerweise seine technisch hochwertigen 
Atomkraftwerke länger laufen lassen sollte. Nur öffentlich traut sich 
das keiner mehr zu sagen. Lieber importiert man alsbald Atomstrom von 
unseren Nachbarn.

Neben Frankreich hat das dieser Tage sogar Russland angeboten – man 
könne die Lieferung von russischem Atomstrom aus dem geplanten 
Kernkraftwerk Kaliningrad durch die Ostsee nach Deutschland zusichern, 
heißt es aus Moskau. Rosneft-Präsident Igor Setschin antwortete dem 
Siemens-Vertreter jetzt auf einem Managergipfel in Berlin auf die Frage 
„Wie beurteilen Sie die deutsche Energiewendepolitik?“ mitleidig und 
süffisant: „Wir werden Ihnen immer helfen, seien Sie unbesorgt.“

Wolfram Weimer war Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt, des 
Politik-Magazins Cicero und des Focus. Er bezeichnet sich selbst als 
wertkonservativ.




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