[fessenheim-fr] Merkels "Atom-Ausstieg"
klausjschramm at t-online.de
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Mi Jun 1 12:18:44 CEST 2011
30.05.2011
Merkels "Atom-Ausstieg"
Täuschungsversuch wie vor 11 Jahren
Wie Kretschmann 2002 einen "politischen Selbstmord" überlebte
In den Mainstream-Medien ist von einer energiepolitischen
"Revolution" die Rede. Wieder einmal wird das Attribut "historisch"
bemüht. Beschlossen hat "Schwarz-Gelb" nun, acht Reaktoren sofort
stillzulegen und die übrigen neun Reaktoren bis 2022 abzuschalten.
Umweltverbände sprechen von einem Täuschungs- versuch.
Wieder einmal wird in den Mainstream-Medien die Lüge verbreitet,
Deutschland werde nun eine "Ausnahmestellung" einnehmen. Spekuliert
wird hierbei darauf, daß nach einem jahrelangen Verschweigen des
realen Atom-Ausstiegs in Italien (1987) und Österreich (1978) sich
die Menschen in Deutschland hieran nicht mehr erinnern. Zugleich
wecken die Medien die Illusion, "Schwarz-Gelb" werde den Ausbau der
erneuerbaren Energien in Zukunft fördern und nicht etwa weiter wie
bisher bremsen. Und ebenso versuchen die Propagandisten der
Atomenergie in den Mainstream-Medien die Menschen glauben zu machen,
es handele sich auch diesmal um einen Atom-Ausstieg: "Union und FDP
haben die Lektion von Fukushima gelernt."
Horst Seehofer gibt gar vor, "Rot-Grün" links zu überholen: "Was wir
jetzt machen, haben die Grünen nicht gemacht. Das ist mehr, als die
Grünen gefordert haben." Der Bayerische Ministerpräsident spielt
damit auf das vermeintlich feste Ausstiegsdatum 2022 an. Beim "rot-
grünen Atom-Ausstieg" des Jahres 2000 hätte sich die Stilllegung des
letzten Atomkraftwerks - je nachdem wie viele vor Ablauf ihrer
maximalen Reststrommenge abgeschaltet worden wäre - auch bis in die
zweite Hälfte des Jahrhunderts hinziehen können. Das noch bis vor
wenigen Jahren von "Rot-Grün" versprochene Ausstiegsdatum 2023 war
schon damals von der Anti-Atom-Bewegung als Täuschungsversuch
bezeichnet worden.
Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete Festlegung auf 2022
ist ebenso ein Täuschungsversuch. Bekanntlich kann jede zukünftige
Bundesregierung einen solchen "Atom-Ausstieg" wieder rückgängig
machen. Die kommende Bundestagswahl steht für 2013 an. Und niemand
glaube, das würde sich "Rot-Grün" nicht trauen. Ein Blick nach
Spanien genügt als Antwort: Dort hob der pseudo-sozialistische
Ministerpräsident Zapatero im Juli 2009 den Stillegungsbeschluß für
das AKW Garoña (Betriebsbeginn: 1970) auf und verlängerte die
Genehmigung bis über das Ende seiner Amtszeit hinaus. In Schweden
wurde gar ein per Volksabstimmung im Jahr 1980 beschlossener Atom-
Ausstieg gekippt.
PolitikerInnen wissen heute, daß sie im Falle "unpopulärer"
Entscheidungen die den Erwartungen ihrer Auftraggeber entsprechen,
nach dem Ende ihrer Karriere mit Pöstchen belohnt werden, auf denen
sie ein Vielfaches dessen verdienen, was selbst ein politisches
Spitzenamt abwirft. Und sie haben die Erfahrung gemacht, daß die
WählerInnen sehr vergeßlich sind.
Vor wenigen Jahren noch hatte der heutige pseudo-grüne baden-
württembergische Ministerpräsident Wiunfried Kretschmann von einem
"politischen Selbstmord" gesprochen, an den sich heute nur noch
wenige erinnern. Der erste mit dem "grün-roten Atom-Ausstieg" des
Jahres 2000 verbundene Betrug war bereits im Jahr 2002 zu Tage
gekommen. Das AKW Obrigheim wurde nicht wie versprochen kurz nach
Ende der ersten "rot-grünen" Legislaturperiode stillgelegt. Nach der
Bundestagswahl 2002 rückte der wiedergewählte Bundeskanzler Gerhard
Schröder damit heraus, daß es eine Geheimabsprache gab, wonach
entgegen dem veröffentlichten Vertragstext zum angeblichen Atom-
Ausstieg im Falle des AKW Obrigheim auch eine Strommengen-Übertragung
von Neu auf Alt erlaubt sei.
Der 'spiegel' muß von dieser Geheim-Klausel schon vor der Bekanntgabe
gewußt haben - ansonsten sind seine in einem Interview mit Winfried
Kretschmann gezielt gestellten Fragen nicht erklärbar. Die
Interviewer stellten die für Ende 2002 angekündigte Stilllegung des
AKW Obrigheim in Frage und wollten von Kretschmann wissen:
"Was passiert, wenn sich Trittin entgegen Ihrer Erwartung einem
Machtwort des Kanzlers beugen muß?"
Kretschmann: "Das wird nicht passieren. Wir werden im
Koalitionsvertrag festhalten, daß es zu einer Betriebsverlängerung
nicht kommt."
Nachfrage des 'spiegel' (damals trauten sich 'spiegel'-
JournalistInnen so etwas noch): "Was ist, wenn Sie sich täuschen und
Ihnen bei Ihrem Parteitag an diesem Wochenende ein Kompromiß
vorgelegt würde, wonach Obrigheim weiterlaufen darf, wenn auch keine
volle Wahlperiode lang?"
Kretschmann: "Ich bin ganz sicher, daß der Parteitag einer
substanziellen Verlängerung der Laufzeit nicht zustimmen wird. Wir
können unsere Glaubwürdigkeit nicht in einer so zentralen Frage aufs
Spiel setzen. Das wäre politischer Selbstmord."
Dieses Interview erschien in der 'spiegel'-Ausgabe 42 / 2002 am 14.
Oktober 2002. Am 13. Dezember 2002 veröffentlichte der "grüne" Atom-
Minister Jürgen Trittin eine Pressemittelung, in der er sein
Einverständnis mit der Laufzeitverlängerung des AKW Obrigheim bis
2005 bestätigte. Wie kaum anders zu erwarten nahm das Image der
"Grünen" Dank wohlwollender Beihilfe der Mainstream-Medien keinen
Schaden und Kretschmann überlebte den eigenen "Selbstmord".
"Rot-Grün" versucht nun - ebenso wie "Schwarz-Gelb" vor elf Jahren -
den verkündeten Atom-Ausstieg zu beglaubigen. Bei ein wenig Nörgelei
am Rande erklärte der "rote" Partei-Vorsitzende und frühere Atom-
Minister Sigmar Gabriel: "Aus meiner Sicht ist das heute ein großer
Tag der Genugtuung - für alle Atomkraftgegner, aber auch für die
SPD." Und auf Seiten der "Grünen" versucht deren Vorsitzender Cem
Özdemir von der eigentlichen Frage, nämlich ob Versprochenes nach
2013 tatsächlich realisiert wird, abzulenken: "Es bestehen nach wie
vor große Zweifel daran, ob es die Regierung ernst meint mit dem
Konsens. Das grüne Siegel bekommt man nur, wenn der Inhalt stimmt."
Özdemir versucht so zu suggerieren, es käme auf den Inhalt der
Versprechungen an und nicht darauf, ob sie von einer 2013 gewählten
Bundesregierung eingehalten werden.
Die größte deutsche Umwelt-Organisation Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland (BUND) wies umgehend darauf hin, daß der von
Merkel verkündete "Atom-Ausstieg" kein Konsens mit den
Umweltverbänden bedeute. Merkel stilisiere sich als "Mutter Theresa
der Energiewende". Der versprochene schnellstmögliche Atomausstieg
werde vertagt. Die von Merkel verkündete Fristsetzung bis 2022 sei
"keine akzeptable Antwort auf die Reaktorkatastrophe von Fukushima."
Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender und in den 1980er Jahren aktiv im
Kampf gegen die WAA Wackersdorf, zeigt sich skeptisch: Merkel setze
"weiter auf eine Verschleppung des Atomausstiegs bis 2022. Immer noch
gibt es Hintertüren, die ein Rollback beim Atomausstieg ermöglichen.
Jede Hintertür für den endgültigen und sofortigen Ausstieg aus der
Atomenergie ist Gift für die dringend erforderliche Energiewende."
Selbst der als konservativ geltende Umweltverband WWF bemerkt: "Ein
verbindlicher Auslaufpfad für die verbleibenden Kraftwerke fehlt."
Und der WWF weist auf eine verräterische Komponente der jetzt
erklärten "schwarz-gelben" Atom-Politik hin: Die Entwicklung der
Kernfusion soll weiterhin mit Milliarden subventioniert werden. "Man
kann nicht gegen Atomenergie und gleichzeitig für Kernfusion sein,"
sagte WWF-Expertin Regine Günther.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
160.000 DemonstrantInnen in 21 Städten
für Atom-Ausstieg auf der Straße (28.05.11)
20.000 beim AKW Beznau
Größte Schweizer Anti-AKW-Demo seit 25 Jahren (22.05.11)
Atom-Ausstieg teuer?
Im Gegenteil: Ersparnis von jährlich
mehr als 8 Milliarden Euro (10.05.11)
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