[fessenheim-fr] Schwarz-gelbe Bestandsgarantie bis 2013

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Mo Sep 6 21:36:37 CEST 2010


Hallo Leute!

Hier ein Artikel zum gestrigen "Atom-Gipfel".

Ciao
   Klaus Schramm


6.09.2010

Atomenergie
Schwarz-gelbe Bestandsgarantie bis 2013

Berlin (LiZ). Wie kaum anders zu erwarten, garantiert die "schwarz-
gelbe" Bundesregierung den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke 
bis 2013. Sie setzt damit die von "Rot-Grün" unter dem Deckmantel 
eines Atom-Ausstiegs abgegebene Bestandsgarantie des Jahres 2000 
trotz eklatanter Sicherheitsmängel fort. Der inszenierte Streit um 
verschiedene "Laufzeitverlängerungen" zwischen 8 und 30 Jahren sollte 
dabei davon ablenken, daß die Geschäftsgrundlage von "Schwarz-Gelb" 
lediglich bis zur nächsten Bundestagswahl reicht.

Mit dem im Jahr 2000 vereinbarten "Atom-Ausstieg" hatte die damalige 
"rot-grüne" Bundesregierung mit Kanzler Gerhard Schröder, 
Außenminister Joseph Fischer und Bundes-"Umwelt"-Minister Jürgen 
Trittin eine Bestandsgarantie für die deutschen Atomkraftwerke 
gegeben, die ursprünglich von den Ingenieuren lediglich für eine 
Betriebsdauer von 25 Jahren ausgelegt wurden. Die in den Jahren 
zwischen 1968 und 1989 in Betrieb genommenen deutschen Atomkraftwerke 
hätten demnach in den Jahren zwischen 1993 und 2014 nach und nach 
stillgelegt werden müssen.

Vor der Wahl versprach Gerhard Schröder am 3. August 1998, in der 
Legislaturperiode bis 2002 würden sechs Atomkraftwerke abgeschaltet. 
Nach der Wahl wurde dann zunächst ein regierungsinterner Streit um 
die zulässige Betriebsdauer von Atomkraftwerken veranstaltet, der 
jenem der vergangenen Monaten verblüffend ähnelt. So wurde damals von 
einem Ende der Atomenergie in Deutschland bis 2009 (Restlaufzeit von 
20 Jahren), bis 2014 (Restlaufzeit von 25 Jahren), bis 
2017(Restlaufzeit von 28 Jahren), und schließlich bis 2021 
(Restlaufzeit von 32 Jahren) gesprochen.

Doch statt tatsächlich eine zeitliche Beschränkung der Betriebsdauer 
der einzelnen Atomkraftwerke festzulegen, wurde im Jahr 2001 per 
"Konsens-Vertrag" mit den Strom-Konzernen vereinbart, daß die 
deutschen Atomkraftwerke noch einmal nahezu dieselbe Menge Strom 
produzieren dürfen, die sie bis zum Stichtag 31. Dezember 1999 
bereits produzierten. Die Bilanz bis zu diesem Stichtag: insgesamt 
2670,3 TWh Strom. Zugesprochen wurde den Strom-Konzernen eine weitere 
Produktion von Strom in den Atomreaktoren von insgesamt 2623,3 TWh. 
Dies bedeutet konkret, daß sie die Erlaubnis erhielten, den Berg an 
radioaktivem Müll, der bis zum Jahr 2000 angefallen war, zu 
verdoppeln.

In der Folge wurde immer wieder in den Mainstream-Medien verbreitet, 
diese Reststrommenge entspreche einer durchschnittlichen 
Betriebsdauer von 32 Jahren pro Atomkraftwerk. Tatsache ist, daß das 
AKW Stade (Inbetriebnahme: Januar 1972) im November 2003 stillgelegt 
wurde. Es war jedoch zwischenzeitlich bekannt geworden, daß die 
Betreiber-Firma HEW - danach im Energie-Konzern Vattenfall 
aufgegangen - bereits vor der Regierungsübernahme von "Rot-Grün" das 
AKW Stade in internen Beurteilungen als unwirtschaftlich bezeichnet 
hatte. Eine Stilllegung und der Ersatz durch ein modernes 
Gaskraftwerk hätte HEW einen Kostenvorteil eingebracht. Daß diese 
Stilllegung dennoch nicht vor 1998 erfolgte, hatte allein den Grund, 
daß die Energie-Konzerne damit eine defensive Position vermeiden 
konnten.

Bis heute wurde seit 1998 lediglich ein weiteres AKW stillgelegt. Von 
damals 19 Atom-Reaktoren sind nach wie vor 17 in Betrieb. Das AKW 
Obrigheim (Inbetriebnahme: Oktober 1968), das entsprechend der 
verkündeten Gesamtlaufzeit von 32 Jahren im Oktober 2000 stillgelegt 
hätte werden sollen, erhielt unter "Rot-Grün" unter Berufung auf 
angebliche Geheimabsprachen im Konsens-Vertrag und im Widerspruch zu 
dessen veröffentlichtem Text eine Laufzeitverlängerung bis 2005. Es 
wurde am 11. Mai 2005 nach knapp 37 Jahren Betriebszeit stillgelegt.

Daß auch die Versprechen in Hinblick auf andere Atomkraftwerke nichts 
Wert waren, zeigt das Beispiel des AKW Biblis A (Inbetriebnahme: 
August 1974). Im Jahr 2003 hieß es noch von offizieller Seite unter 
Berufung auf die im "Konsens-Vertrag" für diesen Meiler vereinbarte 
Reststrommenge von 62,0 TWh (gerechnet ab 1.01.2000), daß die 
"Restlaufzeit" im Jahr 2006 ablaufen werde. Berechnungsgrundlagen 
wurden nie veröffentlicht. Noch im gleichen Jahr wurde dann 
verlautbart, die "Restlaufzeit" werde erst 2007 ablaufen. Es wurde 
dann auf der Internet-Seite des Bundes-"Umwelt"-Ministeriums - damals 
noch unter Jürgen Trittin - in einer Tabelle mit exakten 
Datumsangaben veröffentlicht, daß das AKW Biblis A am 26. Februar 
2007 abgeschaltet werde. Später wurde dies dann klammheimlich 
gelöscht. Die früheren "Umwelt"-Minister Trittin und Gabriel 
verlassen sich offenbar darauf, daß die Mehrzahl der Deutschen dies 
inzwischen vergessen hat.

Weiter läßt sich in einer Vielzahl deutscher Medien verfolgen, daß 
das Ende der "Restlaufzeit" des AKW Biblis A - je nach aktuellem 
Datum - ganz selbständig auf 2008, auf 2009 und dann auf 2010 
verschoben wurde - ohne je eine Berechnungsgrundlage dafür zu 
veröffentlichten.

Die heutige "schwarz-gelbe" Bundesregieung versuchte nun in den 
vergangenen Monaten mit demselben Trick die öffentliche Diskussion 
dahin zu lenken, daß nur noch von einem Atom-Ausstieg irgendwann 
zwischen 2029 (angebliche Position von "Umwelt"-Minister Norbert 
Röttgen) und 2041 (angebliche Position von Wirtschaftsminister Rainer 
Brüderle) die Rede ist. Die Forderung der Anti-Atom-Bewegung nach 
einem sofortigen Atomausstieg soll so als unrealistisch aus dem 
Blickfeld verbannt werden. Dabei ist eines klar: Atomkraftwerke 
werden in Europa im Jahr 2020 mit Sicherheit stillgelegt sein - 
entweder, weil sich bis dahin die Vernunft durchgesetzt hat oder weil 
bis dahin eine Reaktor-Katastrophe stattfand, die jene von 
Tschernobyl in den Schatten stellt und weite Teile Europas radioaktiv 
verseucht.

Am gestrigen Sonntag nun inszenierte die "schwarz-gelbe" 
Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel einen "Atom-Gipfel", 
der die Linie in der Frage der "Restlaufzeiten" festklopfte. Ähnlich 
wie unter "Rot-Grün" wird ein undurchsichtiger "Kompromiss" 
präsentiert, der je nach Alter der Atomkraftwerke deren Weiterbetrieb 
mit einem Ende zwischen 2014 (AKW Biblis A) und 2035 (AKW 
Neckarwestheim II) erlauben soll. Selbstverständlich jedoch ist auch 
dieser "Atom-Ausstieg" keineswegs"unumkehrbar", wie es noch vor 
wenigen Jahren "Rot-Grün" für den ihren beteuert hat. Die 
Geschäftsgrundlage jeder Bundesregierung ist lediglich die 
Legislaturperiode, für die sie gewählt wurde. Und die gegenwärtige 
endet im Jahr 2013.

Bezeichnend ist auch, daß von der vor der Landtagswahl in Nordrheim-
Westfalen von "Rot-Grün" lauthals beschworenen Möglichkeit zur 
Blockade der "schwarz-gelben" Atompolitik im Bundesrat kaum mehr die 
Rede ist. Damals hieß es, mit der Wahl Hannelore Krafts zur NRW-
Ministerpräsidentin verliere "Schwarz-Gelb" im Bundesrat die Mehrheit 
und der "Ausstieg aus dem Ausstieg" könne gestoppt werden. "Schwarz-
Gelb" hat die Mehrheit verloren - aber es ist sehr fraglich, ob das 
nun von "Schwarz-Gelb" auf den Weg gebrachte Gesetz überhaupt im 
Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Auf das Bundesverfassungsgericht 
ist in Fragen Atomenergie nach allen Erfahrungen wenig Verlaß.

"Ohne Not bricht die Bundesregierung einen der größten 
gesellschaftlichen Konflikte der Bundesrepublik wieder auf", 
lamentiert nun der frühere "rote" Bundes-"Umwelt"-Minister Sigmar 
Gabriel. Er verrät damit ungewollt, daß das vornehmste Ziel des im 
Jahr 2000 verkündeten Atom-Ausstiegs darin bestanden hatte, die Anti-
Atom-Bewegung zu schwächen und die Mehrheit der Bevölkerung in der 
Illusion zu wiegen, ein realer Atom-Ausstieg käme ohne eigenes Zutun.

Auch wenn sich der von den Mainstream-Medien verbreitete Schrecken 
für die mehr als 70 Prozent der Bevölkerung, die einen Atom-Ausstieg 
wollen, relativiert, wenn klar wird, daß sich die Politik von 
"Schwarz-Gelb" zunächst nur auf die Jahre bis 2013 auswirkt: Die 
große Gefahr dieser Politik liegt darin, daß mit dem Weiterbetrieb 
der Atomkraftwerke der Ausbau der Erneuerbaren Energie gebremst wird. 
So ist es auch nicht verwunderlich, daß jener Teil der deutschen 
Wirtschaft, der mittlerweile Arbeitsplätze für mehr als 340.000 
Menschen geschaffen hat, bei "Schwarz-Gelb" kein Gehör findet. Statt 
dessen macht auch die gegenwärtige Regierung eine Politik für die 
Atom-Branche, die insgesamt nur rund 35.000 Arbeitsplätze zu bieten 
hat. Der Vorsitzende des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland 
(BUND), Hubert Weiger, kommentiert: "Nicht das für Ende September 
angekündigte Energiekonzept, sondern die Gier der Atomstromkonzerne 
nach Extra-Profiten bestimmt die Energiepolitik der Bundesregierung."

Der BUND erinnert zudem daran, daß alternde Reaktoren ein immer 
höheres Sicherheitsrisiko darstellen. Vor wenigen Wochen berichtete 
das TV-Magazin 'Kontraste' darüber, daß die Versprödung der Reaktor-
Druckbehälter nicht ausreichend überprüft wird. Durch den 
Dauerbeschuß mit Neutronen im Reaktordruckbehälter, extrem hohe 
Temperatur und Druckunterschiede, mechanische Belastung und Korrosion 
ist eine extrem hohe Materialbelastung gegeben. Das Risiko eines 
Unfalls durch Materialermüdung steigt von Jahr zu Jahr.

Zwar werden immer wieder alte Atomkraftwerke mit neuer Technologie 
nachgerüstet, doch die Kombination aus alter Technik des letzten 
Jahrhunderts und neuer Technik birgt bisher unbekannte Probleme und 
Risiken. Während Wärmetauscher, Reaktordeckel, Rohrstücke und andere 
Teile unter teilweise immensen Kosten und Risiken für die AKW-
ArbeitnehmerInnen (und insbesondere für die LeiharbeiterInnen) 
ausgetauscht werden können, kann der - am stärksten von der 
Neutronenstrahlung belastete - Reaktordruckbehälter nicht 
ausgetauscht werden.

Auch die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg kritisiert 
in einer aktuellen Stellungnahme, daß "Schwarz-Gelb"die 
"Profitinteressen der Konzerne zu bedient". Eine zukunftsorientierte 
Energie- und Klimapolitik werde so behindert. Das "Desaster" des 
anwachsenden Atommülls werde nicht bedacht. Bis zum Jahr 2000 wurde 
in deutschen Atomkraftwerken 12.000 Tonnen radioaktiver Müll 
produziert. Der "rot-grüne" "Atom-Ausstieg" eröffnete die Perspektive 
auf einen Berg von am Ende 24.000 Tonnen. Mit jedem Jahr, in dem 
Atomstrom produziert wird, kommen weitere 370 Tonnen radioaktiver 
Müll hinzu. Die Menschen im Wendland erinnern daran, daß es weltweit 
keine Lösung für die Lagerung dieses Mülls gibt. "Letztlich wird 
seitens der Bundesregierung Druck gemacht, den Salzstock Gorleben 
trotz aller Bedenken als Endlager weiter auszubauen," erklärt der BI-
Sprecher Wolfgang Ehmke.

Die Anti-Atom-Bewegung ruft zur Demonstration am 18. September in 
Berlin auf. Ursprünglich hatte die BI Lüchow Dannenberg davor 
gewarnt, daß zu viele Aktionen den Widerstand auch schwächen könnten 
und hatte ihren Fokus auf die CASTOR-Proteste im November im Wendland 
gerichtet. Nun erklärt sie ihre Unterstützung für die Berlin-Demo, 
die mit der Hoffnung verbunden ist: "Wenn im Herbst der nächste 
CASTOR-Transport nach Gorleben auf die Reise geht, gehen wir - 
hoffentlich mit all den Berliner DemonstrantInnenen - erneut im 
Wendland auf die Straße."

Samstag 18.9. 13 Uhr Anti-Atom-Großdemonstration in Berlin


LINKSZEITUNG


Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Weiterer Erfolg des Gorleben-Widerstands:
      Verwaltungsgericht Lüneburg stoppt Datensammlung
      (4.09.10)

      Hunderte beim Festiv'Info
      gegen das Endlager-Projekt im lothringischen Bure
      (30.08.10)

      CASTOR-GegnerInnen siegen
      vor Bundesverfassungsgericht (26.08.10)

      AKW-Start im Iran
      Rückschlag für erneuerbare Energien (22.08.10)

      Risse im AKW Isar I
      nun auch vom TÜV bestätigt (12.08.10)

      Atom-Streit in der Union?
      Garantie bis 2013 (11.08.10)

      Atomares Recycling
      Bruno Thomauske erneut im Einsatz (4.08.10)

      Marode Druckbehälter deutscher AKW
      Blockade von Untersuchungen (30.07.10)

      AKW Philippsburg
      Mit Nebelwerfer gegen Terror-Gefahr? (21.07.10)

      CASTOR im November
      Erste Vorbereitungen (20.07.10)

      Brand im AKW Fessenheim
      Keine Nachricht in deutschen Mainstream-Medien
      (15.07.10)

      "Pannen" im AKW Biblis A und B
      (7.07.10)

      Deutscher Stromexport beweist:
      8 AKW überflüssig (17.06.10)

      Unsinniger CASTOR-Transport
      von Hamburg nach Südfrankreich (15.06.10)

      CASTOR nach Gorleben genehmigt
      Widerstand angekündigt (3.05.10)

      Der Endlager-Schwindel
      Greenpeace veröffentlicht Akten zu Gorleben (13.04.10)

      Protest gegen Atommüll-Transport nach Rußland
      Greenpeace-Aktion in der Nordsee (10.04.10)

      Biblis A - Lug und Trug
      Demo am 24. April (27.03.10)

      In Asse II wird probegebohrt
      Weitere Zeitverzögerung vor der Rückholung (27.03.10)

      Atomenergie ist sicher?
      Autobahnpolizei stoppt Horror-Transport (11.03.10)

      "Störung" im AKW Fessenheim
      im Dezember gravierender als bislang bekannt (23.02.10)

      Atommüll-Transporte
      Glaskokillen nicht stabil (5.02.10)

      Unfall in der UAA Gronau
      Arbeiter radioaktiv verstrahlt (23.01.10)

      Einsturzgefahr im "Versuchs-Endlager" Asse II
      Atommüll wird rückgeholt (15.01.10)

      Aus für AKW Neckarwestheim I
      in hundert Tagen? (11.01.10)

      Endlager-Standort Gorleben
      Bei der Auswahl spielte Geologie kaum eine Rolle
      (10.01.10)

      Atom-Ausstieg selber machen!

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie

      Das ungelöste Problem der Endlagerung
      Info-Serie Atomenergie - Folge 12

      Info-Serie Energiewende
      Folge 1




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