[fessenheim-fr] Info-Serie Atomenergie - Folge 4

klausjschramm at t-online.de klausjschramm at t-online.de
Mo Jul 20 19:59:29 CEST 2009


Info-Serie Atomenergie
Folge 4

Der siamesische Zwilling:
Atombombe

BefürworterInnen der "zivilen" Nutzung der Atomenergie lassen in 
ihrer Argumentation meist die militärische Nutzung in Form der 
Atombombe völlig außer acht oder verschwiegen diese bewußt. Dabei 
sorgte der siamesische Zwilling des Atomkraftwerks, die Atombombe, 
von Beginn an dafür, daß die staatlichen Subventionen reichlicher 
flossen als jemals zuvor in der Wirtschaftsgeschichte dieses 
Planeten. Nur so konnte in mehr als neun Staaten die Technologie zum 
Bau der Atombombe entwickelt oder nachvollzogen werden. Der "Vater 
der pakistanischen Atombombe", der Physiker Abdul Qadeer Khan, 
gelangte beispielsweise während Studienaufenthalten in Deutschland in 
den Besitz des nötigen Know-how.

Laut Text des Atomwaffensperrvertrags werden nur jene Staaten als 
"Atommächte" bezeichnet, die bereits vor dem Januar 1967 offiziell 
atomare Waffen getestet haben. Dabei handelt es sich um die USA, 
Rußland, Frankreich und Großbritannien. Als weitere Atommächte gelten 
China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Doch auch Deutschland 
ist indirekt längst zur Atommacht aufgestiegen, da sowohl das Know-
how zur Verfügung steht, als auch US-amerikanische Atombomben 
hierzulande stationiert sind und Tornados mit deutscher Besatzung für 
deren Einsatz bereit stehen.

Die Bezeichnung als "siamesische Zwillinge" ist nicht allein mit 
Blick auf die Entwicklung der vergangenen fünfzig Jahre 
gerechtfertigt, sondern auch, weil bis heute eine Trennung in einen 
zivilen und einen militärischen Teil unmöglich ist. Sowohl für das 
Atomkraftwerk als auch für die Atombombe wird so genanntes 
angereichertes Material benötigt, wie es in der Natur nicht vorkommt.

Die Produktion einer Bombe mit hochangereichertem Uran ist sehr teuer 
und aufwendig. Allerdings gibt es einen anderen Weg zur Atombombe, 
basierend auf Plutonium: Während des Betriebs von Atomkraftwerken 
wandelt sich ein Teil des Uran in Plutonium um. Die Reaktoren des 
Tschernobyl-Typs wurden eigens zur Plutonium- Erzeugung für den 
Bombenbau konstruiert - die Stromproduktion war von Beginn an 
lediglich Nebeneffekt. Druckwasserreaktoren, die heute am häufigsten 
in Atomkraftwerken im Einsatz sind, waren ursprünglich für den 
Antrieb von Atom-U-Booten konzipiert. Die sogenannten 
Wiederaufbereitungsanlagen verfolgen immer auch einen militärischen 
Zweck, nämlich die Abtrennung des Atombomben-Plutoniums aus 
abgebrannten Brennelementen.

Die Rede von der "friedlichen Nutzung der Atomenergie", "atoms für 
peace", diente in den fünfziger und sechziger Jahren lediglich zur 
Täuschung der BürgerInnen in den USA oder auch in Deutschland. 
Tatsächlich wollten die USA noch 1945 - nach dem Schock des Abwurfs 
der ersten beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki - die 
Verbreitung der Nukleartechnologie verhindern, ebenso die 
Sowjetunion. Doch der Geist war aus der Flasche. Großbritannien, 
Frankreich und weitere Staaten waren bereits dabei, Atombomben zu 
bauen.

1957 wurde die Internationale Atomenergiebehörde IAEA als 
Sonderorganisation der UNO mit Sitz in Wien mit der im Grunde 
schizophrenen Zielsetzung gegründet, einerseits die "friedliche 
Nutzung" der Atomenergie zu fördern und andererseits die 
Weiterverbreitung der Atomwaffen-Technologie zu verhindern. Die 
Atomlobby startete eine Propagandakampagne für Atomkraft, die bewußt 
den Zusammenhang von Atomkraftwerken und atomarer Rüstung 
verschleierte.

Mit dem Atomwaffensperrvertrag, der 1970 in Kraft trat, sollte der 
Besitz von Nuklearwaffen auf die USA, Rußland, Frankreich, 
Großbritannien und China beschränkt werden. Diese Staaten haben sich 
mit dem Vertrag auch zur Abrüstung verpflichtet. Es gab zwar 
zeitweilige Fortschritte in der Abrüstung, aber das weltweite 
offiziell bekannte Atomwaffenarsenal beträgt noch immer mehr als 
20.000 Sprengköpfe mit einem Vernichtungspotential, das für die 
Ausrottung der gesamten Menschheit ausreichen würde. Über die meisten 
Sprengköpfe verfügen die USA mit rund 10.000. Im 
Atomwaffensperrvertrag ist aber auch ausdrücklich festgelegt, daß 
alle Unterzeichnerstaaten, die keine Atomwaffen besitzen, bei der 
"friedlichen Nutzung der Atomenergie" unterstützt werden sollen.

Jeder einzelne atomare Sprengkopf hat heute eine rund zwanzigmal 
größere Zerstörungskraft als die Hiroshima-Bombe. Gleichzeitig wächst 
die Gefahr, daß Frühwarnsysteme über Datenverbindungen manipuliert 
werden. Zudem reagieren die Alarmsysteme sowohl der USA als auch 
Rußlands täglich auf Ereignisse wie Brände, Satellitenstarts und auch 
auf die Reflektion von Sonnenstrahlen an Wolken. Der frühere General 
der US Airforce und langjährige Oberbefehlshaber des US-
amerikanischen Nuklearstreitkräfte, Lee Butler, bezeichnete in einer 
öffentlichen Rede 2002 die nukleare Kriegsplanung der Vereinigten 
Staaten als Irrsinn: "Ich verstand endlich die wahre Bedeutung von 
MAD, von Mutually Assured Destruction (gesicherte gegenseitige 
Zerstörung; engl. mad = verrückt)".

Lee Butler: "In den 36 Monaten als oberster Kernwaffenberater des 
Präsidenten nahm ich jeden Monat an einer Übung teil, die unter dem 
Namen "Raketenbedrohungskonferenz" bekannt wurde. Buchstäblich ohne 
Ausnahme begann die Bedrohungskonferenz mit einem Szenario, das von 
einem Angriff auf die Vereinigten Staaten mit einem, mehreren, 
Dutzenden, dann Hunderten und schließlich Tausenden von 
Thermonuklearsprengköpfen ausging. War der Angriff ausgewertet und 
bewertet und standen angesichts der Situation genügend Informationen 
für eine Entscheidung zur Verfügung, blieben dem Präsidenten maximal 
zwölf Minuten, um eine Entscheidung zu treffen. Zwölf Minuten für 
eine Entscheidung, die - zusammen mit der Entscheidung eines Menschen 
auf der anderen Seite der Erdkugel, der vielleicht einen solchen 
Angriff angeordnet hatte - nicht nur das Überleben der Kriegsgegner 
aufs Spiel setzte, sondern das Schicksal der gesamten Menschheit mit 
der Aussicht, daß innerhalb weniger Stunden etwa 20.000 
Thermonuklearwaffen explodierten."

Der Zusammenhang zwischen "friedlicher" und militärischer Atomkraft 
ließ sich nicht mehr leugnen, als die Bedrohung einer atomaren 
Aufrüstung in Ländern Realität wurde, die zuvor einen Atomreaktor nur 
"zur friedlichen Nutzung" gebaut hatten. Dem Reaktor folgte die 
Bombe. Indien und Pakistan sind Beispiele, die zudem in einem 
direkten Konflikt miteinander stehen. In den 70er Jahren bestellten 
sowohl Argentinien als auch Brasilien Atomkraftwerke. In beiden 
Ländern waren damals Militärdiktaturen an der Macht, die über den 
Umweg von AKW in den Besitz von spaltbarem Material und von 
Bombentechnologie kommen wollten. Das einzige Atomkraftwerk Afrikas 
befindet sich im südafrikanischen Koeberg. Auch dessen Reaktoren 
dienten dem damalige Apartheid-Regime als Einstieg, um in den Besitz 
einer Atombombe zu kommen. Im Zuge der Demokratisierung Südafrikas 
wurden die sechs produzierten Bomben wieder demontiert und das 
spaltbare Material unter Aufsicht der IAEA gestellt.

Kar ist: Die Verbreitung von Kenntnissen der Atomtechnologie zur 
Waffenproduktion läßt sich nicht verhindern, solange die Nutzung zur 
Produktion von Strom fortgeführt wird.

Obwohl Mengen, Transport und Verweildauer von bombenfähigem Material 
akribisch aufgezeichnet werden muß, kommt weltweit immer wieder 
angereichertes Uran oder Plutonium abhanden. So verschwanden 2005 aus 
der britischen WAA Sellafield, einer der größten Atom-Anlagen der 
Welt, 30 Kilogramm Plutonium. Diese Menge würde zum Bau von acht 
Atombomben ausreichen. In der bereits aus früheren Fällen bekannten, 
typischen Manier versuchte der Betreiber-Konzern British Nuclear 
Fuels (BNFL) den Verlust im jährlichen Inventurbericht als 
"Buchhaltungsproblem" und "Verlust auf dem Papier" herunterzuspielen.

Zwei Jahre zuvor hatte der TV-Sender ABC in einem Experiment mit 
Nuklearmaterial in einem bleiummantelten Behälter nachgewiesen, daß 
ein Paket mit rund sieben Kilogramm ohne ernsthaftes Risiko von 
Kontrollen weltweit versendet werden kann. Von Österreich aus kam das 
Paket auf dem Weg über Istambul und eine Reihe weiterer 
Zwischenstationen unbehelligt zum zweiten Jahrestag des 11. September 
in New York an. Korrespondent Brian Ross, der den Uran-Koffer 
transportierte, wunderte sich über die fehlende Wachsamkeit aller 
Behörden in den bereisten Ländern: "Sieben Länder, 25 Tage, 15 Pfund 
Uran - und keine einzige Frage".

Jedes Jahr werden mehrere Vorfälle mit illegalem Handel von 
waffenfähigem Material bekannt. Wie die IAEA festhält, stecken hinter 
einer Vielzahl der Vorfälle kriminelle Machenschaften. Die Vermutung 
liegt nahe, daß auf dem Schwarzmarkt hohe Preise für solches Material 
geboten werden. Allein zwischen 1993 und 2004 wurden 424 Vorkommnisse 
mit radioaktiven Substanzen gemeldet. Diese radioaktive Substanzen 
können aus Atomkraftwerken, Fabriken, aber auch aus Krankenhäusern 
stammen. Etwa 50 dieser Informationen über Vorkommnisse betreffen 
Substanzen und Mengen, die zwar nicht für den Bau einer Atombombe 
geeignet sind, aber durchaus für den Bau so genannter "schmutziger 
Bomben". Dabei handelt es sich um einen Sprengsatz aus 
konventionellem Sprengstoff, dem radioaktives Material beigemischt 
wird. SicherheitsexpertInnen befürchten Terroranschläge mit 
"schmutzigen Bomben". Im Vergleich zu einer Atombombe besitzen diese 
zwar nicht deren enorme Sprengkraft, da keine Nuklearexplosion 
ausgelöst wird. Ziel ihres Einsatzes aber könnte es sein, 
radioaktives Material über ganze Städte und Landstriche zu verstreuen 
und diese so auf lange Sicht unbewohnbar zu machen.

Ebenso besorgniserregend wie die Weiterverbreitung von waffenfähigem 
Nuklear-Material ist der Handel mit Atombomben-Technologie. In der 
Schweiz sind derzeit drei Schweizer Bürger wegen Verstößen gegen das 
Kriegsmaterial- und Güterkontrollgesetz sowie wegen Geldwäsche 
angeklagt. Aus der Anklageschrift des Schweizer Untersuchungsrichters 
Andreas Müller geht hervor, daß sie sowohl Pakistan als auch Libyen 
mit nuklearem Fachwissen versorgt haben sollen. Der US-amerikanische 
Geheimdienst CIA hat laut 'New York Times' zehn Millionen US-Dollar 
an die drei Schweizer bezahlt, die zuvor als Mittelsmänner des 
pakistanischen Wissenschaftlers und Atomwaffen-Spezialisten Abdul 
Qadeer Khan gearbeitet haben und dann für die CIA Informationen über 
das iranische und libysche Atomwaffen-Programm lieferten. Auf Druck 
der USA hin wurde in der Schweiz eine große Zahl an Akten vernichtet, 
um Beweise über die CIA-Aktivitäten zu vertuschen.

Deutschland geriet bereits mehrfach in den Verdacht, in den Besitz 
atomwaffenfähigen Materials gelangen zu wollen oder zumindest, 
solches Material nicht ausreichend unter Kontrolle halten zu können. 
So ist beispielsweise bekannt, daß am Max-Planck-Institut für 
Plasmaphysik (IPP) Garching bei München mit atomwaffenfähigem 
Material gearbeitet wurde. Die Internationale Atomenergie-
Organisation IAEA hatte - noch unter ihrem früheren Vorsitzenden Hans 
Blix - von der deutschen Bundesregierung gefordert, auf den Einsatz 
hochangereicherten Urans im Forschungsreaktor Garching 2 zu 
verzichten. Dieser Forderung schloß sich der heutige Vorsitzende der 
IAEA, Mohammed al-Baradei, vor wenigen Jahren an. Doch selbst der 
Protest der USA an die deutsche Bundesregierung, in dem von einem 
Bruch des Non-Proliferations-Abkommens die Rede ist, blieb 
wirkungslos.

Auch in Ländern, die derzeit keine Atomwaffen besitzen oder 
anstreben, kann aus Atomkraftwerken waffenfähiges Plutonium für die 
Waffenproduktion abgezweigt werden. Schon allein diese Möglichkeit 
zeigt, wie unverantwortlich jegliche Nutzung der Atomenergie ist. 
Eine absolute Kontrolle über die Bestände an Uran und Plutonium ist 
nicht möglich. Nur der Stop von Atomprojekten und die Stilllegung 
aller Atomanlagen kann das Risiko der Verbreitung von 
Massenvernichtungswaffen vermindern.

 

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Die übrigen Folgen der Info-Serie:

  1 Grundlagenwissen

  2 Der deutsche "Atom-Ausstieg"

  3 Die Subventionierung der Atomenergie

 

  5 Umweltverbrechen Uran-Abbau

  6 Uran-Ressourcen und die Zukunft der Atomenergie

  7 Die Geschichte der Atom-Unfälle

  8 Die stille Katastrophe

  9 Der italienische Atom-Ausstieg

10 Schwedens "Atom-Ausstieg"

11 Atomenergie in Frankreich

12 Das ungelöste Problem der Endlagerung




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