[fessenheim-fr] Asse II
Klaus Schramm
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Mi Sep 3 19:04:00 CEST 2008
2.09.2008
Gefahr durch
atomares Versuchslager Asse II
nicht länger geleugnet
Atom-Minister Gabriel: "Zustände in Asse sind unhaltbar"
Wird das Bergwerk geräumt?
Nachdem die Bundes-"Umwelt"-Minister Klaus Töpfer, Angela Merkel
(1994-1998), Jürgen Trittin (1998-2005) und Sigmar Gabriel (ab 2005)
über Jahre hin Augen und Ohren vor den skandalösen Zuständen
verschlossen und Hinweise der Bürgerinitiativen konsequent
mißachteten, scheint nun ein Zeitpunkt gekommen zu sein, der ein
weiteres Spiel auf Zeit nicht zuläßt. Die Entscheidung steht an, das
atomare Versuchslager Asse II entweder entsprechend den Wünschen
der Atom-Mafia mit Magnesiumchloridlauge zu verfüllen und
unzugänglich abzuriegeln oder - wie von unabhängigen
WissenschaftlerInnen und Bürgerinitiativen gefordert - den radioaktiven
Müll aus dem ungeeigneten Bergwerk zu evakuieren.
Am heutigen Dienstag trat Bundes-Atomminister Gabriel die Flucht nach
Vorne an. Die Sicherheit des Versuchslagers, in das offiziell lediglich
mittel- und schwachradioaktiver Müll hätte aufgenommen werden
dürfen, stehe "ernsthaft in Gefahr", so Gabriel bei der öffentlichen
Vorlage eines Untersuchungsberichts in Berlin. Pikant ist zudem, daß
sich Asse II im Wahlkreis von Sigmar Gabriel befindet und dieser sich
dennoch nie für die Arbeit der Bürgerinitiativen interessiert hatte - auch
nicht in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident in der
Nachfolge Gerhard Schröders. Heute nun bezeichnete Sigmar Gabriel
Asse II als "extrem unsicher" und als die "problematischste
Nuklearanlage in ganz Europa".
Offenbar will sich Gabriel zudem gegenüber der im Bundeskabinett
zuständigen Forschungsministerin Annette Schavan profilieren, die
nach der Züricher Flug-Affaire als angeschlagen gilt. Schavan ist neben
dem pro forma als wissenschaftliches Forschungsprojekt und von der
Helmholtz-Gesellschaft betriebenen Versuchslager Asse II auch für die
Verteilung von jährlich dreistelligen Millionenbeträgen als
"Forschungsmittel" an die in einer Marktwirtschaft nicht
überlebensfähige Atom-Branche zuständig.
In den vergangenen Monaten waren immer mehr brisante Fakten über
"Unregelmäßigkeiten" in Asse II publik geworden. Nach und nach nahm
sich mit 'stern', spiegel' oder auch der 'Süddeutschen Zeitung' ein Teil
der Mainstream-Medien des Themas an. So wurde eine breite
Öffentlichkeit über die Jahre hin geleugneten Wasser-Einbrüche, die
radioaktive Kontamination der Salzlauge, illegalen Abtransport von
Lauge aus Asse II, die wachsende Einsturzgefahr des gesamten
Stollensystems und Funde von illegal eingelagertem hochradioaktivem
Müll informiert.
Sigmar Gabriel konstatierte nun bei der Veröffentlichung des neuen
"Statusberichts", daß die "Sicherheit der Anlage nirgends
nachgewiesen" sei. Damit stellt er sich gegen bisherige Gutachten des
TÜV Nord, der bislang die Sicherheit von Asse II als zweifelsfrei
attestiert hatte. In Kreisen der Anti-Atom-Bewegung gilt der TÜV nicht
zuletzt wegen Gefälligkeitsgutachten für Atomkaftwerke bereits seit
Jahrzehnten als von der Atom-Mafia unterwandert.
Nun wird mit dem aktuellen "Statusbericht" amtlich bestätigt, daß
bereits in den späten 60er Jahren, als Asse II zu "Forschungszwecken"
eingerichtet wurde, die Probleme mit einbrechendem Wasser bekannt
waren. Erstmals wird offiziell eingeräumt, daß seit Jahrzehnten Wasser
in das ehemalige Bergwerk strömt und sich daher radioaktiv
kontaminierte Lauge sammelt. Gabriel mußte bestätigen, daß sich in
dem einsturzgefährdeten ehemaligen Bergwerk in der Nähe der
niedersächsischen Stadt Wolfenbüttel neben angeblich exakt 124.494
Gebinde mit schwach radioaktivem Material und 1.293 Fässer mit
mittelradioaktiven Stoffen auch Plutonium und Kernbrennstoffe
befinden. 50 Prozent der Abfälle sollen aus dem früheren
Kernforschungszentrum Karlsruhe1 stammen. Der bisherige Betreiber
von Asse II, die Helmholtz-Gesellschaft München, ist laut Gabriel ist seit
längerem ohne Genehmigung und "nicht sachgemäß" mit radioaktiven
Stoffen umgegangen. Zudem seien Dokumentationsstandards nicht
eingehalten worden. Offenbar wisse niemand genau, was in dem
"Forschungsbergwerk" eingelagert wurde.
Zahlreiche mittlerweile aufgetauchte Unterlagen belegen, daß Asse II
von Beginn an nicht zu Forschungszwecken, sondern als nicht
genehmigtes Endlager betrieben wurde. Offenbar konnte so zumindest
bis 1978 billig Atommüll beseitigt werden. So schreibt der 'spiegel' in
seiner aktuellen Ausgabe, daß das 1965 gebaute und 1967 offiziell zu
Forschungszwecken in Betrieb genommene Versuchs-Atommülllager
von Beginn an als Endlager gedient habe. Ein großer Teil der als
Forschung deklarierten Arbeit wurde auf die Vorbereitung eines
Planfeststellungsverfahrens zur Genehmigung eines Endlagers
verwendet. Die Lieferlisten für Asse II lesen sich wie das Who-is-Who
der deutschen Atomindustrie. Gegen Ende der Frist für
Einlagerungsgenehmigungen kam es zu einem drastisch ansteigenden
Atommüll-Anlieferverkehr. Selbst zwischen Weihnachten und Neujahr
wurde noch tonnenweise Atommüll angekarrt, um die billige Möglichkeit
zur Beseitigung radioaktiver Stoffe zu nutzen.
Aus dem heute veröffentlichten "Statusbericht" geht weiter hervor, daß
einige Fässer bereits bei der Einlagerung in den 60er und 70er Jahren
beschädigt wurden und mittlerweile durchgerostet sind. Der Bericht hat
laut Gabriel schwerwiegende Mängel bei der Helmholtz-Gesellschaft
und bei deren Aufsicht, dem niedersächsischen Landesamt für
Bergbau, aufgedeckt. Auch dort war bereits seit 1967 bekannt, daß Asse
II undicht ist. Die Atommüll-Fässer seien damals in feuchten Kammern
eingelagert worden, wie die Befragung von Mitarbeitern ergeben habe.
"Es gab nie ein sicheres Endlager Asse, sondern es wurden bewußt
Informationen zu Laugenzutritten unterdrückt", sagte Gabriel.
Phänomenal erscheint heute, daß dieses Wissen, in das eine Vielzahl
von Personen eingeweiht war, über einen solch langen Zeitraum
geheim gehalten werden konnte. Die sei ein "unglaublicher Vorgang"
sagte nun auch Sigmar Gabriel auf Fragen von JournalistInnen.
Gabriel kündigte an, sich wegen der Zuständigkeit Ministerin Schavans
für die Helmholtz-Gesellschaft mit seiner Kabinetts-Kollegin unterhalten
zu wollen. Er deutete einen "grundlegend neuen" Umgang mit dem
Versuchslager Asse II an und beabsichtigt nach internen Informationen,
das ebenfalls atomenergie-freundliche Bundesamt für Stahlenschutz,
das dem Bundes-"Umwelt"-Ministerium unterstellt ist, als zukünftigen
Betreiber von Asse II durchzusetzen.
Ebenso zur Profilierung versuchen die Pseudo-Grünen nun den
Skandal für sich zu nutzen. Die frühere pseudo-grüne Landwirtschafts-
Ministerin (2001-2005) Renate Künast reichte eine Strafanzeige bei der
Staatsanwaltschaft Braunschweig ein und hofft offenbar darauf, so das
Desaster des vermeintlichen deutschen "Atom-Ausstiegs" vergessen
zu machen.
Als entscheidend dürfte sich jedoch jenseits all des öffentlichen Zeter
und Mordio erweisen, ob Gabriel rechtzeitig die nötigen Konsequenzen
zieht und Asse II evakuieren läßt. Auch Greenpeace fordert die
Rückholung des Atommülls aus Asse II. Die jetzt aufkommende
Forderung, die Betreibergesellschaft zu wechseln, lenke - so
Greenpeace - vom eigentlichen Problem ab: Was soll jetzt mit dem
Atommüll geschehen?
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
1 Zum KFZ Karlsruhe siehe auch unseren Artikel:
Kosten für Karlsruher "Atomsuppe" wachsen auf 2,6 Milliarden Euro
Vorgeschmack auf das bittere Erbe der Atomenergie (16.01.08)
Siehe auch unsere Artikel zur "Endlager"-Problematik:
Verdacht auf hochradioaktiven Müll im Versuchslager Asse II
"Brennstäbe in Blechdosen" (29.07.08)
Skandal-Grube Asse II
Eindringendes Wasser radioaktiv kontaminiert (12.06.08)
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(14.01.08)
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