[fessenheim-fr] StZ: Reaktorchef muss hohe Geldbusse zahlen

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Fr Apr 6 22:52:39 CEST 2007


Hallo Leute!

Anhand solcher Gerichtsentscheide beantwortet sich die Frage, in welcher
Art Staat wir leben...

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net


Stuttgarter Zeitung, 05.04.07

Reaktorchef muss hohe Geldbuße zahlen
 
Ermittlungen nach Pannen in Philippsburg beendet - Verteidiger: Kein 
Schuldeingeständnis
 
STUTTGART. Sechs Jahre nach den schweren Sicherheitsverstößen im 
Kernkraftwerk Philippsburg sind die Ermittlungen gegen den Reaktorchef 
jetzt eingestellt worden. Er muss eine fünfstellige Geldbuße bezahlen.

Von Andreas Müller

Die Pannen im Kernkraftwerk Philippsburg hatten im Jahr 2001 hohe Wellen 
geschlagen. Nach einer Revision war der zweite Block wieder angefahren 
worden, obwohl das Notkühlsystem noch nicht vollständig zur Verfügung 
stand. Dieser "Blindflug" beschäftigte wochenlang den Betreiber EnBW und 
die Regierungen in Stuttgart und Berlin. Bei dem damals noch von Gerhard 
Goll geleiteten Stromkonzern traten zwei Vorstände zurück, der damalige 
Landesumweltminister Ulrich Müller (CDU) geriet unter massiven Druck 
seines Berliner Kollegen Jürgen Trittin (Grüne). Erst nach einer langen 
Zwangspause durfte der Atommeiler wieder anlaufen.

Auf Grund einer Anzeige von Umweltschützern hatte die Staatsanwaltschaft 
Karlsruhe damals Ermittlungen aufgenommen. Sie richteten sich gegen den 
atomrechtlich verantwortlichen Leiter des zweiten Reaktorblocks, Gerd B. 
Der Verdacht: weil das Notkühlsystem nicht den Vorschriften entsprach, 
habe der Ingenieur die Atomanlage unerlaubt betrieben. Nicht ermittelt 
wurde gegen den Chef des Kernkraftwerks Philippsburg, Hans-Josef Zimmer.

Nach der ungewöhnlich langen Verfahrensdauer von sechs Jahren hat die 
Staatsanwaltschaft die Ermittlungen jetzt beendet. Wie ein 
Behördensprecher bestätigte, wurden sie Ende März gegen Zahlung einer 
"Geldbuße im fünfstelligen Bereich" eingestellt. Dem hätten das 
zuständige Amtsgericht und der Beschuldigte zugestimmt. Der Betrag sei 
bereits bezahlt worden.

Laut dem Sprecher hatte ein Gutachter, der Bremer Atomphysiker Richard 
Donderer, die Verstöße als sicherheitsrelevant eingestuft. Dem habe der 
Leiter der Anlage widersprochen. "In Anbetracht der Gesamtumstände", weil 
möglicherweise nur Fahrlässigkeit vorliege und im Blick auf vergleichbare 
Fälle habe man sich für die Einstellung nach Paragraf 153 a der 
Strafprozessordnung entschieden. Dieser Weg sei vorgesehen, wenn die 
Auflagen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigten und 
die Schwere der Schuld nicht entgegenstehe. Die genaue Höhe der Geldbuße 
wollten weder die Staatsanwaltschaft noch der Verteidiger von Gerd B., 
Klaus-Peter Dolde, nennen. Dem Vernehmen nach liegt sie unter 20 000 
Euro. Dolde sagte auf Anfrage lediglich, es handele sich nicht um ein 
Schuldeingeständnis.

Vor drei Jahren war ein vergleichbares Verfahren gegen zwei Manager des 
Kernkraftwerks Obrigheim ebenfalls gegen Geldauflagen eingestellt worden -
 übrigens zum ersten Mal in Deutschland. Die beiden mussten jeweils 20 
000 Euro bezahlen. Die Staatsanwalt Mosbach hatte zunächst Strafbefehle 
geplant, konnte diese aber nicht durchsetzen. Auch im Fall Philippsburg 
gab es offenbar Überlegungen für einen Strafbefehl.

Nach den Vorgängen im Jahr 2001 war der Ingenieur als verantwortlicher 
Leiter der Anlage abgelöst worden. Die EnBW betraute ihn bei ihrer 
Kraftwerksgesellschaft mit "nuklearen Grundsatzfragen". In dieser 
Funktion betreute er später ein Team der Internationalen 
Atomenergiebehörde, das die Sicherheitskultur in Philippsburg 
untersuchte.

Während die strafrechtliche Aufarbeitung der Pannen abgeschlossen ist, 
geht der Rechtsstreit um die politischen Konsequenzen weiter. Auf Weisung 
des Bundes hat das Landesumweltministerium Revision gegen eine 
Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Mannheim eingelegt. Der 
VGH hatte eine vom früheren Umweltminister Trittin erlassene Auflage, 
wonach Philippsburg bei Sicherheitszweifeln stillzulegen sei, als "zu 
unbestimmt" und damit rechtswidrig aufgehoben. Damit konnte sich die EnBW 
in erster Instanz durchsetzen; der Stromkonzern sprach von eine 
"eindeutigen Niederlage" und einer "Abfuhr" für den Bundesumweltminister. 
Trittins Nachfolger Sigmar Gabriel (SPD) lässt das Urteil nun vom 
Bundesverwaltungsgericht überprüfen.




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