[fessenheim-fr] Baake / Petra

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Mo Okt 9 11:00:41 CEST 2006


Hallo Amish, hallo Leute!

Der Beitrag auf den Du Dich beziehst, stammt zwar nicht von mir, sondern
von Petra (das ist auch so erkennbar - der Absender ist von mir, da ich den
Beitrag wie so einige bereits zuvor weitergeleitet habe),
ich stimme ihr allerdings zu, daß es sich um Realsatire handelt. Dazu ist
es nämlich nicht nötig, daß das, was in der Realität vonstatten geht/ging,
satirisch gemeint ist, sondern, daß es heftiger ist, als das, was sich
Satiriker ausdenken können.

Dazu gehört - nur EIN Detail - Baakes schnöselige (in Klammer gesetzte)
Abkanzelung der Forderung nach sofortigem Atomausstieg. Und es ist auch
deshalb Realsatire, weil Baake, Trittin & Co. - auf wessen Kosten? -
mit ihrer Konsens-Ideologie eine so vollkommene Bauchlandung hingelegt
haben. Es ist genau das eingetreten, was Franz Alt in einer Rede auf
einem Parteitag der "Grünen" - noch vor deren Zustimmung zum 
Atomkonsens - voraussagte: "Die Konsens-Ideologie erweist sich, je länger 
an ihr festgehalten wird, als Nonsens-Philosophie. Es ist eben grundsätzlich 
unmöglich, mit der Metzgerinnung einen Konsens über die Einführung des 
Vegetarismus zu erreichen."

Franz Alt ist ein Konservativer, der gelegentlich wegen früherer Kontakte
zu Neo-Nazis kritisiert wird. Da diese Geschichten aber ziemlich weit
zurückliegen, wüßte ich nicht, warum wir Franz Alts gute Argumente in
dieser Angelegenheit nicht zur Kenntnis nehmen sollten. Ich stand und
stehe auch dazu, daß ich in der Vorbereitung der Tschernobyl-Demo
am 29. April auf dem Freiburger Rathausplatz Franz Alt für eine Rede
vermittelte (bevor ich mich wegen der Sache mit Rebecca Harms aus der 
Vorbereitungs-Gruppe zurückzog.)

In der bereits genannten Rede im Januar 2000 zeigte Franz Alt zeigte auf, 
wie ein Atom-Ausstieg mit einfachen Gesetzen durchgesetzt hätte werden können. 
Diese hätten keine Zustimmung des Bundesrats benötigt und sie hätten auch nicht 
mit einer Klage wegen "Enteignung" vor das Bundesverfassungsgericht gebracht 
werden können:

"1. Besteuern Sie Atombrennstoffe realistisch - entsprechend den fossilen       
    Energien.
 2. Sorgen Sie dafür, dass auch Atomkraftwerke realistisch versichert werden    
     müssen. Es ist doch nur recht und billig, dass ein AKW so realistisch      
     versichert werden muss wie jeder Pkw. (...)
 3. Verbot der Wiederaufbereitung und
 4. bereiten Sie den Weg für die Wettbewerbsgleichheit im Strommarkt. Das heißt: 
     Die 60 Milliarden Mark Entsorgungsrückstellungen der Atomwirtschaft müssen 
     in einem Fond deponiert werden, damit sie nicht länger zweckentfremdet     
     werden können für den Einkauf bei allen möglichen Branchen, sondern für die 
     spätere Entsorgung zur Verfügung bleiben. Die Atomwirtschaft darf nicht    
     länger Staat im Staate sein.
 Gegen das Wegnehmen dieser einmaligen wirtschaftlichen Privilegien kann kein   
 Mensch mit Aussicht auf Erfolg klagen."

Das hübsche daran ist, daß die "Grünen" heute nicht behaupten können, sie
hättens nicht besser gewußt. Übrigens hatte auch Hermann Scheer diese
Punkte - insbesondere Punkt 4 auf den er in seinem Beitrag für die FR,
den ich in den letzten Tagen auf diese Mailing-Liste weiterleitete, besonders
abhebt - in seiner Funktion als SPD-Bundestagsabgeordneter und ausgewiesener 
Energie-Experte ebenfalls bereits vor dem Jahr 2000 deutlich hingewiesen.

Aber Scheer ist - zumindest in der Energie-Politik - die Ausnahme, die die
Regel bestätigt.

Zu Deinem Unverständnis ("schleierhaft") des üblichen Opportunismus bei
PolitikerInnen: Diese vier von Franz Alt genannten Gesetzesinitiativen,
mit denen ein Atomausstieg in kürzester Zeit erreicht worden wäre,
konnte auch der Zustimmung einer Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion
sicher sein (auch wenn Herrmann Scheer nicht immer die Mehrheit hinter
sich hatte). Der springende Punkt ist jedoch, daß jedEr, die/der
die Politik Gerhard Schröders in seinen acht Jahren als niedersächsischer
Ministerpräsident auch nur halbwegs aufmerksam verfolgt hat (und nebenbei:
in dessen Gefolge Trittin), exakt wußte, daß dieser harte Kurs mit
Schröder nicht möglich gewesen wäre. Schröder hätte eher die Koalition
mit den "Grünen" platzen lassen.

Leute wie Joseph Fischer, Jürgen Trittin oder auch Rainer Baake wußten
also genau, daß sie auf den zahnlosen Papiertiger "Atomkonsens" 
aufspringen mußten (bereits vor den eigentlichen Koalitionsverhandlungen),
wenn sie die Chance zu Minister- und Staatssekretärs-Pöstchen erhalten
wollten. So funktioniert Politik. Nur solche "flexibeln" Leute haben
in Parteien (auch in der mit der grünen Farbe nach 1990) die Chance,
auf der Karrriereleiter aufzusteigen - bis auf gelegentliche weiße
Schafe wie Herrmann Scheer.

Dies wird sich erst ändern, wenn wir dafür sorgen, daß Politik nach dem
Willen der Mehrheit gemacht wird (aber das wäre Demokratie, wie mir in
der Schule beigebracht wurde).

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net


Amish schrieb:

Hallo!

Klaus Schramm wrote:

>Hi
>
>mir ist der Name Rainer Baake bekannt vorgekommen (einer der 
>InitiatorInnen der Aktion "Atomausstieg - selber machen!")
>und da habe ich mal ein bisschen recherchiert.
>Es handelt sich dabei um einen früheren Staatssekretär von
>Atomminister Jürgen Trittin, also genau einer von denen, die
>uns diesen Atomkonsens eingebrockt haben. Nicht dass ich
>diese Aktion schlecht fände. Ich habe selbst dafür gestimmt,
>dass wir von Netzwerk Regenbogen dazu einen Aufruftext
>veröffentlichen (www.netzwerk-regenbogen.de/akwech060929.html).
>Es ist nur bedenklich, dass dabei wieder mal ein Bock als Gärtner
>eingestellt wurde.
>  
>

Ich kenne Rainer Baake zwar nicht, aber es erscheint mir nachdem ich 
Deine Mail, lieber Klaus, sehr aufmerksam durchgelesen habe, doch eher 
so, daß er es ursprünglich ernstgemeint hat, sich aber - zusammen mit 
seinen Parteifreunden - aus welchen Gründen auch immer total über den 
Tisch ziehen ließ und diesem faulen Kompromiß (der alles andere als ein 
Konsens ist) offenbar zugestimmt oder ihn zumindest hingenommen hat.

>Richtige Realsatire ist, was Rainer Baake 1998 an Zielvorstellungen
>für den Atomkonsens entwickelt hatte. 
>

Das ist keine Realsatire, sondern liegt zwischen dem, was die Grünen im 
Wahlkampf 1998 gefordert hatten und was letztendlich herausgekommen ist. 
Anders gesagt ist es genau das, was hätte herauskommen müssen, wenn die 
SPD ihr damaliges Wahlversprechen 1:1 umgesetzt hätte. Ich gehe bis zum 
Beweis des Gegenteils davon aus, daß Rainer Baake das damals 
ernstgemeint hat.

Wie ein Politiker ohne sachliche Gründe seine Meinung scheinbar beliebig 
ändern kann (und damit meine ich nicht speziell ihn, sondern fast alle), 
ist mir schleierhaft. Ich jedenfalls ändere meine Positionen nur dann, 
wenn mir bewußt wird, daß ich mich geirrt habe - oder wenn meine 
Grundüberzeugungen durch etwas Einschneidendes erschüttert werden. 
Lernfähig sein und seine Meinung immer wieder kritisch zu überprüfen 
heißt nicht, sein Fähnchen nach dem Wind zu hängen. Wer mich überzeugen 
will, braucht gute Argumente. Aber ich bin ja auch kein Politiker!

Zur Erinnerung: Die Grünen forderten (wie seit ihrer Gründung) den 
SOFORTIGEN Ausstieg. Die SPD versprach den Ausstieg in zehn Jahren.

Dieses interessante Papier zeigt, daß es auch innerhalb der Grünen 
Stimmen gab, die einen sofortigen Ausstieg aus juristischen Gründen 
nicht für praktikabel erachteten und stattdessen für einen Ausstieg 
zwölf Jahre nach der Wahl plädierten. Wäre dieser Vorschlag Realität 
geworden, hätte ich das wahrscheinlich für gerade noch am äußersten 
Rande des Hinnehmbaren gehalten.

Dennoch bleibe ich bei meiner Überzeugung, daß aufgrund des fehlenden 
Entsorgungsnachweises, der bei Amtsantritt der rot-grünen 
Bundesregierung (nach meinen Informationen) vom Atomgesetz gefordert 
war, alle Betriebsgenehmigungen rechtswidrig waren. Es wäre vermutlich 
möglich gewesen, alle Betriebsgenehmigungen aufgrund des nicht 
vorhandenen Endlagers aufzuheben und bis zur Rechtskraft der 
diesbezüglichen Entscheidungen alle Reaktoren vom Netz zu nehmen.

Im Zuge der Änderung des Atomgesetzes hat die rot-grüne Koalition den 
Betrieb der bestehenden Atomkraftwerke erstmals in der Geschichte der 
Bundesrepublik Deutschland legalisiert und so der Anti-Atom-Bewegung 
einen gewaltigen Bärendienst erwiesen. Die einzige Chance, die 
Abschaltung der AKWs vor Erreichen der Reststrommenge zu erreichen 
besteht darin, massenhaft den Atomstromkonzernen den Rücken zu kehren 
und Ökostrom zu bestellen - z.B. aus Schönau oder von Greenpeace Energy. 
Da müßten aber auch Teile der Industrie mitspielen.

Anders gesagt: Diese Chance ist in der derzeitigen bundesdeutschen 
Realität nur eine theoretische. Solange die Mehrheit der 
BundesbürgerInnen zwar bei Umfragen angibt, gegen Atomkraft zu sein, 
aber sich nicht die Mühe macht, den Stromversorger zu wechseln, wird das 
nichts.

>(...)
>
>
>Rainer Baake
>Wiesbaden, den 20. Januar 1998
>
>(...)
>
>(...), so werden wir am Ende der ersten 
>Legislaturperiode auf der Haben-Seite unserer Arbeit in der Koalition ein 
dickes 
>Plus machen können!
>
>(...)
>  
>

Anmerkung am Rande: Von Buchhaltung und Bilanzierung scheint er ja nicht 
viel zu verstehen, denn alles wird einmal im Soll und einmal im Haben 
gebucht. In der Bilanz stehen die sogenannten "Aktiva" im Soll 
(Sachanlagen, Immaterielle Vermögensgegenstände wie Patente und Lizenzen 
etc., Rohstoffe, fertige Erzeugnisse, Geld, Wertpapiere, Beteiligungen, 
Forderungen usw.) und die Ansprüche darauf (Kapital, Rücklagen, 
Verbindlichkeiten und Rückstellungen), die sogenannten "Passiva", im Haben.

Also Vorsicht bei der Verwendung bildhafter Sprache, wenn man sich mit 
dem Gesagten nicht auskennt...   ;-)

Viele Grüße
Euer
Amish




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