[fessenheim-fr] Forsmark

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Fr Aug 4 14:07:49 CEST 2006


Hallo Leute!

Hier im folgenden einige aktuelle Meldungen aus dem ZDF - weiter unten
mein gestriger Artikel mit einigen Hintergrund-Infos.

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net


Schweden: Vier Reaktoren abgeschaltet

Störung der Stromversorgung löst Störfall aus

In Schweden sind nach einem Störfall vom 26. Juli im Kernkraftwerk Forsmark-1 
vier der zehn Atomreaktoren abgeschaltet worden. Wie am Donnerstag von den
zuständigen Behörden mitgeteilt wurde, soll die Gelegenheit genutzt werden, die 
Sicherheitssysteme zu überprüfen.

"Beinahe-Katastrophe"

Atomkritiker sehen in dem Zwischenfall in dem Werk nördlich von Stockholm eine 
Beinahe-Katastrophe. Politiker und Umweltgruppen in Schweden forderten eine
umfassende Überprüfung der Sicherheitsvorkehrungen in schwedischen 
Nuklearanlagen von unabhängiger Seite. Der Sprecher der staatlichen 
Kernkraftinspektion, Anders Jorl, sprach im schwedischen Rundfunk von einem 
"unglücklichen" Vorfall. 

Die Organisation Internationale Ärzte gegen den Atomkrieg erklärte, am 26. Juli 
habe es einen Kurzschluss außerhalb des Kraftwerks gegeben, was zur Trennung
des AKWs vom Stromnetz geführt habe. Danach hätte die Notstromversorgung 
anlaufen sollen. Zwei der vier Dieselaggregate seien aber nicht wie geplant
automatisch angesprungen. Es sei nur deshalb nicht zu einer Katastrophe 
gekommen, weil die Reaktorschnellabschaltung und Teile des Kühlnotsystems
funktionierten.

Die Umweltorganisation Greenpeace schätzt den Störfall im Kraftwerk Forsmark als 
"schwerwiegend" ein und begrüßt das Vorgehen der Staatlichen
Kernkraftinspektion in Schweden (SKI), die vier bauähnlichen Atomkraftwerke 
sofort vom Netz zu nehmen. Ein früherer Direktor der SKI habe gesagt, dass es
"nur mit purem Glück nicht zu einer Kernschmelze gekommen ist", heißt in der 
Stellungnahme der Organisation vom Donnerstag. "Das Atomkraftwerk ist durch den
Störfall fast zwanzig Minuten lang im Geisterbetrieb gefahren, bis die 
Belegschaft den Betrieb des Kraftwerks manuell wieder in den Griff bekam", 
meinte Heinz Smital, Atomexperte bei Greenpeace. 

In einer Volksabstimmung von 1980 waren in Schweden die Weichen gegen die 
Nutzung der Atomkraft gestellt worden. Zwei der ursprünglich 12 schwedischen
Reaktoren, die beiden Blöcke in Barseback unweit Malmö und Kopenhagen, sind 
inzwischen stillgelegt worden. Etwa die Hälfte der Elektrizität des Landes wird 
aus Kernenergie gewonnen. Trotz der abgeschalteten Reaktoren wird 
jahreszeitbedingt nicht mit Strommangel gerechnet.


3.08.2006 

           Schwedisches AKW 7 Minuten vor GAU 

      Versagte eine Komponente »Made in Germany«? 

      Am Mittwoch, 26. Juli, geriet das schwedischen Atomkraftwerk (AKW)
      Forsmark offenbar nach einer Verkettung von Pannen in eine kritische
      Situation. Laut Experten entging Europa nur knapp einem GAU. 

      Nach bisher vorliegenden Informationen führte ein Kurzschluß bei
      Arbeiten außerhalb des AKW Forsmark am 26. Juli kurz vor 14 Uhr zu
      einer Trennung des Kraftwerks vom Stromnetz. Automatisch erfolgte
      die Schnellabschaltung. Eine Überspannung hatte jedoch bereits die
      Batterien der Notstrom-Diesel beschädigt. Unmittelbar darauf versagte
      die AKW-eigene Stromversorgung. Zwei von vier automatisch zu
      startenden Dieselaggregaten sprangen nicht an. Erst nachdem zwei der
      vier baugleichen Notstrom-Aggregate manuell gestartet werden
      konnten, gelang es der Betriebsmannschaft, den Reaktor nach 23
      Minuten wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das AKW Forsmark war
      nur 7 Minuten vom GAU entfernt. 

      Lars-Olov Höglund, der als langjähriger Chef der Konstruktions-
      abteilung des schwedischen Vattenfall-Konzerns für deren
      Atomkraftwerk in Forsmark zuständig war und den Reaktor in- und
      auswendig kennt, kommentierte: "Es war ein reiner Zufall, daß es zu
      keiner Kernschmelze kam. (...) Wäre der Reaktor nur sieben Minuten
      länger nicht unter Kontrolle gewesen (...) Das ist die gefährlichste
      Geschichte seit Harrisburg und Tschernobyl". Diese Äußerungen
      wurden jedoch erst 8 Tage nach der Beinahe-Katastrophe in der
      Stockholmer Tageszeitung Svenska Dagbladet (2.08.) veröffentlicht.
      Zuvor war die Öffentlichkeit weder von Vattenfall noch von den
      schwedischen Medien unterrichtet worden. Ein Skandal im Skandal. 

      Die dramatische Situation im AKW Forsmark vor einer Woche wird
      durch einen weiteren Fakt beleuchtet: Der Stromausfall führte zu einem
      Blackout der Steuerungs-Computer. Die Betriebsmannschaft mußte
      zeitweise "blind" agieren. Sie verlor schließlich völlig den Überblick,
      weil zahlreiche Informationen der Meßgeräte über den Zustand des
      Systems im Kontrollraum nicht abrufbar waren. So hatte sie für die
      nötigen Eingriffe keine sicheren Informationen und konnte deren
      Auswirkungen nicht verfolgen. 

      Gestern hieß es nun, die schwedische Atomkraftbehörde "Statens
      Kärnkraftinspektion" (SKI) nähme die Tatsache, daß die
      Sicherheitssysteme im AKW Forsmark nicht funktionierten "sehr ernst".
      Eine Woche nach der Beinahe-Katastrophe wird nun, nachdem sie
      publik wurde, eine "umfassende Untersuchung" angeordnet. Ingvar
      Berglund, Forsmark-Sicherheitschef, findet den Konstruktionsfehler
      von Komponenten, über die sich ungehindert eine Kurzschlusskette
      fortsetzt, "nicht akzeptabel": "Ich hatte davon vorher erst einmal gehört,
      das war bei einem russischen Reaktor." 

      Laut Berglund stellte sich erst nach dem 26. Juli heraus, daß die
      Herstellerfirma AEG, die die untauglichen Notstrom-Aggregate Anfang
      der Neunzigerjahre geliefert hatte, diese Konstruktionsschwäche
      durchaus kannte. AEG habe es aber nicht für notwendig erachtet, diese
      Information weiterzugeben. Im Widerspruch dazu meldete am Mittwoch
      die Tageszeitung Upsala Nya Tidning, AEG habe Vattenfall informiert,
      nachdem es einen Zwischenfall in einem deutschen AKW1 gegeben
      hatte. 

      Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW verweist darauf, daß bereits
      vor Jahren - so 1994 und am 8. Februar 2004 - nach einem Notstrom-Fall
      im deutschen AKW Biblis die Unzuverlässigkeit der
      AEG-Notstrom-Aggregate publik geworden war. Auch Heinz Smital von
      Greenpeace bestätigt die Einschätzung, daß das AKW Forsmark am 26.
      Juli außer Kontrolle war. Erst nach einem manuellen Eingreifen habe die
      Betriebsmannschaft das Kraftwerk wieder in den Griff bekommen. 

      Nicht nur schwedische, sondern auch finnische AKW sind mit
      Notstrom-Aggregaten »Made in Germany« ausgestattet. Berglund
      äußerte die Besorgnis, daß es sich um ein "weltweites" Problem
      handele. Darüber sei mittlerweile auch die Internationale
      Atomenergieagentur IAEO2 informiert worden. 

      Das schwedische SKI hat die "Panne" vom 26. Juli jetzt in
      Übereinstimmung mit Vattenfall auf der siebenstufigen Störfall-Skala
      INES als vom Niveau 2 bewertet. Sowohl AKW-Betreiber als auch SKI
      weisen die Einschätzung des Forsmark-Konstrukteurs, der Reaktor
      habe vor einer Kernschmelze gestanden, als "übertrieben" zurück. Ole
      Reistad, Abteilungsleiter der Strahlenschutzbehörde im Nachbarland
      Norwegen, nimmt die "Panne" allerdings deutlich ernster. Das AKW
      Forsmark habe "nahe vor einer Katastrophe" und vor dem Wegfall der
      letzten Sicherheitsbarriere gestanden, sagte Reistad: "So etwas hätte
      nie passieren dürfen." 

      Auf Grund des öffentlichen Drucks wurden in Schweden nun vier
      weitere AKWs abgeschaltet. Der deutsche Atom-Minister Gabriel scheint
      entsprechende Schritte jedoch nicht für nötig zu erachten. Am 8.
      Februar 2004 hatte ebenfalls ein Kurzschluß Block B des AKW Biblis
      stillgelegt. IPPNW erinnert in einer aktuellen Stellungnahme daran, daß
      es auch in Biblis zur Trennung vom Stromnetz gekommen war und die
      Notstrom-Versorgung über das kraftwerkseigenen Aggregat versagte.
      Eine weitere Parallele zeigt sich darin, daß auch im AKW Biblis mehrere
      Komponenten der Kraftwerkssteuerung versagten und manuelle
      Eingriffe erforderlich waren, um die Situation zu retten. 

      Zudem erwiesen sich die Notstrom-Dieselaggregate nicht nur im AKW
      Biblis, sondern auch in anderen deutschen AKWs als unzuverlässig. So
      kam in Biblis B zuletzt am 25. Oktober 2005 zu einer Kühlwasserleckage
      am Motorölwärmetauscher eines Notstrom-Dieselmotors. Im Jahr 2004
      versagten die Notstromdiesel drei Mal und im Jahr 2003 zwei Mal.
      Greenpeace verweist auf einen Fall im deutschen AKW Isar-2 am 3. März
      2004. Dort war es zu einer kurzfristigen Unterbrechung der
      Notstromversorgung gekommen. 

      Nach Einschätzung von IPPNW berührt dies ein "ganz grundlegendes
      Problem" in allen AKWs: "Die Steuerung von Atomkraftwerken kann
      jederzeit durch Kurzschlüsse beziehungsweise Überspannungen aus
      dem Ruder laufen und zum Super-GAU führen". Die Gesellschaft für
      Reaktorsicherheit (GRS) warnte schon 1992 in einer Arbeit für das
      Bundesumweltministerium eindringlich vor diesen Überspannungen.
      IPPNW: "Aber in Deutschland ignoriert man sicherheitstechnische
      Schwachstellen, die man nicht lösen kann schlichtweg nach dem
      Motto: Augen zu und durch. Bis es mal zu spät ist." 

      Siegmar Gabriel ist als Chef des Bundesumweltministeriums zugleich
      für die Bundesatomaufsicht zuständig. Dies schließt die Verantwortung
      für vorhersehbare Katastrophen-Abläufe nach dem Muster der
      Beinahe-Katastrophe vom 26. Juli ein. Gabriel ist gegenüber den
      Länderministern weisungsbefugt. Bisher allerdings versandte das
      Berliner Atom-Ministerium lediglich eine dürre Pressemitteilung (3.08.
      17.21 Uhr). Darin heißt es, es würden derzeit Konsequenzen aus dem
      "Störfall im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark" geprüft und
      geklärt, "ob die zugrunde liegenden sicherheitstechnischen Mängel
      auch in deutschen Atomkraftwerken vorliegen können". 

      Bei den vier deutschen Energieversorgern und AKW-Betreibern E.on,
      EnBW, Vattenfall und RWE herrscht zur Zeit völlige Funkstille. Es dürfte
      allerdings nicht allzu lange dauern, bis die Propaganda-Abteilungen der
      Atom-Mafia neuen Finten aus dem Hut zaubern. Allzu fadenscheinig
      erschiene es dieser Tage, weiterhin den "leider viel zu langsamen"
      deutschen "Atomausstieg" damit schmackhaft machen zu wollen,
      indem sie von ganz rechts mit einem "Ausstieg aus dem Ausstieg"
      drohen lassen. 

        

      Klaus Schramm 

        

      Anmerkungen 

      1 Siehe auch unseren Artikel 

            'Wieder mal Panne im AKW Biblis' (22.04.04) 

      2 Siehe auch unseren Artikel 

            'Friedensnobelpreis an die IAEO 
            - die Lobby der Atom-Mafia (7.10.05) 




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