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<p style="margin-bottom: 0cm">Liebe Nina,</p>
<p style="margin-bottom: 0cm">aus den wenigen Worten kann ich sicher
nicht behaupten, zu wissen, was Du falsch machst oder nicht
verstanden hast. Was ich schreibe, hat also (auf Dich bezogen) nur
den Charakter einer Vermutung.</p>
<p style="margin-bottom: 0cm">Ich selbst bin als Atheist
aufgewachsen
und stand religiösen Ritualen immer sehr skeptisch gegenüber.
Inzwischen kann ich das mögliche positive Potential solcher
Handlungen erkennen; dennoch bleibt auch meine Skepsis. Du
beschreibst - wahrscheinlich für einen großen Teil solcher
Handlungen zutreffend - wie sie aus einer Angst vor (göttlicher)
Strafe begangen werden. Wenn ich etwas tue, weil ich glaube, daß
eine Macht, die mich beherrscht, es so von mir erwartet und mich
anderenfalls bestraft, dann ist das keine Handlung aus eigener
Überzeugung der Richtigkeit, sondern eine Handlung der
Unterwerfung.
Ich zeige mich als Untertan und wälze meine Verantwortung auf
meinen
Herren und Beherrscher ab. Die Verwechslung dieser Unterwerfung
mit
religiöser (aber auch jeder anderen) Überzeugung (bzw. Glauben)
ist
die Folge der Pervertierung und Instrumentalisierung der Religion
durch weltliche Herrschaft. Im Christentum ist das spätestens seit
der Zeit üblich, als dieses im Römischen Reich zur Staatsreligion
wurde. Dennoch gibt es auch innerhalb der großen Kirchen noch
echte
Religiosität, denke ich heute; und vielleicht kann man darin ein
Wunder erkennen.</p>
<p style="margin-bottom: 0cm">So viel zu unserer Christlichkeit oder
allgemeiner, zu unserer Religiosität.</p>
<p style="margin-bottom: 0cm">Wenn Du oder ich für das
bedingungslose Grundeinkommen kämpfe (oder wirke), und das nur
oder
hauptsächlich in dem Glauben tue, ich täte das für Andere, dann
kann es leicht dazu kommen, daß ich daran - und an der
Undankbarkeit
dieser Anderen - verzweifle. Ich tue alles was ich tue nicht in
erster Linie für andere, sondern für mich; für mich als Mensch
unter Menschen. Das heißt, ich unterscheide mich nicht von den
andern Menschen. Wenn ich sie für undankbar halte, muß ich es auch
sein, wenn ich sie für böse oder dumm halte, muß ich es auch sein.
Entweder ich glaube also an das Schlechte im Menschen, dann wäre
es
wohl das beste, damit Schluß zu machen - zuerst mit mir selbst.
Oder
ich finde das Gute in mir und genauso in den anderen Menschen,
dann
kann ich gar nicht anders handeln, als für die Ermöglichung dieses
Guten in unserer Welt zu wirken; unabhängig davon, ob ich "Erfolg"
damit habe oder nicht und unabhängig davon, ob es jemanden gibt,
der
mich dafür in diesem Leben oder bei anderer Gelegenheit belohnt
oder
bestraft. Dieses Wirken ist selbst das Eigentliche und Wirkliche.
Es
braucht keinen Lohn. Sich für diese Art Unabhängigkeit,
Selbständigkeit und Selbstverantwortlichkeit zu entscheiden, ist
ein
Akt der Freiheit, denn ich könnte mich auch irgendeiner der
"herrschenden Mächte" unterwerfen und mir das Leben damit
scheinbar einfacher machen. Genau genommen können wir aber unsere
Verantwortung nicht abgeben, denn mindestens für diese Abgabe
müßten
wir uns selbst entscheiden und wären also dafür verantwortlich.
Ich
glaube Sartre hat diesen Umstand als Zwang zur Freiheit
charakterisiert. Obwohl er logisch damit recht hat, will ich ihm
da
aber nicht folgen.</p>
<p style="margin-bottom: 0cm">Trotz all der vielleicht klugen
Ratschläge kenne ich aber auch das Gefühl der Vergeblichkeit
meiner
Bemühungen mit der "Weltverbesserung". Warum will mich
keiner verstehen, wenn ich - zum Beispiel - vom Grundeinkommen
rede?
Offensichtlich habe ich noch nicht den richtigen Ansatzpunkt
gefunden. Da ich aber überzeugt bin, daß ich mich nicht
grundsätzlich von anderen Menschen unterscheide, kann es nur an
Äußerlichkeiten oder Besonderheiten liegen, wenn ich den richtigen
Kontakt nicht finde. Um Zugang zu anderen Menschen zu bekommen, um
ihr Vertrauen zu erhalten, muß ich ihnen zuerst deutlich machen,
daß
ich sie wirklich als ebenbürtig betrachte. Gleichheit ist dagegen
eine zwiespältige Bezeichnung, denn die Menschen sind sowohl
gleich
als auch ungleich; aber Ebenbürtigkeit ist ohne Zweifel. </p>
<p style="margin-bottom: 0cm">Herzlichen Gruß</p>
<p style="margin-bottom: 0cm">Jochen</p>
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