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    <p style="margin-bottom: 0cm">Lieber Bernd,</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Du hast natürlich Recht, daß das
      Argument "keine Zeit" immer auf eine Entscheidung gründet,
      womit man seine Zeit ausfüllen will, aber Du wirst mir sicher
      nicht
      bestreiten, daß es Anforderungen gibt, die man nicht
      beiseiteschieben kann, ohne daß damit die eigene Existenz
      zumindest
      in der gegenwärtigen Form bedroht würde. Ich setze also
      Prioritäten, und die Diskussion über die Staatsbürgersteuer steht
      für mich nicht an erster Stelle (aber immerhin weit oben auf
      meiner
      Liste). Was dieses Argument im Beispiel mit den Studenten
      betrifft,
      halte ich es auch für falsch und kurzsichtig, wenn Du etwa mit
      Deiner Entgegnung sagen willst, es läge nur an der Faulheit der
      Studenten. Für mich stellt sich hier die Frage, wieso sind denn
      die
      Studenten so geworden (es ist ja keine Einzelerscheinung). Und das
      läuft für mich wieder darauf hinaus, daß sie eben das Produkt
      unseres Bildungswesens sind. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Zu Staatsbürgersteuer 4.6 Wettbewerb
      und Wirtschaftswachstum</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Hinweis auf einen Schusselfehler: Du
      schreibst, das Proterozoikum begänne vor 600 Milliarden Jahren.
      Der
      uns zugängliche Kosmos wird nach der gängigen Urknalltheorie auf
      ca. 15 bis 17 Milliarden Jahre geschätzt, die Erde auf 4,5
      Milliarden. Beim Proterozoikum handelt es sich also um Millionen.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Darüberhinaus halte ich
      Analogieschlüsse zwischen natürlicher Evolution und
      Wirtschaftswachstum für sehr zwiespältig. Schon mit Darwin und dem
      Darwinismus verhält es sich ähnlich wie mit Marx und dem
      Marxismus;
      der Streit um die "richtige" Interpretation zieht sich
      endlos hin. Allgemein sind Vergleiche zwischen natürlichen und
      gesellschaftlichen Entwicklungen nicht geeignet, irgendetwas zu
      beweisen, bestenfalls sind das mehr oder weniger schöne
      Illustrationen, da man je nach Standpunkt für jede Ansicht ein
      geeignetes Beispiel in der Natur finden kann. Die Natur ist eine
      Offenheit, in die wir hineininterpretieren, was wir gerade für
      richtig halten.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Du sagst, Du meinst nicht nur
      quantitatives Wachstum und ich glaube dir auch, daß Du das so
      meinst, aber das Maß für das Wirtschaftswachstum ist nach wie vor
      das BIP, und das ist eine abstrakte Größe, die keinerlei andere
      Qualitäten kennt, als ihre eigene Quantität. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Meinen Bezug auf Adam Smith hast Du
      offensichtlich völlig mißverstanden; ich habe nicht versucht, ihm
      die Probleme unserer Zeit anzulasten; ich habe lediglich
      festgestellt, daß er als einer der ersten einen Gedanken
      formuliert
      hat, der bis heute das Denken der bürgerlichen
      Wirtschaftswissenschaft bestimmt, obwohl er immer schon falsch
      ist.
      Und die gewalttätige Vergangenheit unserer Zivilisation (wie auch
      die Gegenwart), hat nach meiner Ansicht durchaus mit diesem
      Menschenbild zu tun. Daß DDR und Sowjetunion räuberisch mit der
      Natur und den Menschen umgegangen sind, ist keine Frage, aber wenn
      wir die globalen Schäden menschlichen Wirtschaftens aufrechnen
      wollten, kommen die kapitalistischen Wirtschaften sicher nicht
      besser
      weg. Daß zwischen sogenanntem Sozialismus und Kapitalismus hier
      kein
      grundsätzlicher Unterschied besteht, liegt für mich daran, daß sie
      beide Herrschaftsgebilde sind. Darin liegt letztlich auch der
      Grund
      für die zwanghafte Wachstumspropaganda: Herrschaftsstrukturen
      können
      nur wachsen oder untergehn.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Für Deinen Literaturtip (Weltmacht
      USA: Ein Nachruf) danke ich Dir. Daß die USA da ihren Höhepunkt
      überschritten haben, ist auch meine Überzeugung; ich bin mir nicht
      sicher, ob ich früher schon von diesem Buch gehört habe. Soweit
      ich
      aus dem Wikipedia-Text entnehmen kann, hätte ich dazu aber einige
      kritische Anmerkungen. Einmal hat der Autor wohl die Rolle Chinas
      ganz übersehen, zum Anderen denke ich aber, daß ein anderer Aspekt
      noch wichtiger ist. Mit der Globalisierung, die im Grunde so alt
      ist,
      wie der Kapitalismus, verliert die nationalstaatlich organisierte
      Politik immer mehr an Bedeutung und die USA sind nur ein
      Instrument
      des globalisierten Finanzkapitalismus das notfalls auch geopfert
      wird, so wie jedes andere nationalstaatliche Gebilde.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Was die geschichtlichen Wurzeln
      unserer
      Zivilisation angeht, habe ich meine Sicht vor kurzem hier auf der
      Debattenliste veröffentlicht mit der "Geschichte eines
      Irrtums", womit ich die Errichtung patriarchalischer
      Herrschaftsverhältnisse meine. All das, was Du hier schreibst
      (Normannen, Drake ...) ist ein kleiner Teil davon. Daß das alles
      nichts mit Adam Smith zu tun hätte, halte ich für falsch, weil
      eben
      das zugrunde liegende Menschenbild ein Ergebnis dieser
      Räuber-Mentalität ist.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">"Marktwirtschaft braucht Frieden."
      Das ist die eine Seite der Wahrheit; Marktwirtschaft nutzt auch
      den
      Krieg, wenn er ein profitables Geschäft verspricht. Damit das
      verhindert wird, braucht sie einen genau definierten politischen
      Rahmen, der verhindert, daß die negativen Auswüchse, die
      potentiell
      in der Marktwirtschaft enthalten sind, Realität werden. Ich
      wundere
      mich ein bisschen, daß Du doch die meisten negativen Auswirkungen
      der "Marktwirtschaft" siehst, aber dennoch glaubst, das
      wären nicht zwangsläufige Folgen einer "freien" (d.h.
      unregulierten) Marktwirtschaft. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Ich betone noch einmal, was ich schon
      vorher gesagt habe: Ich sehe in der Staatsbürgersteuer durchaus
      eine
      Verbesserung gegenüber dem jetzigen Zustand; ich sehe auch, daß
      sie
      die Vermögenskonzentration bremst. Aber ich möchte mich nicht
      darauf allein verlassen, deshalb halte ich eine Geldreform
      außerdem
      für unumgänglich.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Du berufst dich öfter auf die
      Anpassungsfähigkeit der Marktwirtschaft an Veränderungen. Ich
      halte
      eine blinde Anpassung an irgendwelche Veränderungen nicht für
      erstrebenswert und denke, wir sollten erstmal schauen, was das für
      Veränderungen sind, worauf sie zurückzuführen sind und worauf sie
      hinauslaufen. Die meisten Veränderungen, an die sich die
      Marktwirtschaft anpasst, sind selbsterzeugt, laufen auf
      Profitmaximierungen hinaus und die sind nicht immer (ganz
      vorsichtig
      formuliert) im Interesse der Verbesserung der Lebensqualität.
      Damit
      bestreite ich natürlich nicht Deine Aussagen über die
      Unbeweglichkeit bürokratischer Herrschaftsapparate und deren
      Beharren auf Eigeninteressen. Das finde ich wie Du schädlich für
      die Gesamtheit. Ich sehe als einziges Mittel gegen solche
      bürokratischen Verkrustungen die Schaffung von mehr aktiven
      basisdemokratischen Strukturen; die sind nicht unbedingt schneller
      (müssen sie auch nicht sein) aber sie garantieren, daß
      Entscheidungen, wenn sie einmal gefällt sind (am liebsten im
      Konsens, aber wenigstens mit qualifizierten Mehrheiten), dann auch
      mit großer Kraft umgesetzt werden können.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Noch einige Bemerkungen zu den
      Diskussionen um die Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommens.
      Ich
      komme persönlich mit weit weniger aus, als allgemein als
      Mindestbetrag für ein wirkliches BGE betrachtet wird, aber meine
      persönliche Situation ist nicht verallgemeinerungsfähig und genau
      genommen auch nicht individuell nachhaltig. Das heißt, ich lebe
      von
      der Substanz und hinterlasse vielleicht nur einen Trümmerhaufen.
      Das
      kommt daher, daß es mir immer wichtiger war, das zu tun, was ich
      für
      richtig und wichtig halte und nicht das, wofür ich bezahlt werden
      könnte. Für die Abschätzung der richtigen Höhe eines
      bedingungslosen Grundeinkommens ist aber entscheidend, mit welchen
      Mitteln ein durchschnittlich lebender Mensch angemessen an der
      Gesellschaft teilhaben kann; natürlich ist auch die
      wirtschaftliche
      "Leistungsfähigkeit" dieser Gesellschaft dabei von
      Bedeutung. Um einen Betrag in Euro für das Grundeinkommen zu
      erhalten, gehe ich beispielsweise vom BIP der BRD von 2014 aus.
      Das
      wird mit 2903,2 Milliarden ¤ angegeben. dabei ist noch zu
      berücksichtigen, daß viele der multinationalen oder globalen
      Konzerne durch vielfältige Tricks ihre in Deutschland
      erwirtschafteten Gewinne nicht in Deutschland versteuern. Würde
      man
      derartige Steuervermeidungen bzw. Gewinnverlagerungen verhindern,
      wüchse das BIP noch um nicht wenige Milliarden. Ich nehme aber
      jetzt
      trotzdem die angegebenen Zahlen als Grundlage meiner Abschätzung.
      Bei 82 Millionen Deutschen ergibt sich ein Pro-Kopf-Einkommen von
      rund 35405¤ im Jahr, also 2950¤ im Monat. Angenommen, wir würden
      uns entschließen, davon 950¤ an die Menschen als Grundeinkommen
      auszuzahlen, weitere 1000¤ dem Staat für alle seine Aufgaben zur
      Verfügung stellen, dann blieben immer noch 1000¤, die an die
      "Leistungsträger" "leistungsgerecht" verteilt
      werden könnten. Ich sehe da überhaupt keine ökonomischen Probleme;
      es brauchte lediglich den politischen Willen. Die Behauptung, daß
      das einigen Leuten nicht genug sein könnte und sie deshalb nicht
      mehr mitspielen werden, finde ich nicht bedrohlich. Ich glaube,
      daß
      es uns nicht schadet, wenn wir denen dann erlauben, auf die
      Kaiman-Inseln auszuwandern, oder wohin sie sonst wollen. Die
      Mitnahme
      ihres Vermögens, das sie ja nicht allein erwirtschaftet haben,
      sollte allerdings beschränkt werden. Ich bin mir ziemlich sicher,
      daß es uns ohne diese "Leistungsträger" besser gehen
      würde. Das ist natürlich noch keine Lösung für die Menschheit;
      ich habe ja schon anderweitig klar gemacht, daß Deutschland nicht
      als eine Insel der Glückseligen existieren kann, wenn im Rest der
      Welt weiterhin Not und Elend herrscht.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Man kann die selbe Überlegung auch für
      die Welt als Ganzes anstellen. Einzig die Frage, wohin dann die
      "Leistungsträger" auswandern wollen, wird dabei
      schwieriger.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Ich werde mich nach und nach durch die
      umfangreichen Texte zur Staatsbürgersteuer weiter durcharbeiten in
      der Hoffnung, daß ich mit den dabei gewonnenen Erkenntnissen
      irgendwas zu einer praktikablen Lösung unserer gegenwärtigen
      Probleme beitragen kann.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Herzlichen Gruß</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Jochen</p>
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