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    <meta http-equiv="CONTENT-TYPE" content="text/html;
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    <p style="margin-bottom: 0cm">Lieber Bernd,</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">ich habe den Austausch zwischen Dir
      und
      Bert als stiller Mitleser verfolgt und mich auch schon ein wenig
      in
      die Texte auf der Staatsbürgersteuer-Website eingelesen. Obwohl
      ich
      für ein BGE nach den Kriterien des Netzwerks eintrete, finde ich
      doch die Debatte über die Staatsbürgersteuer hier sehr nützlich,
      denn es könnte ja nichts neues zustande kommen, wenn wir hier nur
      gleichartige Standpunkte konstatieren. Ebenso finde ich Deine
      Haltung
      richtig, daß eine Konsenslösung besser ist, als ein Kompromiß.
      Aber wo sich kein Konsens einstellen will, ist halt ein Kompromiß
      die Notlösung; was leider zu oft geschieht.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Obwohl ich in meiner Grundhaltung
      näher
      bei Bert stehe, als bei Dir, verstehe ich Deinen Vorwurf der
      ideologischen Reaktion. Ich denke aber, daß, wenn wir nüchtern auf
      unsere Überzeugungen und Debatten blicken, wir feststellen müssen,
      daß es keine ganz ideologiefreien Fakten gibt und daß alle unsere
      Urteile immer auch Vorurteile sind. Die Auflösung der Vorurteile
      und
      des Ideologischen kann nur in einem ständigen Prozeß der
      Weiterentwicklung und des Austausches stattfinden. So sehe ich
      also
      auch Deine Überzeugungen vom Kapitalismus als Ideologie oder als
      Vorurteil an. Und natürlich schließe ich meine eigenen
      Überzeugungen nicht davon aus.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm"><br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Daß Du kein Interesse an einer
      Kategorialanalyse des Wertbegriffs hast, ist in dem
      Argumentationszusammenhang des Steuermodells verständlich (bzw.
      akzeptabel). Wenn man von der Existenz einer Geldwirtschaft
      ausgehend
      ein Steuermodell entwickeln will, ist das entbehrlich. Wenn man
      sich
      aber mit den systemimmanenten Schwierigkeiten geldwirtschaftlicher
      Organisation unserer materiellen Existenz befaßt, kommt man an
      einer
      Begriffsbestimmung nicht vorbei. Und dann wird schnell klar - wenn
      man sich in die dazu existierende Literatur vertieft - daß man
      Marx
      nicht ignorieren kann. Das muß nicht unbedingt bedeuten, daß man
      Marxist werden müßte. Insbesondere heißt das nicht, daß Marxismus
      in dem Sinne, wie er im sogenannten "real existierenden
      Sozialismus" praktiziert wurde, eine notwendige und
      zwangsläufige Folge der Marxschen Arbeiten sein muß. Dieses Thema
      will ich aber hier und jetzt nicht vertiefen.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm"><br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Kapitalismus und Wohlstand</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Du behauptest, wie auch viele Liberale
      oder Neoliberale, daß der Kapitalismus im großen Ganzen gesehen
      der
      Menschheit Wohlstand gebracht hätte. Ich halte das für eine (eben
      liberale) Ideologie, die nicht den Tatsachen entspricht. Es ist
      natürlich problematisch, die existierenden Alternativen ohne
      weiteres als Maßstab der Beurteilung zu nehmen, weil es allesamt
      nur
      Varianten von Herrschaftsverhältnissen sind. Aber auch davon
      abgesehen ist diese Behauptung für mich zweifelhaft. In den
      statistischen Darstellungen, die diese Behauptung untermauern
      sollen,
      wird oft die Entwicklung des Geldeinkommens als
      Wohlstandndsindikator
      genommen. Es wird argumentiert, daß Menschen, die vor der
      kapitalistischen Organisation ihres Lebens kein Geldeinkommen
      hatten
      und nun täglich einen Dollar durchschnittlich verdienen, einen
      Zuwachs an Wohlstand genießen würden. Dabei wird ignoriert, daß
      diese Menschen vorher auf dem Land, welches sie traditionell
      bewohnt
      und bewirtschaftet haben, in Subsistenzwirtschaft alles für ihre
      Existenz notwendige selbst erzeugt haben. Die kapitalistische
      Kolonialisierung (auch wenn sie nicht mehr so genannt wird)
      vertreibt
      sie von ihrem angestammten Land. Das ist aber natürlich keine
      Enteignung, denn sie hatten ja keine Grundbuchurkunde, die sie als
      Eigentümer ausweist. Also kann eine korrupte "Regierung"
      des jeweiligen Landes die Flächen zum eigenen Vorteil an
      ausländische Unternehmen verkaufen oder verpachten. Und ein Teil
      der
      vertriebenen Bevölkerung darf dann, wenn sie "Glück"
      haben, für einen Dollar pro Tag auf den Plantagen schuften. Und
      das
      erscheint in den Statistiken im Westen als Wohlstandsgewinn.
      Sicher
      gibt es auch glücklichere Entwicklungen, aber nach meinem Eindruck
      ist das beschriebene Muster sehr verbreitet und dominant. Auch zu
      allen anderen Beispielen von behauptetem Wohlstandszuwachs kann
      man
      jeweils Gegenbeispiele finden, die solche Verallgemeinerungen
      widerlegen. Deshalb bin ich der Meinung, daß Marxens
      Verelendungsprognose durchaus nicht falsifiziert ist. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Daß der kapitalistische Westen in der
      Zeit der Systemkonkurrenz mit dem "sozialistischen Lager"
      sich erfolgreich als der leistungsfähigere gezeigt hat und daß er
      in der Lage war, um diesen Nachweis zu liefern, den Wohlstand der
      Massen in den Zentren der Industrialisierung so hoch zu schrauben,
      daß es die Menschen im "Sozialismus" und auch sonst
      überall auf der Welt anlockte, steht natürlich auch nicht in
      Frage.
      Aber das war ein Opfer im Konkurrenzkampf, und seit diese
      Konkurrenz
      nicht mehr besteht werden auch diese Zugeständnisse systematisch
      wieder zurückgenommen. Welchen anderen Grund gäbe es sonst bei
      angeblich ständig wachsender Produktivität für das Aufgehen der
      Reichtumsschere seitdem?</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Wir sind uns wahrscheinlich darin
      einig, lieber Bernd, daß wir bis jetzt über keine praktikable
      Methode verfügen, wie wir die Wirtschaft weltweit ohne Geld
      organisieren könnten und deshalb zunächst eine politisch
      gesteuerte
      Marktwirtschaft ohne Alternative ist. Für mich ist das eine
      Einsicht, die den Charakter eines Kompromisses hat, zu dem ich
      früher
      nicht bereit gewesen bin. Aber solange wir die bessere Lösung noch
      nicht haben, muß es wohl sein. Zu dieser Übergangslösung gehört
      für mich zwingend eine Reform des Geldsystems im Sinne Silvio
      Gesells, die in der Lage ist, die verheerenden Wirkungen des
      Zinses
      zu neutralisieren, ohne die anderen Mechanismen des Marktes zu
      beeinträchtigen. Und auch das bedingungslose Grundeinkommen ist
      ein
      Mittel, das neben anderen positiven Auswirkungen erst einen
      wirklichen Arbeitsmarkt möglich macht. Nämlich, indem es die
      zwanglose Übereinkunft zwischen sogenanntem "Arbeitgeber"
      und "Arbeitnehmer" ermöglicht. Deshalb ist es für mich
      auch selbstverständlich, daß ein Grundeinkommen letztlich weltweit
      zur Verfügung gestellt werden muß, wenn wir nicht nur in den
      westlichen Industriezentren ein privilegiertes Leben führen
      wollen.
      Für mich stehen die Menschen in diesen Zentren in einer Schuld als
      Profiteure des alten und neuen Kolonialismus gegenüber dem Rest
      der
      Welt. Die notwendige Wiedergutmachung muß aber natürlich vor allem
      von denen geleistet werden, die auch am meisten profitiert haben.
      Sicher wird es nicht ausreichen, Geld aus den Reichtumszentren in
      die
      armen Regionen der Welt zu transferieren, weil auch die
      politischen
      Verhältnisse oft völlig zerrüttet worden sind und eine
      funktionierende demokratische Selbstverwaltung nicht einfach
      installiert werden kann. Aber in dieser Richtung liegt schließlich
      auch die Lösung der weltweiten Migrationsprobleme, die uns
      gegenwärtig so viel Kopfzerbrechen machen.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm"><br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Leistung und Einkommen</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Neben allem, was Bert Grashoff zur
      Beziehung zwischen Leistung und Einkommen geschrieben hat und was
      ich
      ebenso sehe, will ich noch einen anderen Aspekt betonen. Zunächst
      fällt eine Einkommensform aus der Beziehung zu irgendeiner
      Leistung
      heraus, das sind alle Einkommen aus Geldzins, Wertpapiergewinnen
      und
      Spekulationen. Alle diese Einkommen stehen in keinerlei Beziehung
      zu
      irgendeiner Arbeitsleistung, die man als Wertschöpfung definieren
      könnte. Aber auch der Anteil aller Einkommen aus Arbeit im
      weitesten
      Sinne läßt sich nicht auf eine definierbare Leistung zurückführen.
      Wir brauchen nur mal die Leistung und das Einkommen eines
      Hedgefonds-Managers und einer Krankenschwester vergleichen. Von
      der
      physischen Arbeitsleistung mögen beide vielleicht gleichermaßen
      stark belastet sein. Aber wodurch ist der enorme
      Einkommensunterschied dann begründet?</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Ich bin überzeugt, daß der Rang und
      die Einordnung in die Herrschaftsstruktur über die Höhe des
      Einkommens entscheidet, nichts anderes. Natürlich gibt es auch
      darin
      Ausnahmen, aber die sind im großen Ganzen bedeutungslos. Ein
      Bankdirektor muß nicht die besseren und umfassenderen Kenntnisse
      in
      Bankwesen und Ökonomie haben, im Vergleich mit einem
      Bankangestellten; er muß die richtigen Leute kennen und die
      richtigen Beziehungen pflegen. Das entscheidet darüber, wie viel
      er
      für sich vom großen Kuchen abschneiden darf. Und das trifft auf
      alle Bereiche der Gesellschaft zu. Du, lieber Bernd, beklagst ja
      auch
      die Ausbreitung von Korruption, aber die Grenzen zwischen
      Kriminalität und Normalität sind da leider völlig fließend.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">In Deiner Mail vom 24.12. schreibst Du
      am Ende: " ... z.B. das international vergleichsweise
      mittelmäßige Bildungswesen, das ineffiziente Gesundheitswesen oder
      die Korruption in Politik und Wirtschaft. Interessant, dass dies
      Bereiche sind, die nicht marktwirtschaftlich organisiert sind."</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Das insbesondere die Wirtschaft ein
      Bereich sei, der nicht marktwirtschaftlich organisiert sei, ist
      sicher ein Ausrutscher, oder hast Du das wirklich ernst gemeint?</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Ansonsten steht aber hier die Frage zu
      klären, wie Du, oder wie wir Effizienz definieren wollen. In
      meinen
      Augen und nach meinem Verständnis ist gerade der Versuch, das
      Bildungswesen und das Gesundheitswesen nach marktwirtschaftlichen
      Regeln zu organisieren für die Misere verantwortlich, die wir
      jetzt
      erleben. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm"><br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Konsum und Sparen</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Im Rahmen des
      Staatsbürgersteuer-Modells scheint es mir möglich, Konsum und
      Sparen als gleichwertig zu behandeln (obwohl ich das jetzt noch
      nicht
      endgültig beurteilen kann). Darüberhinaus ist aber diese
      Gleichsetzung ein Unding. Insbesondere halte ich es nicht für den
      Ausdruck von Sparsamkeit, wenn Besitzer großer Vermögen ihr Geld
      nicht durch Konsum verbrauchen, sondern gewinnbringend
      investieren.
      Ob der persönliche Gewinn da angemessen mit einem allgemeinen
      gesellschaftlichen Gewinn korrespondiert, ist leider überhaupt
      nicht
      ausgemacht. Sehr oft trifft eben gerade das Gegenteil zu.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm"><br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Bei allen Unterschieden in unseren
      Anschauungen möchte ich betonen, daß ich die Staatsbürgersteuer
      als einen Versuch betrachte, etwas mehr Gerechtigkeit in unsere
      Gesellschaft zu bringen. Aus meiner Sicht allerdings ist er zu
      halbherzig. Ich werde mich aber noch weiter damit befassen, wenn
      ich
      die Zeit dazu finde. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Mit einem herzlichen Gruß auch an alle
      Mitleser.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Jochen</p>
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