<html><head></head><body><div style="font-family: Verdana;font-size: 12.0px;"><div>
<p style="margin-bottom: 0cm">Hallo,<br/>
 </p>

<p style="margin-bottom: 0cm">tja, kennt ihr ja schon: Von Disziplin und Selbstdisziplin hält der Bert nicht viel, von Konsequenz nur, wenn sie über sich hinaustreibt. Da mir diverse Dinge zum bGE-Kontext dann doch im Kopf weiter herumspuken also entgegen meiner Abstinenz-Ankündigung doch wieder ein Beitrag. Unmittelbarer Anlass dafür ist die Entgegnung von Noch-Immer-Namenlos auf meine Bemerkungen zur Staatsbürgersteuer. Diese Entgegnung wirft m. E. einige Themenkreise auf, deren nähere Betrachtung sich im bGE-Kontext lohnt. Dazu habe ich schon wieder ein paar work-in-progress-Sachen, die ich vielleicht demnächst mal reinreichen werde. Unmittelbar will ich erstmal sagen: Yo, geil, beim 2. Blick auf die Staatsbürgersteuer bin ich zumindest in ein paar Hinsichten echt angetan. :o)</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Als ein Prolog zum Umgang miteinander möchte ich dies vorausschicken: Ich habe einen Moment darüber nachgedacht, wie ich mit der Wahl des Ansprache-Personalpronomens umgehen soll. Hier und da habe ich schon erlebt, wie pikiert und sogar wütend Leute abdrehen können, wenn sie nicht höflich gesiezt, sondern einfach vertraut geduzt werden. Mein erster Impuls war: Wenn mich also jemand siezt, scheint's wohl anständiger, auch zu siezen. Das entspricht im Wesentlichen auch meiner Alltagspraxis. Allerdings fand ich wiederum das Gesieze unangenehm, weil es so ein typisches Produkt bürgerlicher Kälte und Distinktion ist, das die vorhandenen Distanzen noch einmal sprachlich überhöht. Auch die Geduzten sind ja nie gänzlich vertraut. Wieso aber soll man bei den noch weniger Vertrauten die Distanz sprachlich noch zusätzlich mit Gesieze zementieren? Und wir kennen einander hier ja nun wirklich nur buchstabensüpplich. Ich finde das Gesieze unhöflicher, andere Leute finden das Geduze unhöflicher. Ich sage daher mal: Du darfst mich siezen, liebe(r/s) Noch-Immer-Namenlos, wenn dir das ein Bedürfnis ist. Ich find's unangenehm und unhöflich, kann aber damit leben. Ich werde dich duzen, weil mir das höflicher, nämlich einladender zu einer Begegnung auf menschlichem Niveau erscheint.</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Ich würde das nicht so ausführlich thematisieren, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass das etwas mit dem größeren Themenkreis des bGE zu tun hätte. Insofern Götz Werner ja in Bezug aufs bGE das Miteinander füreinander stark macht und ich hier beispielsweise immer mal wieder auf den Egalitätsgedanken hinzuweisen versuche, der im bGE m. E. angelegt ist, geht es bei der Sie/du-Frage durchaus um die Sache: Wollen wir einander mit der vorgeblich respektvollen Distanz des Gesiezes als Fremde, Ferne, Vornehme, voneinander Abgegrenzte begegnen oder nicht doch lieber mit der vorgeblich familiären Nähe des Geduzes als Ähnliche, Nahe, Profane, einander Zugewandte? Ich bin für Letzteres und wäre ad hoc jetzt für eine Petition an die Sprachwächter der Duden-Redaktion, das Höflichkeits-Sie für alle Ewigkeit aus der deutschen Sprache rauszustreichen, bin aber freilich zu faul, um das ernsthaft zu verfolgen …</p>

<p style="margin-bottom: 0cm"><br/>
 </p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Zur Sache: Mea culpa, Entschuldigung. Ich hatte ja gesagt, dass ich mich eher schnell und flüchtig durch die Staatsbürgersteuer-Website durchgeklickert hatte. Mein Hauptverständnisfehler war, dass ich mir den Sinn des Begriffs „Marginalsteuersatz“ echt nicht klar gemacht habe. Mag daran liegen, dass ein paar gewichtige Persönlichkeitsfragmente von mir noch immer glauben, dass Achill die Schildkröte einfach nicht wird einholen können, weil die Zeit doch nicht unabhängig von ihrem Wettlauf einfach so unbeeindruckt kontinuierlich weiterlaufen kann. Bei so einem spannenden Rennen muss die Zeit doch die Luft anhalten. Irgendwas sperrt sich in mir einfach gegen die Differentialrechnung, aber mit etwas Fokus auf andere Persönlichkeitsfragmente geht’s dann doch.</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Insbesondere die Grafik auf der Startseite hat bei mir den Eindruck hervorgerufen, dass es sich um ein Flat-Tax-Modell handelt. Ansonsten hatte ich nur hier und da ein klein wenig reingelesen und war von dieser Überzeugung nicht abgebracht worden.</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Sorry also dafür. Meine Flüchtigkeit, meine Schuld. Aber das ist ja der Vorzug einer Debatte: Im Dialog lassen sich Missverständnisse und Fehlauffassungen klären … So wie ich es schon bei Verena definitiv wichtig fand, die Bemühungen auch zu würdigen, bin ich dann andererseits zu unmotiviert, mir massenhaft Text reinzuziehen, der mir auf den ersten Blick nicht in die richtige Richtung zu führen scheint. Das sieht nun auf dem 2. Blick bei der Staatsbürgersteuer tatsächlich anders aus. Sogar sehr anders. Ich bin soweit echt beeindruckt. Wow, ziemlich cool.</p>

<p style="margin-bottom: 0cm"><br/>
 </p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Wegen meines Fehlverständnisses aus meiner Flüchtigkeit sei dir, lieb namenlos, auch die Falschzitation meines Beitrags verziehen, dennoch aber kurz drauf hingewiesen:</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Ich schrieb „Hebt man die auf irgendwas zwischen 80 und 100 % an [...]“, du zitiertest mich hingegen mit: "...Wenn man das irgendwie auf 100% anhebt..." Inhaltlich dazu vielleicht demnächst ein paar Worte. Ich schrieb „Flat-Tax“, du zitiertest mich hingegen mit „der von Ihnen als Flat-Rate diffamierte Tarif“.</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Schwamm drüber und Neuanfang. Aufwerfen möchte ich allerdings die Frage: Waren die Falschzitationen gezielte Provokationen oder bloße Nachlässigkeit?</p>

<p style="margin-bottom: 0cm"><br/>
 </p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Ich habe jetzt zwar hier und da etwas fliegend, aber zumindest bis etwa Punkt 3.3. die Staatsbürgersteuer-Website durchgelesen. Hier und da hätte ich ein paar kleinere Detailkritiken, die ich aber erstmal nicht festgehalten habe. Schon die U/V/Wette/X-Geschichte in 3.1. fand ich etwas schwierig nachzuvollziehen und hab's erstmal eher überflogen. Im Großen und Ganzen ist es bis 3.3. aber tatsächlich ein sehr angenehmer und schlüssig aufgebauter Text. Ab 3.3. werden dann ziemlich viele Detailaspekte und -konzeptionen angekickt. Da habe ich mindestens zum Teil politische Einwände gegen, bin mir aber auch über den Status nicht so gänzlich klar. Sind vielleicht eher Gedankenexperimente, was man wie machen könnte. Weniger verbindliche Vorschläge. Keine Ahnung. So oder so will ich die Website dann erstmal zu Ende lesen, um da eine klarere Meinung zu abzugeben. Dafür brauche ich mehr Muße. Im Hinterkopf habe ich auch schon ein paar grundsätzlichere Bedenken, die ich aber auch erst mit Kenntnis des Gesamttextes artikulieren möchte. Aber für den Augenblick will ich zumindest ein paar Dinge schon mal anmerken.</p>

<p style="margin-bottom: 0cm"><br/>
 </p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Daumen hoch!!! Insbesondere die Abschnitte 2.6. bis 2.8. schwebten mir als die basale Beweisstruktur für mein bGE-Buchprojekt vor, vgl. meine Debattenbeiträge hier im September und Oktober, vor allem die erste große Passage in https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/2014-September/003968.html sowie https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/2014-October/003998.html . In dem erstgenannten Beitrag hatte ich unter anderem die Frage „1. Gibt's so etwas vielleicht schon?“ aufgeworfen. Die würde ich jetzt nach Kenntnisnahme von 2.6. bis 2.8. bejahen. Yo, gibt es. Diagramm L1 und Erläuterungen drumherum in 2.8. finde ich didaktisch zu stark verdichtet. Ebenso die folgenden Diagramme A-/B-/CL bzw. -1. Ich wollte das in meinem Buchprojekt didaktisch unmissverständlich ausklamüsern, verstehe daher nicht nur, was gemeint ist, sondern bin auch echt beeindruckt von der schlichten und recht vollständigen Komprimierung aller Infos. Wirklich wahr: Geil! Ich habe mich beim Herantasten an diese Darstellung ein paar Wochen aufgehalten – und bin nicht annähernd zu einem Ende gekommen. Hier ist's klar dargestellt! Yeah!</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Aber die Darstellung ist dann m. E. didaktisch auch ein echtes Problem für alle, die's nicht eh schon klar haben oder Mathe- bzw. Steuer-Nerds sind. Dennoch: Respekt! Ich hatte erstmal kapituliert vor der schieren Menge des Gesetzesdschungels, durch den ich mich hätte durcharbeiten müssen, um's klar zu ziehen. Da es dir bzw. den Machern der Website klar ist, wäre meine Bitte: Didaktische Heranführung so, dass es auch Leute ohne Faible für Mathe verstehen können. Youtube-Videos, Powerpoint-Präsentationen, keine Ahnung, irgendwas, was auch Leute ohne große Bildung zu raffen imstande sind. Und: Öffnen der Schubladen - aus welchen Gesetzeskontexten ergeben sich die Einzelfragmente der Gesamtdarstellung?</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Dazu eine kleine Anekdote: In meinen ersten beiden Philosophie-Semestern gab's die Pflichtveranstaltung Logik mit vier Semesterwochenstunden plus Tutorium, also insgesamt etwa 100 Stunden über ein Jahr verteilt. Ich fand das lahm und unmittelbar einsichtig, die allerallermeisten meiner KommilitonInnen aber haben gestöhnt und hatten damit so ihre diversen Probleme und einen Haufen Widerstände. Für ein paar Semester habe ich danach dann in die Technomathematik geswitcht. Für die kaum zehn Technomathematiker in meinem Jahrgang gab's ein eigenes Tutorium, thematisch völlig offen. Eine Kommilitonin warf mal die Frage auf, was man zu Logik wissen müsse. Innerhalb von einer Stunde hat der Tutor dann nicht nur den gesamten Stoff der 100 Stunden Logik in der Philosophie präsentiert, sondern ist darüber inhaltlich sogar etwas hinausgegangen. Für die Mathematik-Studierenden war das ohnehin alles so etwas von klar … da ging's im Nu. Freilich auf einem ganz anderen Abstraktionsniveau, aber inhaltlich letztlich ausführlicher. Fand ich eine krasse Lektion in Sachen Verständnisfähigkeit. Ich bin jetzt auch nicht der Supercrack in Mathe, aber sicherlich auch deutlich über Durchschnitt. Und ich habe schon so meine Probleme, dem Abstraktionsniveau der mathematischen Darstellungen zu folgen. Von daher: Runterbrechen! Verständlich machen! So erläutern, dass es auch Leute ohne Faible für Mathe rallen können!</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Sollten sich meine Bedenken insgesamt in Grenzen halten, würde ich bei so etwas u. U. auch zukünftig behilflich sein. Nach dem jetzigen Stand der Zurkenntnisnahme ist's auf jeden Fall das vernünftigste Steuerkonzept, von dem ich bislang was mitbekommen habe.</p>

<p style="margin-bottom: 0cm"><br/>
 </p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Interessieren würde mich, was du, lieb namenlos, von dieser Einschätzung von mir hältst:</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">„Wenn man's denn so aufbereitet hat, dass das einerseits wissenschaftlich haltbar, andererseits didaktisch noch für die Otto-Normal-Dummerchens da draußen verständlich ist, dann würde ich auf drei Ebenen gleichzeitig angreifen: 1. Klage vor dem BVerfG gegen das komplette Staats- und Sozialversicherungssystem, gegen die komplette Staatsfinanzierung. Ich bin kein Jurist. Keine Ahnung, wie man das basteln muss. In der LINKEN wird's da sicher kompetente Leute für geben. Würde ich zumindest hoffen. 2. Verbreitung des gerechtigkeitstheoretischen und anreiztheoretischen Skandals auf allen verfügbaren Kanälen einerseits, andererseits selbstverständlich inhaltliche Agitation für die Vorteile eines bGEs ebenfalls auf allen verfügbaren Kanälen.“ (vgl. https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/2014-October/003999.html )</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Auf der Staatsbürgersteuer-Website gibt’s ja schließlich auch diese Bemerkung:</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">„Dass dies bisher nicht zu Aufständen und Revolten geführt hat, liegt nur daran, dass die Materie so kompliziert ist, dass kaum jemand dies Schwachstellen überblickt und anprangert.“ (vgl. http://www.staatsbuergersteuer.de/Synopse.htm )</p>

<p style="margin-bottom: 0cm"><br/>
 </p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Soweit für den Augenblick, liebe Grüße,</p>

<p style="margin-bottom: 0cm">Bert</p>
<br/>
 </div></div></body></html>