<html>
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    <meta http-equiv="content-type" content="text/html; charset=ISO-8859-15">
  </head>
  <body text="#000000" bgcolor="#FFFFFF">
    Hallo,<br>
    <br>
    ich habe gerade und wohl auch auf absehbare Zeit eher andere Foki,
    möchte aber zumindest ein wenig meinen Senf dazu geben. Wird aber
    für meine Verhältnisse knapper ausfallen als ich's mir wünschen
    würde.<br>
    <br>
    @Andreas S.<br>
    Ich sehe zwei inhaltliche Herausforderungen in deiner Mail. Meine
    Vermutung wäre ja, dass dein Verweis auf das gestern geschriebene
    Buch eine despektierliche Bemerkung in meine Richtung war, eine Art
    Persiflage, oder? Ist aber nur eine Vermutung, du machst das nicht
    wirklich klar. Falls dem so ist, möchte ich nur darauf hinweisen,
    dass die SciFi-story, an der ich schreibe, zwar auch
    theoretisch-sachliche Überlegungen enthält, in erster Linie aber
    eine Geschichte ist, die ich erzähle. Ich mag das
    Geschichtenerzählen lieber als den kalt-auftrumpfenden Logos. Und es
    erscheint mir angemessener, weil wir eigentlich vor
    sozialpsychologischen Problemen stehen und nicht vor logischen.<br>
    <br>
    Die erste Herausforderung ist die offensichtliche: Wer soll denn
    dann herrschen? Die finde ich relativ wenig herausfordernd. Niemand
    und alle wäre die simple polittheoretische Antwort, so etwas wie
    Mutter Natur oder der Heilige Geist in den Herzen und Köpfen der
    Menschen eine spirituelle, Urvertrauen auf die Sinnhaftigkeit der
    Einzelimpulse der Menschen innerhalb ihres Naturzusammenhangs bei
    jedem einzelnen Menschen.<br>
    Ich finde deine Frage in gewisser Weise falsch gestellt. Wenn ich
    Muße hätte, würde ich jetzt einen Bogen von der Dialektik von Herr
    und Knecht in Hegels Phänomenologie des Geistes bis hin zu Luhmanns
    Autopoiesis-Begriff schlagen. So deute ich das nur an, indem ich
    beispielsweise nochmal an die 23. Fußnote in Marxens Kapital
    erinnere, die ich Willi gegenüber mal zitierte. Die Quintessenz
    dieses Bogens wäre: Herrschaft ist ein gesellschaftliches Verhältnis
    und keine Einbahnstraße. Die organisierte Menschheit bewegt sich in
    unzähligen, hochkomplexen Netzwerken, in denen alle Einzelnen,
    selbst die ausführenden Kräfte, Verantwortung tragen. Keine Position
    in den oberen Hierarchieebenen könnte ohne diese vielseitige
    Verantwortung wirklich funktionieren. Die Hierarchien freilich
    versuchen alles zu durchformen, eine Richtung zu geben, Zweck und
    Sinn, nicht selten den von Macht und Ausbeutung, die leere
    Gefräßigkeit der Wertverwertung. <br>
    Ich bin in den letzten Jahren mindestens zweimal im persönlichen
    Kontakt mit Bekannten konfrontiert worden mit Verschwörungstheorien,
    die ziemlich ähnlich gestrickt waren wie die politische
    Großwetterlage in Orwells 1984. Wieder so ein Trippel: Drei
    Machtblöcke konkurrieren miteinander, die beiden schwächeren jeweils
    gegen den stärksten. Bis das Verhältnis kippt und einer der
    schwächeren zum stärksten mutiert. Dann gibt's einen Wechsel der
    Allianzen. Dem Protagonisten in 1984 fällt das vor allem auf, weil
    er nach einem solchen Allianzenwechsel die Zeitungsarchive so
    anzupassen hat, dass es so aussieht, als wäre die neue Allianz eine
    ewige gewesen.<br>
    Ich hab's nicht so mit Verschwörungstheorien, weil die mir
    gedanklich so undurchdringlich erscheinen. Die eine der erwähnten
    beiden ging von drei Konkurrenten aus: Katholische Kirche, Judentum
    und das dritte habe ich schon wieder vergessen. Die andere ging zwar
    auch von drei Machtblöcken aus, war aber subtiler darin, dass sie
    außerdem noch vermutete, dass alle drei Machtblöcke eigentlich in
    Einheit von einer kleinen Elite koordiniert werden, Weltherrschaft
    eine kleinen Minderheit da draußen irgendwo lauert.<br>
    Man kann so einen Begriff von Herrschaft haben. Aber er bleibt
    prolbematisch, weil das Gewimmel nie aufhören wird. Dort, wo die
    Herrschaft eine Schneise der verbindlichen Verantwortungen, der
    klaren kapitalen Interessen, des definitiven juristischen Systems
    schlägt, sind immer auch die kleinen Menschen mit ihren Macken und
    Ticks, ihrer Eigenwilligkeit, ihrem Nichtidentischen. Ganz zu
    schweigen von der Natur, die ja auch nicht zur Gänze verstanden ist
    und höchst eigenwillig bleibt. Deshalb schon wird das System nie so
    reibungslos funktionieren wie die Herrschsucht sich das in ihren
    Omnipotenz-Phantasien vorstellt. Herrschaft bleibt ewig ein
    dialektisches Verhältnis, würde ich denken. Oder verschwindet, was
    ich einfach, erlösender fände als zu gucken, ob die Omnipotenz sich
    nicht doch irgendwie realisieren lässt. <br>
    Das soll so etwas heißen wie: Ich glaube gar nicht daran, dass du
    Recht hast und die Reichen, Mächtigen etc. tatsächlich in
    irgendeinem absoluten Sinn herrschen würden. Sie bleiben Abhängige
    des Gesamtsystems, in gewisser Weise nicht weniger unterworfen als
    der Rest der Menschheit. Allerdings mit größeren Freiheiten und
    Entscheidungsbefugnissen ausgestattet. Das liegt vor allem daran,
    dass ich mich vor allem mit einer markt- und staatskritischen
    Theorietradition befasst habe, die Markt und Demokratie trotz all
    ihrer offensichtlichen Erlogenheit gleichwohl auch als reale ernst
    nahm. Die marxistische Theorietradition halt. Ich bin in Bremen in
    allen möglichen Systemen trotz all des spürbaren Drucks auch mit
    einer großen Menge Laissez-faire herangewachsen. Das gehört einfach
    zur bürgerlichen Gesellschaft dazu: Die Rechte des Individuums, sich
    nicht unterordnen zu müssen. Obwohl Hartz4 uns da freilich etwas
    anderes drüber erzählt und auch Recht behält: Letztlich bleiben wir
    dann doch wieder Untergeordnete des Systems, auch in all unseren
    kleinen Freiheiten. Das aber, wie gesagt, würde ich auch als Merkmal
    der Reichsten und Mächtigsten ansehen. We're in this together.<br>
    <br>
    Die zweite Herausforderung finde ich härter. Sie lag implizit in
    deinem Text: Die Reichen haben die größte Angst davor, arm zu
    werden. Die mit den größten Freiheiten und Entscheidungsbefugnissen
    sind diejenigen, die sich davor am meisten fürchten, sie zu
    verlieren. Das scheint mir in der Tat unser zentrales Problem zu
    sein. Die kleinen Leute glauben im Zweifelsfall sowieso an ein
    Miteinander füreinander. Wenn sie daran nicht mehr glauben können,
    dann werden sie welt-, fremd- oder autoaggressiv. Wie soll man sonst
    die Unterworfenheit aushalten? Bei den Mittelschichten wird das
    vermutlich schon etwas schwieriger: Die Radfahrer-Mentalität zeigt
    Wirkung, nach oben buckeln, nach unten treten. Man ist ja nicht
    Pöbel, sondern wenigstens irgendwie irgendwas Besseres. Je höher man
    in der Gesellschaft zu denen aufsteigt, die wirklich Masterpläne
    aushecken, über Leichenmeere gehen und sich einen auf ihren leeren
    Narzissmus auf ihrem Porsche oder ihrer Villa runterholen, desto
    sichtbarer dürfte das Problem werden: Wieso soll ich mich denn
    gemein machen? Und sei es so eine abstrakte Gemeinheit wie die eines
    anständigen bGEs? Wie sagt das Orakel über den Merowinger? Er will
    das, was alle Männer mit Macht wollen: noch mehr Macht. Ein Fass
    ohne Boden.<br>
    <br>
    Wie gesagt, meine Zeit ist gerade eher knapp für dies hier. Ich will
    daher jetzt nicht darüber meditieren, welche Leere eigentlich mit
    dem ganzen Konsumismus zugestopft wird. Das ist sozialpsychologisch
    ein weites Feld. Stattdessen möchte ich eine Metapher in den Raum
    werfen, die dem Thema vielleicht einen gewissen Spin geben könnte.
    Ich hatte bereits vor deiner Mail, lieber Andreas, darüber
    nachgedacht, mal über meine Rolle hier zu reflektieren. Hanswurst
    des Weltgeists erschien mir ein ganz prägnanter Titel. Ich erinnerte
    mich an eine Tradition der Anthroposophen, das Namen-Tanzen. Habe
    das selber nie gemacht, nur hier und da mitbekommen, dass darin wohl
    viel Heiterkeit steckt. Deshalb kam mir die Idee ulkig vor, hier mal
    eine kleine Choreografie des Hanswurst-Tanzes zu skizzieren. Dafür
    fehlt mir gerade die Muße. Der größte Hanswurst, den ich in der
    Literaturgeschichte kennenlernte, fiel mir dabei ein, wäre der Vater
    von Dostojewskis Brüdern Karamassow, Fjodor. Schon das hatte mich
    dazu angetrieben, mal wieder über den Großinquisitor (vgl.
    <a class="moz-txt-link-freetext" href="http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Großinquisitor">http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Großinquisitor</a> ) nachzudenken.
    Deine Herausforderung, lieber Andreas, macht das bei mir
    dringlicher. Ich will also ein Bild malen.<br>
    <br>
    Reisen wir auf einem Gedanken aus Licht in den Kerker, wo der
    Großinquisitor dem inhaftierten Jesus im ausgehenden Mittelalter
    seinen großen Rechtfertigungsmonolog schmeißt, die ethisch
    plausibelste Rechtfertigung von Herrschaft, die mir bislang
    begegnete. Möge sich dieser Gedanke aus Licht in einen Spinnenfaden
    verwandeln, an dem wir als Spinne baumelnd Teil des Kerkerbiotops
    werden. Bevor Jesus sein Kind, den Inquisitor, küssen wird, werden
    unsere acht Punktaugen m. E. etwas Sonderbares sehen: Angstschweiß
    auf des Inquisitors Antlitz. Werde ich in die Hölle fahren? Wird der
    Messias mich auf alle Zeit verfluchen? Werde ich auch nur einen
    Augenblick des Lieblosen in seiner allseitigen Liebe spüren? Wird er
    mich verachten? Wird Gott mich verstoßen wie den Widersacher?<br>
    Wie alle Spinnen intuitiv von ihren Opfern wissen, sind Angst und
    Wut enge Geschwister. Wo Angst ist, ist Wut häufig nicht sonderlich
    weit. Also fragen wir uns in der Luft baumelnd: Ist da Wut in des
    Inquisitors Wesen? Unsere feinen Sinne erspüren sie: Nur ein Mensch.
    Wieder und wieder nur ein Mensch. Und käme er milliardenfach wieder
    auf die Erde, wir könnten ihn kreuzigen und kreuzigen und kreuzigen.
    Welch Kinderspiel, ihn in den Kerker werfen zu lassen. Er wird
    auferstehen, ok, aber was soll's? Für meine machttaktischen, für
    meine politischen Ziele, für meine Führung der Menschen vor Ort ist
    er eine Gefahr. Wäre es nicht besser, ihn für den Augenblick aus dem
    Weg zu räumen?<br>
    Wir Spinnen kennen dieses Dilemma an unseren unterlegenen Opfern nur
    zu gut: Sie sind zwar wütend und würden gerne angreifen, aber wir
    sind gefährlicher. Sie sind auch ängstlich und würden am liebsten
    davon laufen, aber wir sind schneller. Wir sind Jäger, sie unsere
    Beute. Also fangen sie zu verhandeln an: Ach, musst du denn wirklich
    hier und jetzt ausgerechnet mich zu deiner Leibspeise machen?
    Dahinten ist doch auch ein hübsches Käferlein. Also monologisiert
    auch der Inquisitor. Ein Balanceakt zwischen Angst und Wut. Bin ich
    schon so tief in der Hölle, dass mich der Erlöser nicht mehr wird
    erlösen wollen? Dann sollte ich mich auf die Seite Luzifers schlagen
    und ihn morgen vor den Augen der Stadt hinrichten lassen. Oder ist
    er als Erlöser so stark, dass er mich aus den Untiefen der Hölle,
    die ich doch unter mir brodeln spüren kann, erretten wird, weil er
    auch sieht, dass irgendetwas Menschliches und Gutes in mir
    verblieben ist? Ich muss verhandeln, mich um Kopf und Kragen reden
    und darf den richtigen Augenblick für eine Entscheidung nicht
    verpassen: Angriff oder Unterwerfung.<br>
    <br>
    Ein Bild, das hoffentlich etwas klar macht: Wir sind so oder so im
    Miteinander füreinander. Die Reichen und Mächtigen sollten sich
    daher dafür entscheiden, Jesu Kuss zu erhoffen. Er sieht ihre Sünden
    ohnehin. Wozu lange quatschen? Sie sind noch nicht in die Hölle
    geworfen, sondern potent auf der Erde, die sie aber auch in eine
    Hölle verwandeln. Es bleibt ihre Wahl, wohin die Reise geht. Nicht
    nur ihre, letztlich vielleicht gar nicht. Ich würde denken, dass so
    etwas wie die Weltseele einfach reif dafür ist, das Miteinander
    füreinander ernst zu nehmen und die ganze Scheiße von ich bin
    besser/reicher/schöner/schneller/langschwanziger als du einfach mal
    ein bisschen zur Seite zu schieben. Ich finde Russell Brand da echt
    prägnant: Wir sind einfach zutiefst angeödet von diesem Spiel. Es
    ist lahm, langweilig. Mal abgesehen davon, dass es brutal und
    ekelhaft ist. Wir warten bloß noch darauf, dass ihr Reichen und
    Mächtigen das aber echt mal endlich rafft. Es ist so gräßlich
    langweilig, so übermäßig durch- und ausagiert, so unnötig geworden
    durch die irrwitzige Produktivität: Was soll das bloß noch? Für eure
    kleine Ego-Scheiße? Och menno, kommt klar, geht zum Analytiker,
    macht Tantra, schmeißt euch in ein spirituelles Volksfest in Indien.
    Just get in touch. Kann echt nicht so schwierig sein ...<br>
    <br>
    Ich hatte ja schon mal gesagt, dass ich die Trennung von Spreu und
    Weizen mit Flammenschwert nicht plausibel finde. Ich denke eher,
    dass alle Energie im Universum ihr Recht und ihre Existenz behält.
    Nicht als Identität, die es nicht gibt, sondern als Fließendes, als
    Erfahrendes, als Wirkmächtiges. Meine letzte Mail war ja in gewisser
    Weise nur eine Variation des Themas der one world, das immer
    virulenter wird, weil die Erde für die Menschen klein geworden ist.
    Schon mal bei Google Earth der blauen Kugel einen Schwung gegeben,
    der sie eine lange Weile schnell drehen lässt? Alles liegt zwar
    nicht so einfach vor unseren Füßen, aber bereits vor unseren Augen.
    Beam me up, Scotty, wird vielleicht auch nur noch ein Weilchen auf
    sich warten lassen ... Um mal einen der vielen Musik-Vibes zu geben,
    die sich mit diesem Thema befassen: <a class="moz-txt-link-freetext" href="http://youtu.be/Hk1BQva1Tak">http://youtu.be/Hk1BQva1Tak</a><br>
    <br>
    ...<br>
    <br>
    Gut, soweit erstmal dazu. Auf dich, liebe Verena, mag ich gerade
    nicht eingehen. Andere Sachen sind mir gerade wichtiger. Ich hoffe,
    dass du zumindest an meinem Schreibverhalten hier zu schätzen weißt,
    dass ich Aufmerksamkeit auf deine Bemühungen vermutlich gelenkt
    habe. <br>
    <br>
    Ansonsten habe ich ein paar Sachen, die ich noch reinkopieren kann,
    die vor ein paar Tagen entstanden sind: eine Reflexion zur
    Gewaltfrage und eine Mail an Willi, die er persönlich bereits bekam.<br>
    <br>
    Liebe Grüße,<br>
    <br>
    Bert<br>
    <br>
    <br>
    Schnipsel zur Gewaltfrage:<br>
    <meta http-equiv="CONTENT-TYPE" content="text/html;
      charset=ISO-8859-15">
    <p style="margin-bottom: 0cm">Die besungene Bitterkeit war in mir
      schon lange herangewachsen bevor ich diesen Cohen-Song erstmals
      bewusst wahrnahm:<br>
      „Now, you can say that I've grown
      bitter but of this you may be sure:<br>
      The rich have got their channels in the
      bedrooms of the poor<br>
      And there's a mighty Judgement comin'
      but I may be wrong<br>
      You see, I hear these funny voices in
      the Tower of Song“ (vgl. z. B.<a
        href="http://youtu.be/oiAuXRK3Ogk">http://youtu.be/oiAuXRK3Ogk</a>
      )<br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Die Kanäle der Beeinflussung der
      Knechte durch die Herren sind sicherlich nicht bloß und nicht in
      erster Linie die der Medien. Substantieller bleiben die
      Hierarchien
      in den Unternehmen und die schlichte individuelle Verfügungsgewalt
      über den gesellschaftlichen Reichtum gemessen in Geld. Einige
      haben
      davon mehr, mehr und noch mehr als andere.<br>
      Wäre dem aber nicht so, d. h. nimmt
      man die gesellschaftlichen Verhältnisse ohne die Verzerrung durch
      den Unterschied von reich und arm in nüchternem Neonlicht
      demokratischer Verhältnismäßigkeiten in Augenschein, dann muss man
      als Humanist angesichts des mächtigen Gerichts, das Cohen bei
      aller
      bleibenden Ungewissheit nicht weniger als ich kommen sieht, vor
      allem
      eins und sehr ernst fordern: Minderheitenschutz für Reiche und
      Selbständige/Unternehmer.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Vergegenwärtigen wir uns das kurz
      statistisch: Laut den zum Mikrozensus 2013 aufbereiteten Daten vom
      statistischen Bundesamt gibt es 4.430.000 Selbständige in
      Deutschland und 592.000 Leute, die von eigenem Vermögen leben
      (vgl.
      <a
href="https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/HaushalteMikrozensus/HaushalteFamilien2010300127004.pdf?__blob=publicationFile">https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/HaushalteMikrozensus/HaushalteFamilien2010300127004.pdf?__blob=publicationFile</a>
      , S. 52, Zeilen 46 und 58). Von den Selbständigen waren wiederum
      im
      Jahr 2012 57 % Solo-Selbständige und 43 % Selbständige mit
      Beschäftigten (vgl.
      <a
href="https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/Arbeitsmarkt/SelbststaendigkeitDeutschland_72013.pdf?__blob=publicationFile">https://www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/Arbeitsmarkt/SelbststaendigkeitDeutschland_72013.pdf?__blob=publicationFile</a>
      , S. 486 nach Eigenzählung, S. 5 nach PDF-Zählung, Schaubild 3),
      absolut also etwa 2.525.000 Solo-Unternehmer, etwa 1.905.000
      klassische Kapitalisten mit Beschäftigten, also
      Mehrwertproduzenten
      an der Wurzel der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft. Die
      Solo-Unternehmer sind Angehörige der freien Berufe und Leute, die
      sich halt so durchschlagen, mehr oder weniger scheinselbständig
      die
      meisten vermutlich. Erstens selbst und zweitens ständig und
      drittens
      meist dann doch nur von ein, zwei großen Kunden abhängig.
      Vermutlich beuten sich die meisten davon mehr aus als irgendein
      Arbeitnehmer in den tarifgesicherten Branchen in Deutschland sich
      das
      am eigenen Leib vorstellen kann. Zwar haben die Solo-Unternehmer
      und
      die Unternehmer mit Beschäftigten allein schon aufgrund der
      formellen Gleichheit als Selbständige das eine oder andere
      gemeinsame Interesse. Dennoch kann man diese beiden Gruppen m. E.
      kaum in einen interessentheoretischen Topf werfen. Die
      Solo-Selbständigen dürften weit mehr der Ware Arbeitskraft
      entsprechen als dem diese Ware ausbeutenden Kapital. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Wahlberechtigt waren bei der letzten
      Bundestagswahl etwa 61,8 Millionen Deutsche. Prima vista heißt
      das,
      dass die Selbständigen zusammen gut 7 % der Wahlbevölkerung
      ausmachen, gut 4 % der Wahlbevölkerung sind Solo-Selbständige,
      etwa
      3 % Selbständige mit Beschäftigten. Die Vermögenden machen nicht
      einmal 1 % der Wahlbevölkerung aus. Sehen wir von Direktmandaten
      und
      sonstigen Kinkerlitzchen der derzeitigen Repräsentationsregeln
      unseres Parlamentarismus für Bund und Länder ab, bedeutet das,
      dass
      eigentlich weder die beiden Gruppen von Selbständigen noch die
      Vermögenden in irgendeiner Weise als Interessengruppe in den durch
      5-Prozent-Hürde abgesicherten Parlamenten vertreten sein dürften.
      Die Wirklichkeit sieht zwar anders aus, aber was passiert, wenn
      der
      gesellschaftiche Schein zu sehr zu bröckeln und zu vibrieren
      anfängt? Ich glaube ja, dass das in den nächsten ein, zwei
      Jahrzehnten deutlich verschärftes Thema werden wird, wenn nicht z.
      B. mit einem bGE grundlegend gegen die schreiende Ungerechtigkeit
      der
      Einkommens- und Vermögensverteilung einerseits, gegen die
      kreischende Ungerechtigkeit gesellschaftlicher Gestaltungsmacht
      andererseits gegengelenkt wird. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Nun, die bürgerlichen Revolutionäre
      in Paris kramten vor zweieinviertel Jahrhunderten für die nervig
      gewordenen Feudalherren die Guillotine aus. Sie galt als
      effizient,
      schnell, human. Die Vernichtungslager der Nazis waren sicherlich
      noch
      effizienter und schneller. Von Humanität lässt sich in dem
      Zusammenhang allerdings freilich gar nicht sprechen, was ja auch
      schon bei der Guillotine einigen Zynismus erfordert. Mal
      angenommen,
      die Nichtvermögenden kämen zumindest in der Stärke von ein paar
      Millionen Leuten quer durch alle gesellschaftliche Gruppen zu der
      Auffassung, dass die Vermögenden und Strippenzieher der Wirtschaft
      den Bogen einfach komplett und schon viel zu lange überspannt
      haben.
      Bräuchte man mehr als ein, zwei, drei Tage, um sich ihrer
      endgültig
      zu entledigen?</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Wie gesagt: Diese Überlegungen heißen
      für mich etwas Absurdes. Minderheitenschutz für Reiche und
      Unternehmer ist unabdingbar, eine humanistische Kernaufgabe wie
      alle
      Bewahrung menschlichen Lebens. Das ist ja die tiefe Absurdität
      aller
      Klassengegensätze: Ein kurzer historischer Augenblick des heiligen
      Zorns der Knechte reicht vollkommen, um Jahrhunderte der
      gefestigtsten Herrschaft vom Erdboden zu wischen. Denn die Knechte
      sind einfach so, so viel mehr Menschen und auch diejenigen, die
      für
      die Herrschenden in der Regel die Ordnung bis hin zum Mord
      Unliebsamer aufrecht erhalten. Und es bedarf letztlich nur eines
      kleinen Funkens, um das Pulverfass der gerechten Unzufriedenheit
      zum
      Explodieren zu bringen. Ich habe den Eindruck, dass das noch immer
      sehr autoritätshörige und ja dann doch in weiten
      Bevölkerungsteilen
      auch noch immer sehr reiche Deutschland diese Möglichkeit gar
      nicht
      ernsthaft in Betracht zieht, während ich sowohl politisch als auch
      spirituell die Funken bereits fliegen sehe. Man vertraut da wohl
      auf
      die geschmiert laufenden Sicherheitsdienste. Doch trotz aller
      politischer Feigenblätter und volksgemeinschaftlichem „Wir haben
      uns doch alle lieb“ sollte m. E. niemand einfach ignorieren, dass
      das, was man mal gerne sozialen Frieden genannt hat, mindestens
      seit
      der Wende, eigentlich schon seit den 70ern, drastisch erodiert
      ist.
      Diese Erosion ist gesellschaftlich nicht neutral, sondern eine
      echte
      Gefahr für Leib und Leben letztlich aller Gesellschaftsmitglieder.
      Insbesondere gemäß der Worte von Hugo Weaving als V in dem
      Anschlussfilm der Wachowski-Geschwister nach den Matrix-Teilen für
      Leib und Leben der parlamentarischen Repräsentanten: "Das Volk
      sollte sich nicht vor seiner Regierung fürchten. Die Regierung
      sollte sich vor ihrem Volk fürchten."</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Für mich heißen diese Überlegungen
      in Bezug auf das bGE zweierlei: Erstens ist das Interesse von
      Unternehmenden und noch mehr von Vermögenden für ein
      gesamtgesellschaftliches Wert&Rechtsform-Konstrukt mangels
      demokratischer Masse komplett unerheblich. Mit diesem Interesse
      muss
      man sich nicht befassen, weil es viel zu wenige Leute sind, die es
      haben. Das sage ich übrigens als jemand, der derzeit recht
      ernsthaft
      über die Gründung einer GbR gemeinsam mit meiner Frau zur
      Organisierung von Selbstausbeutung und bestenfalls sozialer Arbeit
      nachdenkt. Zweitens muss man diese gesellschaftliche Minderheit
      aber
      wie jede Minderheit schützen. Insofern sollten ihre Interessen
      nicht
      unbeachtet bleiben. Aber sie rangieren halt allemal unter „ferner
      liefen“. </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Jürgen Becker hat vor ein paar Jahren
      in den Mitternachtsspitzen mal einen relativ humanen Vorschlag zum
      Umgang mit den oberen Zehntausend gemacht. Sinngemäß ging der
      ungefähr so (sorry, finde gerade nicht die entsprechende Folge,
      obwohl sie höchstwahrscheinlich irgendwo im Netz ist): Weisen wir
      doch irgendein chilliges Areal in Deutschland als Freizeitpark für
      Reiche aus, wo die sich dann mit ihrem gewohnten, von der
      Gesellschaft zu ihrer Abspeisung bereitgestellten Luxus tummeln
      können, den Rest der Republik aber auch in Frieden lassen, also
      nicht mehr in irgendwelche politischen oder ökonomischen
      Entscheidungsfindungen groß reinquatschen. Zumindest für die
      Leute,
      die wirklich nur ihr Geld arbeiten lassen und sich nicht einmal
      darum
      kümmern, dass ihr Geld arbeitet, wäre das m. E. nicht die
      schlechteste Idee.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Ich komme auf diese Gedanken
      einerseits, weil ich den Eindruck habe, dass sowohl Götz Werners
      als
      auch Verenas bGE-Modell in erster Linie sich um die Unternehmenden
      bekümmert zeigt. Klar, das wird rationalisiert mit dem Gestus der
      Gemeinschaftsverantwortung der Unternehmenden: Wenn die
      Lohnnebenkosten nicht arg so drückten, dann wäre die
      Arbeitslosigkeit gebannt und die Arbeit nicht mehr prekär. Diese
      Rationalisierung zieht zumindest bei mir nicht. Sie ist mir egal.
      Vor
      allem deshalb, weil diese Überlegungen nicht auf das
      gesellschaftliche Kernproblem eingeht, dass der fordistischen
      Arbeitsgesellschaft wegen Automatisierung die Arbeit ausgeht. Wo
      soll
      da ein Übergang zu sozialer Kulturarbeit gegeben sein? Soziale
      Kulturarbeit ist heute nahezu überall subventioniert, außer im
      Luxussegment. Da wird auch die Senkung von Lohnnebenkosten nichts
      dran ändern.</p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Zweitens komme ich auf diesen
      Gedanken,
      weil ich in der Matrix die Gewaltfrage ähnlich problematisch
      beantwortet finde wie in vielen Filmen, nämlich nach dem Motto
      „muss
      ja“. Das wird am deutlichsten im ersten Teil, wo sich Neo und
      Trinity zur Befreiung von Morpheus auf dem Hochhaus mit ein paar
      Agenten duelieren: „Nur ein Mensch“, sagt ein Agent und will in
      Neos Kopf abdrücken. „Nur eine Maschine“, entgegnet Trinity und
      ist schneller. Doch noch während des Hinfallens des bloß in einem
      Menschen flüchtig inkarnierten Agenten verwandelt sich der
      erschossene Körper
      wieder in den des menschlichen Piloten, in den der Agent bloß
      geschlüpft war wie ein Dämon in einen Besessenen. Also doch nicht
      nur eine Maschine, sondern ein in der Matrix und damit auch in
      echt
      getöteter Mensch (allerdings freilich im Film, also faktisch bloß
      eine von den hunderttausenden Filmleichen, die ich schon gesehen
      habe). Während der Agent sich irgendwo anders neu inkarniert.
      Klar,
      wie sollen sie sonst Befreiungskampf darstellen? Klar, wie soll
      sonst
      die ganze Actionscheiße gedeihen können? Der Widerstand geht in
      der
      Matrix über menschliche Leichen im Dienste der vorgeblich guten
      Sache, die schon deshalb aber eben gar nicht so gut sein kann,
      weil
      sie über Leichen dafür gehen müssen. Weder richtiges Leben, noch
      richtiges Töten existiert im unwahren Ganzen. Meine Frau ist von
      diesen Kleine-Jungs-Baller&Allmachts-Phantasien in Matrix so
      mächtig abgeturnt, dass sie die Filme trotz der durchaus auch für
      sie sichtbar interessanten Hintergrundgeschichte nicht gucken mag.
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">M. E. ist es die Pflicht derjenigen
      gesellschaftlichen Kräfte, die clever genug sind, die Erosion des
      gesellschaftlichen Zusammenhalts meinetwegen aus den Gini-Graphen,
      sozialpsychologischen Statistiken, dem Boom des Zombie-Genres oder
      aus welchen Indizien auch immer abzulesen, dieser Erosion etwas
      Nachhaltiges entgegen zu setzen. Dafür ist die bGE-Idee m. E. eine
      Chance, die sonst überall im System verbaut zu sein scheint. Wenn
      wir die nicht auch anständig nutzen, dann versündigen wir uns an
      unserer eigenen Zukunft und der sehr vieler anderer Menschen. Das
      sage ich erstens aus einem gewissen soziologisch-politischen
      Erfahrungsweitblick würde ich denken, zweitens wegen eines Haufen
      Indizien, die m. E. in diese Richtung deuten, drittens aus einer
      spirituellen Gewissheit, dass die nächsten Jahrzehnte drastischen
      sozialen Wandel auch in den westlichen Zentren mit sich bringen
      werden. In einem katholischen Bezugssystem würde ich es etwa so
      fassen: Luzifer und die Seinen werden es in den nächsten
      Jahrzehnten
      schwerer haben als gewohnt. Diejenigen, die ausreichend im Licht
      sind, sollten daher m. E. dem Düsteren ein wenig mehr das Händchen
      tätscheln als üblich. Ist eine harte Zeit für sie - auch wenn es
      faktisch gerade genau umgekehrt aussieht.<br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm"><br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm"><br>
      Mail an Willi:<br>
    </p>
    <p style="margin-bottom: 0cm">Lieber Willi,
      <br>
      <br>
      vielen Dank für dein freundliches Feedback. :o) Freut mich, dass
      du mein Geschreibe genießen konntest.
      <br>
      <br>
      Die Ethik-Moral-Geschichte verstehe ich so auf Anhieb nicht
      wirklich. Für mich sind beide Begriffe ziemlich dicht beieinander.
      Ich denke ja meist eher in konnotativen Wortfeldbedeutungen als in
      strikten Definitionen. Wegen der Relevanz von Adornos Begriff
      immanenter Kritik für mich ist auch in der begrifflichen Strenge
      alles immer so ein bisschen am wabern. Und es gibt sehr viele
      unterschiedliche Auffassungen davon, was Moral, was Ethik genau
      sei. Erfassbarkeit von Herrschaft durch Rationalität würde ich
      sicherlich nicht abstreiten wollen. Mir ging's eher darum, wo der
      Impuls, die Motivation, der Wille zur Herrschaftskritik und damit
      auch zu dieser Form von Rationalität herkommt. Und der lässt sich
      m. E. nicht gänzlich rational aufschlüsseln, er hängt einerseits
      wohl an einem leiblichen Moment, am sinnlichen Erspüren von
      Unterworfenheit, andererseits vermutlich an so etwas Vagem wie mit
      dem Seelen-Begriff ausgedrückt wird: Die Eigengesetzlichkeit des
      individuellen Sehnens und Wollens, die dagegen bleibt, dass sich
      irgendeine fremde Eigengesetzlichkeit zu viel anmaßt.
      <br>
      Auf der anderen Seite ist m. E. völlig klar, dass Herrschaft
      häufig ebenfalls sehr ratinonal funktioniert, etwa heute einen
      gigantischen Militärapparat unterhält, der ohne Rationalität nun
      wirklich gar nicht wäre. Rationalität hat daher eine gewisse
      Neutralität gegenüber Herrschaft: Sie arbeitet ihr zu und arbeitet
      ihr entgegen. Das ist quasi die Kernthese der Dialektik der
      Aufklärung von Horkheimer und Adorno.
      <br>
      <br>
    </p>
    Liebe Grüße nach Ecuador, wo ich vermutlich gerade auch sehr gerne
    wäre. November in Bremen ist echt trübselig, ciao,
    <br>
    <br>
    Bert
    <br>
    <br>
    <br>
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    <br>
    <br>
    <br>
    <br>
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