<html>
<head>
<meta http-equiv="content-type" content="text/html; charset=ISO-8859-15">
</head>
<body text="#000000" bgcolor="#FFFFFF">
<div>Hallo,<br>
<br>
nach meiner letzten Mail fühle ich mich in der Pflicht zu zwei
Dingen: 1. Doch nochmal deine bislang nur halb gelesene Mail zur
Kenntnis zu nehmen, lieber Jens. 2. Ein paar Reflexionen zum
Status meines Verhältnisses zu Durchlässigkeiten zu formulieren.<br>
<br>
Zu 1:<br>
Seltsam, das Schmerzhafte, das ich am 22.09. empfand, begegnete
mir jetzt fast gar nicht mehr. Lag vielleicht doch eher bloß an
meinem bad trip und den körperlichen Beschwerden. Ich habe ein
paar Kommentare und Fragen:<br>
<br>
"Ein ausgetrockneter Geldfluss, vor dem ein bedingungsloses
Grundeinkommen</div>
<div>niemanden retten kann, wird vielleicht noch jedem 100.
Erdenbürger eine</div>
<div>Überlebenschance auf dem niedrigsten nur denkbaren Niveau
bieten.</div>
<div>Die Welt wird nicht untergehen. Aber die Zivilisation, so wie
wir sie kennen."<br>
Kannst du das näher begründen? Inwiefern wird der Geldfluss
austrocknen? Inwiefern ist das bGE in dem Kontext völlig egal,
obwohl es ja prima vista definitiv eine große Welle im Geldfluss
darstellen würde?<br>
<br>
"<span style="font-family: Verdana, sans-serif, Arial, 'Trebuchet
MS'; font-size: 13px; line-height: 1.6em;"></span><span
style="font-family: Verdana, sans-serif, Arial, 'Trebuchet MS';
font-size: 13px; line-height: 1.6em;">Vor Namen sollte niemand
sonderlich viel Respekt haben."<br>
Voll d'accord. Aber Marx ist nicht als Name spannend, sondern
weil er eine sehr wirkmächtige und vieldiskutierte Kritik am
Kapitalismus formuliert hat, die, selbst wenn sie inhaltlich
hier und da und dort spekulativ bleibt, einige wirklich
interessante Aspekte enthält. Insbesondere den Fetischbegriff
der Ware finde ich ein Glanzstück der Marxschen Kritik der
politischen Ökonomie, das mir in nicht-marxistischen Kontexten
noch nirgends im Ernst begegnet ist. Oder höchstens mit
Achselzucken. <br>
<br>
"</span>3000 Seiten brauchte Marx um eine in sich ungeschlossene
Theorie vom
<div>Kapital abzuliefern. Eine, die noch immer die Grundlage für
die Definition</div>
<div>in Wikipedia liefert.</div>
<div>1200 Seiten zum Wesen von Geld kann ich auch keinem
vermitteln.</div>
<div>Wenn ich meine, dass das Thema zwischen 350 Seiten passt,
dann mag </div>
<div>die Puste nicht für mehr reichen. Doch für wie viele reicht
sie überhaupt</div>
<div>bis dahin?"<br>
Das Kapital hat eine wie lange Geschichte? Hat wieviele Menschen
integriert und desintegriert? Schließt heute wieviele Menschen
zusammen? Die Geschichte des Kapitals in eine Theorie zu packen,
die ein paar tausend Seiten umfasst, ist eine krasse Verknappung
dessen, worum es wirklich geht. Was auch das größte Problem an
diesen ganzen Kapital-Theorien ist: Sie abstrahieren von so
vielen Wirklichkeiten, dass unklar bleibt, inwiefern sie diese
Wirklichkeiten dennoch treffen. Klar, ein Satz fürs Kapital wäre
netter, à la: Ist 'nen gesellschaftliches Verhältnis, das die
Reproduktion der Gattung in der Zerrissenheit des
Privateigentums als Wertverwertung organisiert, ziemlich ätzende
Kiste. Aber reicht dir das dann als Gegenstandsbestimmung
wirklich aus?<br>
<br>
"Sollten andere Faktoren vermehrt dafür sprechen, dass man sich
gern
<div>in dieser Gegend niederlässt, nur bisher die geeignete
Technik für die Statik</div>
<div>in einer immer wieder mal von Stürmen oder Erdstößen
heimgesuchten </div>
<div>aber dennoch sehr fruchtbaren und landschaftlich reizvollen
Umgebung </div>
<div>gefehlt hat, dann könnte anfangs die Nachfrage nach dieser
Entdeckung</div>
<div>ihre Realsierungsmöglichkeiten übertreffen.</div>
<div>Das bleibt dann solange, bis das Angebot die Nachfrage
eingeholt hat.</div>
<div>Dann wäre diese Idee und die in der Folge dieser Idee
entstandenen</div>
<div>Produktionsmittel kein Kapital mehr.</div>
<div>Das ist die Theorie bei der Verwendung von Freigeld und
Freiland."<br>
Das finde ich komplett unverständlich. Keine Ahnung wieso,
aber ich raff einfach nicht im Ansatz, was du sagen willst.<br>
<br>
"Privateigentum an Produktionsmitteln ist eben nur dann und
nur solange
<div>Kapital, solange die Nachfrage das Angebot übersteigt".<br>
<br>
Wieso? Sehe ich nicht. Wieso sollen Produktionsmittel ihren
Kapital-Status verlieren, nur weil sie mehr Output als
Abnehmer haben? Wird der Output plötzlich nicht mehr
verkauft? Lassen sich mit dem Output keinerlei Gewinne mehr
machen? Falls ja, würde das doch zu Insolvenzen und damit
Marktbereinigung führen und der Output wieder auf ein Level
sinken, der Rendite ermöglicht. <br>
<br>
"Geldbesitz ermächtigt - solange es so lausig gemanagt wird
wie wir es
<div>gewohnt sind - eine Sonderabgabe für seine Überlassung
an andere</div>
<div>zu erzwingen. Das ist keine Frage der Moral.</div>
<div>Die Erarbeitung dieser Sonderabgabe für deren
Begleichung tendiert zu</div>
<div>Impulsen, andere Beteiligte beim damit verbundenen
Wettlauf zu</div>
<div>behindern. Das liegt in der Natur dieses Verlaufes."<br>
<br>
Unzweifelhaft wahr. Das ist aber mit Fabriken genauso.
Oder mit Handelsketten. Die Marktteilnehmer hacken halt
alle aufeinander rum. Und je nach Machtposition kann sich
der eine Marktteilnehmer mehr, der andere weniger vom
Gesamtkuchen der Ausbeutung sichern. Gesamtkuchen der
Ausbeutung bestimmt als das Überflussprodukt der
Gesamtgesellschaft, das durch das Gesamtsystem der
produktiv Tätigen geschaffen wird. So what?<br>
<br>
"Würden sich die Unternehmer wie in der Tauschwirtschaft
ohne Zins
<div>pressen könnendes Geld gegenüberstehen, würden die
Einnahmen und</div>
<div>die Ausgaben in der Summe ausgeglichen sein.</div>
<div>Jeder kann nur einnehmen, was der andere auszugeben
bereit ist."<br>
<br>
Woher kommt dieser seltsame Aberglaube an ein absolutes
Gleichgewicht? Grundsätzlich nochmal: An allen
Kreislaufvorstellungen scheint mir immer wieder
folgendes Problem zu hängen. Der langlebige stoffliche
und nichtstoffliche Reichtum wird aus dem Kreislauf
beständig als Privateigentum herausgeschwitzt,
einerseits als Konsumreichtum, anderseits als
Produktiveigentum. Deine Unternehmer bauen sich nicht
ihre Villa, leisten sich keine Luxuskarossen und gönnen
sich und ihren Geschäftsfreunden nicht dann und wann
einen Abend im Edelbordell? Und ihren Arbeitern die
Butter auf dem Brot nicht? Geben ihnen stattdessen gerne
Anteile an ihrer Unternehmung ab?<br>
<br>
"<span style="font-family: Verdana, sans-serif, Arial,
'Trebuchet MS'; font-size: 13px; line-height: 1.6em;">Arbeitsteilung
bedingt den Tausch. Tausch bedingt eine Produktivität</span>
<div>welche Warenproduktion ermöglicht."<br>
Weder das eine noch das andere ist notwendig.
Arbeitsteilung kann auch ohne Tausch funktionieren, z.
B. die Arbeitsteilung in kleinen Kommunen, die alles
Produzierte in einen gemeinsamen Topf werfen (aus dem
sich dann in der Regel leider der Oberguru zuerst
bedienen darf ...) Tausch setzt zwar eine gewisse
Überschussproduktion voraus, aber deshalb nicht
notwendig Warenproduktion. Marx sagt, dass der Tausch
in den Anfängen höchst willkürlich und eher als
Völkerverständigung funktionierte. Sachen, die man so
hatte und wertschätzte, gab man den Fremden. Erst die
Aufdauerstellung dieser Verhältnisse führt tatsächlich
zur gezielten Warenproduktion mit dem klaren Ziel, das
Zeugs an andere zu verticken. Das scheint mir intuitiv
plausibel, auch wenn ich's historisch nicht sicher
weiß.<br>
<br>
"ich behaupte dass ein Leben ohne Geld ziemlich
abartig sein wird."<br>
Hast du Gründe für diese Behauptung?<br>
<br>
<br>
Vielleicht können wir unser Problem ja mal ein wenig
grundlegender eingrenzen: Warum bist du der Meinung,
dass ausschließlich Bodenbesitz und verzinsbares Geld
zu Kapitalismus führt? Warum denkst du, dass
Produktionsmittel einfach neutral wären, wenn die
beiden anderen Dinge nicht mehr gegeben wären? Wie
stellst du dir das vor? Nochmal ein bisschen
grundsätzlicher: Wenn es kein Privateigentum an Boden
geben soll - wie soll dann überhaupt Privateigenum
noch funktionieren? Alles Privateigentum steht ja auf
irgendwelchem Boden herum, zumindest das stoffliche.
Wie sieht denn in deiner Vorstellung das Verhältnis
von Boden und Fabriken beispielsweise aus?<br>
<br>
<br>
Zu 2:<br>
Insofern ich mit sehr persönlichen Erfahrungen
rausrückte, sie gleichzeitig aber als spirituell
gewichtig deutlich überindividuell überhöhte, fühle
ich mich in der Pflicht, ein paar Dinge darüber zu
sagen, wie ich mir das grundsätzlich vorstelle.
Sozusagen ein bisschen hinein in den abstrakten Rahmen
von Gretchenantworten.<br>
Spätestens mit Beginn meiner Konfirmationszeit um 1990
herum habe ich mich als selbstbewusster Atheist
aufgefasst. Konfirmieren lassen habe ich mich, weil
ich bei meinem ältern Bruder mitbekommen hatte, dass
die Verwandtschaft eine Menge Kohle bei diesem
Initiationsritus springen lässt. Ich wollte
programmieren lernen und daher einen PC. Das kam
monetär ziemlich präzise hin und ich war in meiner
Schulklasse der erste mit PC, während die anderen noch
ein kleines Weilchen in der C64- und Amiga-Ära
festhingen. Mit dem Programmieren ist's allerdings
nicht so weit gekommen. Ist höchstens dann und wann
ein kleines Hobby fern von aller echten
Professionalität.<br>
Die Jesus-Figur mochte ich immer, aber den Rest des
Christentums fand ich von so viel Heuchelei umstellt,
dass ich da nur einen sehr gespaltenen Zugang fand.
Insbesondere diese ekligen C-Parteien der Kohl-Ära
haben mir jeglichen Glauben an eine gute Christenheit
im Ansatz versalzen. Hinzu kam, dass ich die Riten
meiner evangelischen Kirche nur als unendlich
schuldbeladen und langweilig empfand. Von froher
Botschaft war da echt gar nichts zu spüren. Bis zum
erwähnten Trip in Nerja zum Neujahr 2010 habe ich mich
als Atheist bestimmt. Inhaltlich substanziell vor
allem über die 4. Feuerbachthese von Marx und über
bestimmte Bemerkungen in der Dialektik der Aufklärung
zum Verhältnis von Mythologie und Aufklärung. Gekratzt
hat in diesen zwei Jahrzehnten an meinem
Atheisten-Status nur eine einzige Frage: Warum ist
überhaupt irgendetwas und nicht vielmehr bloß nur
Nichts? Mir war die Frage spannend, auch wenn mir klar
war, dass sich da aus atheistischer Position
schlichtweg keine Antwort zu geben lässt. Nur
unendlicher Regress oder willkürliche Setzung wie die
des Urknalls.<br>
Mit Nerja 2010 änderte sich meine Einstellung
grundlegend, weil ich emotionale Dimensionen erlebte,
die ich nicht bloß auf meine Selbstbezüglichkeit
beziehen konnte. Wenngleich deshalb meine
atheistischen Persönlichkeitsanteile freilich nicht
einfach abstarben. Ich interpretiere das für mich eher
als produktiven Wachstumsprozess. Auch wenn ich
seitdem einige spirituelle Grundintuitionen habe, vor
allem einen klaren Zug zum AllEinen und eine sehr
spirituelle Deutung von Heraklits "panta rhei", bleibt
mir Sokrates' "Ich weiß, dass ich nichts weiß.", sowie
meine allgemeinen Vorlieben für Fetisch- und
Ideologiekritik zu substanziell, als dass ich mich da
wirklich als positiver Ideologe betätigen möchte. Was
andere Persönlichkeitsanteile in mir allerdings sehr
wohl möchten. Dennoch verorte ich mich auf einer
allgemeinen Ebene erstmal bloß als pantheistischer
Agnostiker mit gelegentlichem Zug zum Panentheismus.
Den Spinozismusstreit muss ich mir bei Gelegenheit mal
wirklich detailliert vorlegen. Substanziell bleiben so
oder so bestimmte konkrete Erfahrungen von
Durchlässigkeit, die ziemlich vielschichtig sind und
noch vielschichtiger zu interpretieren. An
religionsgeschichtlichen Zusammenhängen hatte ich
schon immer ein gewisses Interesse, seit Nerja denke
ich darüber immer mal wieder recht intensiv nach.
Grundsätzlich bin ich dabei für so ziemlich alles
offen, finde aber etwa den mich hier und da und dort
umzingelnden Manichäismus höchstens in einem sehr
relativen Sinn für richtig. Und jede
Religionsvorstellung, die sich an Jesus, Marx oder
Adorno wirklich bricht, hat einen schweren Stand. Eine
meiner Cousinen hat mich auf Julia Roberts Seth
gestoßen, dessen spiritueller Vorstellungsrahmen mir
tatsächlich ziemlich sympathisch ist. Insbesondere die
Idee, dass die karmische Reinkarnationsverstrickung
bloß eine aus freiem Willen zur Erfahrung ist, gefällt
mir wirklich. Aber auch die abstrakte
Tiefschichtigkeit des Konzepts multidimensionaler
Persönlichkeiten. Grundlegend finde ich jeden
ausformulierten Religions- oder Esokontext ungefähr so
passend für meine spirituellen Empfindungen wie den
Versuch, mit einem Hammer ein Atom zu spalten. Die
Metaphoriken mögen dieses und jenes mal tatsächlich
ganz gut treffen, aber der Gesamtzusammenhang
erscheint mir so vielschichtig und filigran, dass an
eine echte Erkenntnis dieser Dinge halt bloß als
Geschenk zu denken ist, nicht als etwas, das aus der
eigenen Kraft zum Denken oder zur Erfahrung
resultieren könnte. Um's naturalistisch auszudrücken:
Die Spintheoretiker sind in Größenmaßen von so etwa 10
hoch -90 oder -100, weiß gerade nicht genau,
unterwegs. Die Ausdehnung des Alls wird erstmal vage
auf glaube ich 10 hoch 80 verortet. Mikrokosmos
scheint jetzt schon weiter erforscht als der
Makrokosmos. Aber ob's da in die eine oder andere
Richtung je ein echtes Ende geben wird? Selbst wenn,
was sind dagegen menschliche Erzählungen?<br>
Soviel zum Allgemeinen. Zum Konkreten von Visionen:
Einer der abgründigsten Clous sehr vieler Erzählungen
zum altgriechischen Orakel zu Delphi ist der, dass
gerade der Versuch, jenem "Erkenne dich selbst" des
Orakels zu entfliehen, genau dahin führt, dass sich
der Orakelspruch erfüllt. Das dürfte wegen Freud am
bekanntesten für Ödipus sein: Wäre er nicht als Kind
wegen des furchtbaren Spruchs, er würde Mama später
vögeln und Papa killen, von der Familie abgeschoben
worden, dann hätte er vielleicht niemals getan, was
der Spruch ihm aufbürdete. Das Orakel in der Matrix
wiederholt diese Konstellation: Hätte Neo die Vase
(oder was war das gleich?) auch dann kaputtgeschlagen,
wenn das Orakel es ihm nicht prophezeit und deshalb zu
der ungeschickten Bewegung animiert hätte? Und treibt
es weiter: Morpheus steht auf dem Standpunkt, dass des
Orakels Message an Neo nur für Neo bestimmt ist und
für niemanden sonst. Die Prophezeiung, entweder
Morpheus oder Neo werde sterben, erfüllt sich.
Allerdings ersteht Neo im Gehaltensein von Trinitys
Liebe wieder auf, halb so schlimm, im Gegenteil:
Danach haben die Agenten nichts mehr zu lachen. Auch
wenn ich's spannend fände, will ich mal nicht weiter
in diese Richtung denken, etwa nach über das
Verhältnis von Orakel und Architekt. Festhalten aber
will ich, dass jeder Durchlässigkeit schon aus dieser
Konstellation heraus eine massive Menge
Unverlässlichkeit innewohnt: Vielleicht sind die
Durchlässigkeiten kein Hinweis auf die Wirklichkeit
der Dinge, sondern nur ein Stubser, der in die
richtige Richtung leiten soll, die eine ganz andere
ist als die offensichtliche der Message.<br>
Mal davon abgesehen, dass meine rational-atheistischen
Persönlichkeitsfragmente ganz grundsätzlich skeptisch
bleiben und schlicht so etwas sagen könnten wie: Ach,
Bert, dir ist halt so unendlich langweilig in der
Immergleichheit des scheußlichen
kapitalistisch-metropolitanen-deutschen Lebens, dass
du mit den Sternen von allen Gedanken halt bloß noch
die interessanten schätzt und sie dir in immer tiefere
und tiefere Abgründe hineintauchend einfach so
zurechtspinnst, dass sie interessant bleiben. Andere
Persönlichkeitsfragmente sind zumindest hier und da
bereit, an die durchlässigen Messages im Wortsinn zu
glauben. Hin und wieder ist die emotionale Intensität
so groß, dass das gar nicht anders geht. Und hin und
wieder zeigt die Wirklichkeit auch, dass das nicht
falsch, sondern richtig war. Etwa wenn ich daran
denke, wie ich meine Frau kennenlernte. Aber auch in
anderen Kontexten. Schwieriger sind die Unschärfen:
Die Dialektik der Aufklärung hat mich gelehrt, dass
Aufklärung und Mythos so innnig ineinander
verschlungen sind, dass es ohnehin keinen Ausweg aus
der prekären Konstellation gibt. Die List der Vernunft
mag daher auch als eine der Unvernunft erscheinen ...
und umgekehrt. <br>
Adorno schreibt: "Erst einmal jedoch wäre die
Gesellschaft als universaler Block, um die Menschen
und in ihnen, zu erkennen. Hinweise zur Änderung
vorher helfen nur dem Block, entweder als Verwaltung
des Unverwaltbaren, oder indem sie sogleich die
Widerlegung durchs monströse Ganze herausfordern.
Begriff und Theorie der Gesellschaft sind nur dann
legitim, wenn sie zu beidem nicht sich verlocken
lassen, sondern die Möglichkeit, die sie beseelt,
negativ festhalten: aussprechen, daß die Möglichkeit
erstickt zu werden droht. Solche Erkenntnis, ohne
Vorwegnahme dessen, was darüber hinausführte, wäre die
erste Bedingung dafür, daß der Bann der Gesellschaft
einmal doch sich löse." (Gesellschaft, GS 8, S. 19)<br>
Vielleicht ist mein Sprechen über ein nukleares
Zerblubbern des Bremer Bodens nur ein radikalisiertes
Aussprechen der Möglichkeit, erstickt zu werden.
Vielleicht das Aussprechen in den weiteren
Konsequenzen des flügelschlagenden Schmetterlings Bert
genau so etwas, das dieses Ersticken aufhalten könnte.
Vielleicht aber auch nicht. Ich will nicht positiver
werden als ich es empfinde. Es gibt aber auch andere
Empfindungswelten, die auf diesen Schein von
universeller Menschheitszerstörung nicht mehr geben
als auf den Schein des Wertfetischs: Ach so real und
ach so irreal zugleich. An Reinkarnation glaube ich
weit mehr in dem abstrakten Sinn, in dem die Physiker
an Energieerhaltung glauben, als in all den
konkreteren Sinnen, die ich aus asiatisch inspirierten
Esoteriken kenne.<br>
Konvergieren tut jedenfalls mein rationales und mein
irrationales Denken in einer Kategorie, der des
Leidens. Sie bleibt die realste Kategorie dieses
Weltzusammenhangs. Hin und wieder aber ist sie mir
schon in tiefstem Glück entschwunden. Und diese
Momente füttern das irrationale Moment. Denn wo
Rationalität bloß als ihre abstrakteste Bestleistung
auf schwerlich planbaren Lustgewinn und übereifrig
alles Mögliche verbietende Unlustvermeidung, auf einen
schwachen Inhalt der schlechten Unendlichkeit von
Selbsterhaltung verweist, führen die irrationalen
Momente bis in emotionalste Untiefen vor, was das im
Kern alles bedeuten und in was für bessere Welten es
ausufern kann.<br>
Naja, keine Ahnung, ob das irgendwas klarer macht.
Schien mir dennoch nötig, es hinterherzuschicken.<br>
<br>
Zur immanenten Kritik am Ideologie- und
Psychosebegriff habe ich gerade noch immer nicht die
Muße. Aber ich kopiere zumindest mal einen Absatz aus
Adornos Negativer Dialektik rein, der vielleicht klar
machen könnte, wie das Argument grundsätzlich
funktionieren wird:<br>
"Indem Denken sich versenkt in das zunächst ihm
Gegenüberstehende, den Begriff, und seines immanent
antinomischen Charakters gewahr wird, hängt es der
Idee von etwas nach, was jenseits des Widerspruchs
wäre. Der Gegensatz des Denkens zu seinem Heterogenen
reproduziert sich im Denken selbst als dessen
immanenter Widerpruch. Reziproke Kritik von
Allgemeinem und Besonderem, identifizierende Akte, die
darüber urteilen, ob der Begriff dem Befaßten
Gerechtigkeit widerfahren läßt, und ob das Besondere
seinen Begriff auch erfüllt, sind das Medium des
Denkens der Nichtidentität von Besonderem und Begriff.
Und nicht das von Denken allein. Soll die Menschheit
des Zwangs sich entledigen, der in Gestalt von
Identifikation real ihr angetan wird, so muß sie
zugleich die Identität mit ihrem Begriff erlangen.
Daran haben alle relevanten Kategorien teil. Das
Tauschprinzip, die Reduktion menschlicher Arbeit auf
den abstrakten Allgemeinbegriff der durchschnittlichen
Arbeitszeit, ist urverwandt mit dem
Identifikationsprinzip. Am Tausch hat es sein
gesellschaftliches Modell, und er wäre nicht ohne es;
durch ihn werden nichtidentische Einzelwesen und
Leistungen kommensurabel, identisch. Die Ausbreitung
des Prinzips verhält die ganze Welt zum Identischen,
zur Totalität. Würde indessen das Prinzip abstrakt
negiert; würde als Ideal verkündet, es solle, zur
höheren Ehre des irreduzibel Qualitativen, nicht mehr
nach gleich und gleich zugehen, so schüfe das Ausreden
für den Rückfall ins alte Unrecht. Denn der
Äquivalententausch bestand von alters her gerade
darin, daß in seinem Namen Ungleiches getauscht, der
Mehrwert der Arbeit appropriiert wurde. Annullierte
man simpel die Maßkategorie der Vergleichbarkeit, so
träten anstelle der Rationalität, die ideologisch
zwar, doch auch als Versprechen dem Tauschprinzip
innewohnt, unmittelbare Aneignung, Gewalt, heutzutage:
nacktes Privileg von Monopolen und Cliquen. Kritik am
Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens
will, daß das Ideal freien und gerechten Tauschs, bis
heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. Das allein
transzendierte den Tausch. Hat ihn die kritische
Theorie als den von Gleichem und doch Ungleichem
enthüllt, so zielt die Kritik der Ungleichheit in der
Gleichheit auch auf Gleichheit, bei aller Skepsis
gegen die Rancune im bürgerlichen Egalitätsideal, das
nichts qualitativ Verschiedenes toleriert. Würde
keinem Menschen mehr ein Teil seiner lebendigen Arbeit
vorenthalten, so wäre rationale Identität erreicht,
und die Gesellschaft wäre über das identifizierende
Denken hinaus. Das rückt nahe genug an Hegel. Die
Demarkationslinie zu ihm wird schwerlich von einzelnen
Distinktionen gezogen; vielmehr von der Absicht: ob
Bewußtsein, theoretisch und in praktischer Konsequenz,
Identität als Letztes, Absolutes behauptet und
verstärken möchte, oder als den universalen
Zwangsapparat erfährt, dessen es schließlich auch
bedarf, um dem universalen Zwang sich zu entwinden, so
wie Freiheit nur durch den zivilisatorischen Zwang
hindurch, nicht als retour à la nature real werden
kann. Der Totalität ist zu opponieren, indem sie der
Nichtidentität mit sich selbst überführt wird, die sie
dem eigenen Begriff nach verleugnet. Dadurch ist die
negative Dialektik, als an ihrem Ausgang, gebunden an
die obersten Kategorien von Identitätsphilosophie.
Insofern bleibt auch sie falsch, identitätslogisch,
selber das, wogegen sie gedacht wird. Berichtigen muß
sie sich in ihrem kritischen Fortgang, der jene
Begriffe affiziert, die sie der Form nach behandelt,
als wären es auch für sie noch die ersten. Zweierlei
ist, ob ein Denken, durch die Not der einem jeglichen
unentrinnbaren Form, geschlossen, prinzipiell sich
fügt, um den Anspruch der traditionellen Philosophie
auf geschlossenes Gefüge immanent zu verneinen – oder
ob es jene Form der Geschlossenheit von sich aus
urgiert, der Intention nach sich selbst zum Ersten
macht. Im Idealismus hatte das höchst formale Prinzip
der Identität, vermöge seiner eigenen Formalisierung,
Affirmation zum Inhalt. Unschuldig bringt das die
Terminologie zutage; die simplen prädikativen Sätze
werden affirmativ genannt. Die Copula sagt: Es ist so,
nicht anders; die Tathandlung der Synthese, für welche
sie einsteht, bekundet, daß es nicht anders sein soll:
sonst würde sie nicht vollbracht. In jeglicher
Synthesis arbeitet der Wille zur Identität; als
apriorische, ihm immanente Aufgabe des Denkens
erscheint sie positiv und wünschbar: das Substrat der
Synthesis sei durch diese mit dem Ich versöhnt und
darum gut. Das erlaubt dann prompt das moralische
Desiderat, das Subjekt möge seinem Heterogenen sich
beugen kraft der Einsicht, wie sehr die Sache die
seine ist. Identität ist die Urform von Ideologie. Sie
wird als Adäquanz an die darin unterdrückte Sache
genossen; Adäquanz war stets auch Unterjochung unter
Beherrschungsziele, insofern ihr eigener Widerspruch.
Nach der unsäglichen Anstrengung, die es der Gattung
Mensch bereitet haben muß, den Primat der Identität
auch gegen sich selbst herzustellen, frohlockt sie und
kostet ihren Sieg aus, indem sie ihn zur Bestimmung
der besiegten Sache macht: was dieser widerfuhr, muß
sie als ihr An sich präsentieren. Ideologie dankt ihre
Resistenzkraft gegen Aufklärung der Komplizität mit
identifizierendem Denken: mit Denken überhaupt. Es
erweist daran seine ideologische Seite, daß es die
Beteuerung, das Nichtich sei am Ende das Ich, nie
einlöst; je mehr das Ich es ergreift, desto
vollkommener findet das Ich zum Objekt sich
herabgesetzt. Identität wird zur Instanz einer
Anpassungslehre, in welcher das Objekt, nach dem das
Subjekt sich zu richten habe, diesem zurückzahlt, was
das Subjekt ihm zugefügt hat. Es soll Vernunft
annehmen wider seine Vernunft. Darum ist
Ideologiekritik kein Peripheres und
Innerwissenschaftliches, auf den objektiven Geist und
die Produkte des subjektiven Beschränktes, sondern
philosophisch zentral: Kritik des konstitutiven
Bewußtseins selbst." (Adorno, Negative Dialektik, GS6,
S. 149ff)<br>
<br>
Ich bin übrigens einige Tage komplett off vom
Digitalen.<br>
<br>
Liebe Grüße,<br>
<br>
Bert<br>
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