<html>
  <head>

    <meta http-equiv="content-type" content="text/html; charset=ISO-8859-15">
  </head>
  <body text="#000000" bgcolor="#FFFFFF">
    <div>Hallo,<br>
      <br>
      nach meiner letzten Mail fühle ich mich in der Pflicht zu zwei
      Dingen: 1. Doch nochmal deine bislang nur halb gelesene Mail zur
      Kenntnis zu nehmen, lieber Jens. 2. Ein paar Reflexionen zum
      Status meines Verhältnisses zu Durchlässigkeiten zu formulieren.<br>
      <br>
      Zu 1:<br>
      Seltsam, das Schmerzhafte, das ich am 22.09. empfand, begegnete
      mir jetzt fast gar nicht mehr. Lag vielleicht doch eher bloß an
      meinem bad trip und den körperlichen Beschwerden. Ich habe ein
      paar Kommentare und Fragen:<br>
      <br>
      "Ein ausgetrockneter Geldfluss, vor dem ein bedingungsloses
      Grundeinkommen</div>
    <div>niemanden retten kann, wird vielleicht noch jedem 100.
      Erdenbürger eine</div>
    <div>Überlebenschance auf dem niedrigsten nur denkbaren Niveau
      bieten.</div>
    <div>Die Welt wird nicht untergehen. Aber die Zivilisation, so wie
      wir sie kennen."<br>
      Kannst du das näher begründen? Inwiefern wird der Geldfluss
      austrocknen? Inwiefern ist das bGE in dem Kontext völlig egal,
      obwohl es ja prima vista definitiv eine große Welle im Geldfluss
      darstellen würde?<br>
      <br>
      "<span style="font-family: Verdana, sans-serif, Arial, 'Trebuchet
        MS'; font-size: 13px; line-height: 1.6em;"></span><span
        style="font-family: Verdana, sans-serif, Arial, 'Trebuchet MS';
        font-size: 13px; line-height: 1.6em;">Vor Namen sollte niemand
        sonderlich viel Respekt haben."<br>
        Voll d'accord. Aber Marx ist nicht als Name spannend, sondern
        weil er eine sehr wirkmächtige und vieldiskutierte Kritik am
        Kapitalismus formuliert hat, die, selbst wenn sie inhaltlich
        hier und da und dort spekulativ bleibt, einige wirklich
        interessante Aspekte enthält. Insbesondere den Fetischbegriff
        der Ware finde ich ein Glanzstück der Marxschen Kritik der
        politischen Ökonomie, das mir in nicht-marxistischen Kontexten
        noch nirgends im Ernst begegnet ist. Oder höchstens mit
        Achselzucken. <br>
        <br>
        "</span>3000 Seiten brauchte Marx um eine in sich ungeschlossene
      Theorie vom
      <div>Kapital abzuliefern. Eine, die noch immer die Grundlage für
        die Definition</div>
      <div>in Wikipedia liefert.</div>
      <div>1200 Seiten zum Wesen von Geld kann ich auch keinem
        vermitteln.</div>
      <div>Wenn ich meine, dass das Thema zwischen 350 Seiten passt,
        dann mag </div>
      <div>die Puste nicht für mehr reichen. Doch für wie viele reicht
        sie überhaupt</div>
      <div>bis dahin?"<br>
        Das Kapital hat eine wie lange Geschichte? Hat wieviele Menschen
        integriert und desintegriert? Schließt heute wieviele Menschen
        zusammen? Die Geschichte des Kapitals in eine Theorie zu packen,
        die ein paar tausend Seiten umfasst, ist eine krasse Verknappung
        dessen, worum es wirklich geht. Was auch das größte Problem an
        diesen ganzen Kapital-Theorien ist: Sie abstrahieren von so
        vielen Wirklichkeiten, dass unklar bleibt, inwiefern sie diese
        Wirklichkeiten dennoch treffen. Klar, ein Satz fürs Kapital wäre
        netter, à la: Ist 'nen gesellschaftliches Verhältnis, das die
        Reproduktion der Gattung in der Zerrissenheit des
        Privateigentums als Wertverwertung organisiert, ziemlich ätzende
        Kiste. Aber reicht dir das dann als Gegenstandsbestimmung
        wirklich aus?<br>
        <br>
        "Sollten andere Faktoren vermehrt dafür sprechen, dass man sich
        gern
        <div>in dieser Gegend niederlässt, nur bisher die geeignete
          Technik für die Statik</div>
        <div>in einer immer wieder mal von Stürmen oder Erdstößen
          heimgesuchten </div>
        <div>aber dennoch sehr fruchtbaren und landschaftlich reizvollen
          Umgebung </div>
        <div>gefehlt hat, dann könnte anfangs die Nachfrage nach dieser
          Entdeckung</div>
        <div>ihre Realsierungsmöglichkeiten übertreffen.</div>
        <div>Das bleibt dann solange, bis das Angebot die Nachfrage
          eingeholt hat.</div>
        <div>Dann wäre diese Idee und die in der Folge dieser Idee
          entstandenen</div>
        <div>Produktionsmittel kein Kapital mehr.</div>
        <div>Das ist die Theorie bei der Verwendung von Freigeld und
          Freiland."<br>
          Das finde ich komplett unverständlich. Keine Ahnung wieso,
          aber ich raff einfach nicht im Ansatz, was du sagen willst.<br>
          <br>
          "Privateigentum an Produktionsmitteln ist eben nur dann und
          nur solange
          <div>Kapital, solange die Nachfrage das Angebot übersteigt".<br>
            <br>
            Wieso? Sehe ich nicht. Wieso sollen Produktionsmittel ihren
            Kapital-Status verlieren, nur weil sie mehr Output als
            Abnehmer haben? Wird der Output plötzlich nicht mehr
            verkauft? Lassen sich mit dem Output keinerlei Gewinne mehr
            machen? Falls ja, würde das doch zu Insolvenzen und damit
            Marktbereinigung führen und der Output wieder auf ein Level
            sinken, der Rendite ermöglicht. <br>
            <br>
            "Geldbesitz ermächtigt - solange es so lausig gemanagt wird
            wie wir es
            <div>gewohnt sind - eine Sonderabgabe für seine Überlassung
              an andere</div>
            <div>zu erzwingen. Das ist keine Frage der Moral.</div>
            <div>Die Erarbeitung dieser Sonderabgabe für deren
              Begleichung tendiert zu</div>
            <div>Impulsen, andere Beteiligte beim damit verbundenen
               Wettlauf zu</div>
            <div>behindern. Das liegt in der Natur dieses Verlaufes."<br>
              <br>
              Unzweifelhaft wahr. Das ist aber mit Fabriken genauso.
              Oder mit Handelsketten. Die Marktteilnehmer hacken halt
              alle aufeinander rum. Und je nach Machtposition kann sich
              der eine Marktteilnehmer mehr, der andere weniger vom
              Gesamtkuchen der Ausbeutung sichern. Gesamtkuchen der
              Ausbeutung bestimmt als das Überflussprodukt der
              Gesamtgesellschaft, das durch das Gesamtsystem der
              produktiv Tätigen geschaffen wird. So what?<br>
              <br>
              "Würden sich die Unternehmer wie in der Tauschwirtschaft
              ohne Zins 
              <div>pressen könnendes Geld gegenüberstehen, würden die
                Einnahmen und</div>
              <div>die Ausgaben in der Summe ausgeglichen sein.</div>
              <div>Jeder kann nur einnehmen, was der andere auszugeben
                bereit ist."<br>
                <br>
                Woher kommt dieser seltsame Aberglaube an ein absolutes
                Gleichgewicht? Grundsätzlich nochmal: An allen
                Kreislaufvorstellungen scheint mir immer wieder
                folgendes Problem zu hängen. Der langlebige stoffliche
                und nichtstoffliche Reichtum wird aus dem Kreislauf
                beständig als Privateigentum herausgeschwitzt,
                einerseits als Konsumreichtum, anderseits als
                Produktiveigentum. Deine Unternehmer bauen sich nicht
                ihre Villa, leisten sich keine Luxuskarossen und gönnen
                sich und ihren Geschäftsfreunden nicht dann und wann
                einen Abend im Edelbordell? Und ihren Arbeitern die
                Butter auf dem Brot nicht? Geben ihnen stattdessen gerne
                Anteile an ihrer Unternehmung ab?<br>
                <br>
                "<span style="font-family: Verdana, sans-serif, Arial,
                  'Trebuchet MS'; font-size: 13px; line-height: 1.6em;">Arbeitsteilung
                  bedingt den Tausch. Tausch bedingt eine Produktivität</span>
                <div>welche Warenproduktion ermöglicht."<br>
                  Weder das eine noch das andere ist notwendig.
                  Arbeitsteilung kann auch ohne Tausch funktionieren, z.
                  B. die Arbeitsteilung in kleinen Kommunen, die alles
                  Produzierte in einen gemeinsamen Topf werfen (aus dem
                  sich dann in der Regel leider der Oberguru zuerst
                  bedienen darf ...) Tausch setzt zwar eine gewisse
                  Überschussproduktion voraus, aber deshalb nicht
                  notwendig Warenproduktion. Marx sagt, dass der Tausch
                  in den Anfängen höchst willkürlich und eher als
                  Völkerverständigung funktionierte. Sachen, die man so
                  hatte und wertschätzte, gab man den Fremden. Erst die
                  Aufdauerstellung dieser Verhältnisse führt tatsächlich
                  zur gezielten Warenproduktion mit dem klaren Ziel, das
                  Zeugs an andere zu verticken. Das scheint mir intuitiv
                  plausibel, auch wenn ich's historisch nicht sicher
                  weiß.<br>
                  <br>
                  "ich behaupte dass ein Leben ohne Geld ziemlich
                  abartig sein wird."<br>
                  Hast du Gründe für diese Behauptung?<br>
                  <br>
                  <br>
                  Vielleicht können wir unser Problem ja mal ein wenig
                  grundlegender eingrenzen: Warum bist du der Meinung,
                  dass ausschließlich Bodenbesitz und verzinsbares Geld
                  zu Kapitalismus führt? Warum denkst du, dass
                  Produktionsmittel einfach neutral wären, wenn die
                  beiden anderen Dinge nicht mehr gegeben wären? Wie
                  stellst du dir das vor? Nochmal ein bisschen
                  grundsätzlicher: Wenn es kein Privateigentum an Boden
                  geben soll - wie soll dann überhaupt Privateigenum
                  noch funktionieren? Alles Privateigentum steht ja auf
                  irgendwelchem Boden herum, zumindest das stoffliche.
                  Wie sieht denn in deiner Vorstellung das Verhältnis
                  von Boden und Fabriken beispielsweise aus?<br>
                  <br>
                  <br>
                  Zu 2:<br>
                  Insofern ich mit sehr persönlichen Erfahrungen
                  rausrückte, sie gleichzeitig aber als spirituell
                  gewichtig deutlich überindividuell überhöhte, fühle
                  ich mich in der Pflicht, ein paar Dinge darüber zu
                  sagen, wie ich mir das grundsätzlich vorstelle.
                  Sozusagen ein bisschen hinein in den abstrakten Rahmen
                  von Gretchenantworten.<br>
                  Spätestens mit Beginn meiner Konfirmationszeit um 1990
                  herum habe ich mich als selbstbewusster Atheist
                  aufgefasst. Konfirmieren lassen habe ich mich, weil
                  ich bei meinem ältern Bruder mitbekommen hatte, dass
                  die Verwandtschaft eine Menge Kohle bei diesem
                  Initiationsritus springen lässt. Ich wollte
                  programmieren lernen und daher einen PC. Das kam
                  monetär ziemlich präzise hin und ich war in meiner
                  Schulklasse der erste mit PC, während die anderen noch
                  ein kleines Weilchen in der C64- und Amiga-Ära
                  festhingen. Mit dem Programmieren ist's allerdings
                  nicht so weit gekommen. Ist höchstens dann und wann
                  ein kleines Hobby fern von aller echten
                  Professionalität.<br>
                  Die Jesus-Figur mochte ich immer, aber den Rest des
                  Christentums fand ich von so viel Heuchelei umstellt,
                  dass ich da nur einen sehr gespaltenen Zugang fand.
                  Insbesondere diese ekligen C-Parteien der Kohl-Ära
                  haben mir jeglichen Glauben an eine gute Christenheit
                  im Ansatz versalzen. Hinzu kam, dass ich die Riten
                  meiner evangelischen Kirche nur als unendlich
                  schuldbeladen und langweilig empfand. Von froher
                  Botschaft war da echt gar nichts zu spüren. Bis zum
                  erwähnten Trip in Nerja zum Neujahr 2010 habe ich mich
                  als Atheist bestimmt. Inhaltlich substanziell vor
                  allem über die 4. Feuerbachthese von Marx und über
                  bestimmte Bemerkungen in der Dialektik der Aufklärung
                  zum Verhältnis von Mythologie und Aufklärung. Gekratzt
                  hat in diesen zwei Jahrzehnten an meinem
                  Atheisten-Status nur eine einzige Frage: Warum ist
                  überhaupt irgendetwas und nicht vielmehr bloß nur
                  Nichts? Mir war die Frage spannend, auch wenn mir klar
                  war, dass sich da aus atheistischer Position
                  schlichtweg keine Antwort zu geben lässt. Nur
                  unendlicher Regress oder willkürliche Setzung wie die
                  des Urknalls.<br>
                  Mit Nerja 2010 änderte sich meine Einstellung
                  grundlegend, weil ich emotionale Dimensionen erlebte,
                  die ich nicht bloß auf meine Selbstbezüglichkeit
                  beziehen konnte. Wenngleich deshalb meine
                  atheistischen Persönlichkeitsanteile freilich nicht
                  einfach abstarben. Ich interpretiere das für mich eher
                  als produktiven Wachstumsprozess. Auch wenn ich
                  seitdem einige spirituelle Grundintuitionen habe, vor
                  allem einen klaren Zug zum AllEinen und eine sehr
                  spirituelle Deutung von Heraklits "panta rhei", bleibt
                  mir Sokrates' "Ich weiß, dass ich nichts weiß.", sowie
                  meine allgemeinen Vorlieben für Fetisch- und
                  Ideologiekritik zu substanziell, als dass ich mich da
                  wirklich als positiver Ideologe betätigen möchte. Was
                  andere Persönlichkeitsanteile in mir allerdings sehr
                  wohl möchten. Dennoch verorte ich mich auf einer
                  allgemeinen Ebene erstmal bloß als pantheistischer
                  Agnostiker mit gelegentlichem Zug zum Panentheismus.
                  Den Spinozismusstreit muss ich mir bei Gelegenheit mal
                  wirklich detailliert vorlegen. Substanziell bleiben so
                  oder so bestimmte konkrete Erfahrungen von
                  Durchlässigkeit, die ziemlich vielschichtig sind und
                  noch vielschichtiger zu interpretieren. An
                  religionsgeschichtlichen Zusammenhängen hatte ich
                  schon immer ein gewisses Interesse, seit Nerja denke
                  ich darüber immer mal wieder recht intensiv nach.
                  Grundsätzlich bin ich dabei für so ziemlich alles
                  offen, finde aber etwa den mich hier und da und dort
                  umzingelnden Manichäismus höchstens in einem sehr
                  relativen Sinn für richtig. Und jede
                  Religionsvorstellung, die sich an Jesus, Marx oder
                  Adorno wirklich bricht, hat einen schweren Stand. Eine
                  meiner Cousinen hat mich auf Julia Roberts Seth
                  gestoßen, dessen spiritueller Vorstellungsrahmen mir
                  tatsächlich ziemlich sympathisch ist. Insbesondere die
                  Idee, dass die karmische Reinkarnationsverstrickung
                  bloß eine aus freiem Willen zur Erfahrung ist, gefällt
                  mir wirklich. Aber auch die abstrakte
                  Tiefschichtigkeit des Konzepts multidimensionaler
                  Persönlichkeiten. Grundlegend finde ich jeden
                  ausformulierten Religions- oder Esokontext ungefähr so
                  passend für meine spirituellen Empfindungen wie den
                  Versuch, mit einem Hammer ein Atom zu spalten. Die
                  Metaphoriken mögen dieses und jenes mal tatsächlich
                  ganz gut treffen, aber der Gesamtzusammenhang
                  erscheint mir so vielschichtig und filigran, dass an
                  eine echte Erkenntnis dieser Dinge halt bloß als
                  Geschenk zu denken ist, nicht als etwas, das aus der
                  eigenen Kraft zum Denken oder zur Erfahrung
                  resultieren könnte. Um's naturalistisch auszudrücken:
                  Die Spintheoretiker sind in Größenmaßen von so etwa 10
                  hoch -90 oder -100, weiß gerade nicht genau,
                  unterwegs. Die Ausdehnung des Alls wird erstmal vage
                  auf glaube ich 10 hoch 80 verortet. Mikrokosmos
                  scheint jetzt schon weiter erforscht als der
                  Makrokosmos. Aber ob's da in die eine oder andere
                  Richtung je ein echtes Ende geben wird? Selbst wenn,
                  was sind dagegen menschliche Erzählungen?<br>
                  Soviel zum Allgemeinen. Zum Konkreten von Visionen:
                  Einer der abgründigsten Clous sehr vieler Erzählungen
                  zum altgriechischen Orakel zu Delphi ist der, dass
                  gerade der Versuch, jenem "Erkenne dich selbst" des
                  Orakels zu entfliehen, genau dahin führt, dass sich
                  der Orakelspruch erfüllt. Das dürfte wegen Freud am
                  bekanntesten für Ödipus sein: Wäre er nicht als Kind
                  wegen des furchtbaren Spruchs, er würde Mama später
                  vögeln und Papa killen, von der Familie abgeschoben
                  worden, dann hätte er vielleicht niemals getan, was
                  der Spruch ihm aufbürdete. Das Orakel in der Matrix
                  wiederholt diese Konstellation: Hätte Neo die Vase
                  (oder was war das gleich?) auch dann kaputtgeschlagen,
                  wenn das Orakel es ihm nicht prophezeit und deshalb zu
                  der ungeschickten Bewegung animiert hätte? Und treibt
                  es weiter: Morpheus steht auf dem Standpunkt, dass des
                  Orakels Message an Neo nur für Neo bestimmt ist und
                  für niemanden sonst. Die Prophezeiung, entweder
                  Morpheus oder Neo werde sterben, erfüllt sich.
                  Allerdings ersteht Neo im Gehaltensein von Trinitys
                  Liebe wieder auf, halb so schlimm, im Gegenteil:
                  Danach haben die Agenten nichts mehr zu lachen. Auch
                  wenn ich's spannend fände, will ich mal nicht weiter
                  in diese Richtung denken, etwa nach über das
                  Verhältnis von Orakel und Architekt. Festhalten aber
                  will ich, dass jeder Durchlässigkeit schon aus dieser
                  Konstellation heraus eine massive Menge
                  Unverlässlichkeit innewohnt: Vielleicht sind die
                  Durchlässigkeiten kein Hinweis auf die Wirklichkeit
                  der Dinge, sondern nur ein Stubser, der in die
                  richtige Richtung leiten soll, die eine ganz andere
                  ist als die offensichtliche der Message.<br>
                  Mal davon abgesehen, dass meine rational-atheistischen
                  Persönlichkeitsfragmente ganz grundsätzlich skeptisch
                  bleiben und schlicht so etwas sagen könnten wie: Ach,
                  Bert, dir ist halt so unendlich langweilig in der
                  Immergleichheit des scheußlichen
                  kapitalistisch-metropolitanen-deutschen Lebens, dass
                  du mit den Sternen von allen Gedanken halt bloß noch
                  die interessanten schätzt und sie dir in immer tiefere
                  und tiefere Abgründe hineintauchend einfach so
                  zurechtspinnst, dass sie interessant bleiben. Andere
                  Persönlichkeitsfragmente sind zumindest hier und da
                  bereit, an die durchlässigen Messages im Wortsinn zu
                  glauben. Hin und wieder ist die emotionale Intensität
                  so groß, dass das gar nicht anders geht. Und hin und
                  wieder zeigt die Wirklichkeit auch, dass das nicht
                  falsch, sondern richtig war. Etwa wenn ich daran
                  denke, wie ich meine Frau kennenlernte. Aber auch in
                  anderen Kontexten. Schwieriger sind die Unschärfen:
                  Die Dialektik der Aufklärung hat mich gelehrt, dass
                  Aufklärung und Mythos so innnig ineinander
                  verschlungen sind, dass es ohnehin keinen Ausweg aus
                  der prekären Konstellation gibt. Die List der Vernunft
                  mag daher auch als eine der Unvernunft erscheinen ...
                  und umgekehrt. <br>
                  Adorno schreibt: "Erst einmal jedoch wäre die
                  Gesellschaft als universaler Block, um die Menschen
                  und in ihnen, zu erkennen. Hinweise zur Änderung
                  vorher helfen nur dem Block, entweder als Verwaltung
                  des Unverwaltbaren, oder indem sie sogleich die
                  Widerlegung durchs monströse Ganze herausfordern.
                  Begriff und Theorie der Gesellschaft sind nur dann
                  legitim, wenn sie zu beidem nicht sich verlocken
                  lassen, sondern die Möglichkeit, die sie beseelt,
                  negativ festhalten: aussprechen, daß die Möglichkeit
                  erstickt zu werden droht. Solche Erkenntnis, ohne
                  Vorwegnahme dessen, was darüber hinausführte, wäre die
                  erste Bedingung dafür, daß der Bann der Gesellschaft
                  einmal doch sich löse." (Gesellschaft, GS 8, S. 19)<br>
                  Vielleicht ist mein Sprechen über ein nukleares
                  Zerblubbern des Bremer Bodens nur ein radikalisiertes
                  Aussprechen der Möglichkeit, erstickt zu werden.
                  Vielleicht das Aussprechen in den weiteren
                  Konsequenzen des flügelschlagenden Schmetterlings Bert
                  genau so etwas, das dieses Ersticken aufhalten könnte.
                  Vielleicht aber auch nicht. Ich will nicht positiver
                  werden als ich es empfinde. Es gibt aber auch andere
                  Empfindungswelten, die auf diesen Schein von
                  universeller Menschheitszerstörung nicht mehr geben
                  als auf den Schein des Wertfetischs: Ach so real und
                  ach so irreal zugleich. An Reinkarnation glaube ich
                  weit mehr in dem abstrakten Sinn, in dem die Physiker
                  an Energieerhaltung glauben, als in all den
                  konkreteren Sinnen, die ich aus asiatisch inspirierten
                  Esoteriken kenne.<br>
                  Konvergieren tut jedenfalls mein rationales und mein
                  irrationales Denken in einer Kategorie, der des
                  Leidens. Sie bleibt die realste Kategorie dieses
                  Weltzusammenhangs. Hin und wieder aber ist sie mir
                  schon in tiefstem Glück entschwunden. Und diese
                  Momente füttern das irrationale Moment. Denn wo
                  Rationalität bloß als ihre abstrakteste Bestleistung
                  auf schwerlich planbaren Lustgewinn und übereifrig
                  alles Mögliche verbietende Unlustvermeidung, auf einen
                  schwachen Inhalt der schlechten Unendlichkeit von
                  Selbsterhaltung verweist, führen die irrationalen
                  Momente bis in emotionalste Untiefen vor, was das im
                  Kern alles bedeuten und in was für bessere Welten es
                  ausufern kann.<br>
                  Naja, keine Ahnung, ob das irgendwas klarer macht.
                  Schien mir dennoch nötig, es hinterherzuschicken.<br>
                  <br>
                  Zur immanenten Kritik am Ideologie- und
                  Psychosebegriff habe ich gerade noch immer nicht die
                  Muße. Aber ich kopiere zumindest mal einen Absatz aus
                  Adornos Negativer Dialektik rein, der vielleicht klar
                  machen könnte, wie das Argument grundsätzlich
                  funktionieren wird:<br>
                  "Indem Denken sich versenkt in das zunächst ihm
                  Gegenüberstehende, den Begriff, und seines immanent
                  antinomischen Charakters gewahr wird, hängt es der
                  Idee von etwas nach, was jenseits des Widerspruchs
                  wäre. Der Gegensatz des Denkens zu seinem Heterogenen
                  reproduziert sich im Denken selbst als dessen
                  immanenter Widerpruch. Reziproke Kritik von
                  Allgemeinem und Besonderem, identifizierende Akte, die
                  darüber urteilen, ob der Begriff dem Befaßten
                  Gerechtigkeit widerfahren läßt, und ob das Besondere
                  seinen Begriff auch erfüllt, sind das Medium des
                  Denkens der Nichtidentität von Besonderem und Begriff.
                  Und nicht das von Denken allein. Soll die Menschheit
                  des Zwangs sich entledigen, der in Gestalt von
                  Identifikation real ihr angetan wird, so muß sie
                  zugleich die Identität mit ihrem Begriff erlangen.
                  Daran haben alle relevanten Kategorien teil. Das
                  Tauschprinzip, die Reduktion menschlicher Arbeit auf
                  den abstrakten Allgemeinbegriff der durchschnittlichen
                  Arbeitszeit, ist urverwandt mit dem
                  Identifikationsprinzip. Am Tausch hat es sein
                  gesellschaftliches Modell, und er wäre nicht ohne es;
                  durch ihn werden nichtidentische Einzelwesen und
                  Leistungen kommensurabel, identisch. Die Ausbreitung
                  des Prinzips verhält die ganze Welt zum Identischen,
                  zur Totalität. Würde indessen das Prinzip abstrakt
                  negiert; würde als Ideal verkündet, es solle, zur
                  höheren Ehre des irreduzibel Qualitativen, nicht mehr
                  nach gleich und gleich zugehen, so schüfe das Ausreden
                  für den Rückfall ins alte Unrecht. Denn der
                  Äquivalententausch bestand von alters her gerade
                  darin, daß in seinem Namen Ungleiches getauscht, der
                  Mehrwert der Arbeit appropriiert wurde. Annullierte
                  man simpel die Maßkategorie der Vergleichbarkeit, so
                  träten anstelle der Rationalität, die ideologisch
                  zwar, doch auch als Versprechen dem Tauschprinzip
                  innewohnt, unmittelbare Aneignung, Gewalt, heutzutage:
                  nacktes Privileg von Monopolen und Cliquen. Kritik am
                  Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens
                  will, daß das Ideal freien und gerechten Tauschs, bis
                  heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. Das allein
                  transzendierte den Tausch. Hat ihn die kritische
                  Theorie als den von Gleichem und doch Ungleichem
                  enthüllt, so zielt die Kritik der Ungleichheit in der
                  Gleichheit auch auf Gleichheit, bei aller Skepsis
                  gegen die Rancune im bürgerlichen Egalitätsideal, das
                  nichts qualitativ Verschiedenes toleriert. Würde
                  keinem Menschen mehr ein Teil seiner lebendigen Arbeit
                  vorenthalten, so wäre rationale Identität erreicht,
                  und die Gesellschaft wäre über das identifizierende
                  Denken hinaus. Das rückt nahe genug an Hegel. Die
                  Demarkationslinie zu ihm wird schwerlich von einzelnen
                  Distinktionen gezogen; vielmehr von der Absicht: ob
                  Bewußtsein, theoretisch und in praktischer Konsequenz,
                  Identität als Letztes, Absolutes behauptet und
                  verstärken möchte, oder als den universalen
                  Zwangsapparat erfährt, dessen es schließlich auch
                  bedarf, um dem universalen Zwang sich zu entwinden, so
                  wie Freiheit nur durch den zivilisatorischen Zwang
                  hindurch, nicht als retour à la nature real werden
                  kann. Der Totalität ist zu opponieren, indem sie der
                  Nichtidentität mit sich selbst überführt wird, die sie
                  dem eigenen Begriff nach verleugnet. Dadurch ist die
                  negative Dialektik, als an ihrem Ausgang, gebunden an
                  die obersten Kategorien von Identitätsphilosophie.
                  Insofern bleibt auch sie falsch, identitätslogisch,
                  selber das, wogegen sie gedacht wird. Berichtigen muß
                  sie sich in ihrem kritischen Fortgang, der jene
                  Begriffe affiziert, die sie der Form nach behandelt,
                  als wären es auch für sie noch die ersten. Zweierlei
                  ist, ob ein Denken, durch die Not der einem jeglichen
                  unentrinnbaren Form, geschlossen, prinzipiell sich
                  fügt, um den Anspruch der traditionellen Philosophie
                  auf geschlossenes Gefüge immanent zu verneinen – oder
                  ob es jene Form der Geschlossenheit von sich aus
                  urgiert, der Intention nach sich selbst zum Ersten
                  macht. Im Idealismus hatte das höchst formale Prinzip
                  der Identität, vermöge seiner eigenen Formalisierung,
                  Affirmation zum Inhalt. Unschuldig bringt das die
                  Terminologie zutage; die simplen prädikativen Sätze
                  werden affirmativ genannt. Die Copula sagt: Es ist so,
                  nicht anders; die Tathandlung der Synthese, für welche
                  sie einsteht, bekundet, daß es nicht anders sein soll:
                  sonst würde sie nicht vollbracht. In jeglicher
                  Synthesis arbeitet der Wille zur Identität; als
                  apriorische, ihm immanente Aufgabe des Denkens
                  erscheint sie positiv und wünschbar: das Substrat der
                  Synthesis sei durch diese mit dem Ich versöhnt und
                  darum gut. Das erlaubt dann prompt das moralische
                  Desiderat, das Subjekt möge seinem Heterogenen sich
                  beugen kraft der Einsicht, wie sehr die Sache die
                  seine ist. Identität ist die Urform von Ideologie. Sie
                  wird als Adäquanz an die darin unterdrückte Sache
                  genossen; Adäquanz war stets auch Unterjochung unter
                  Beherrschungsziele, insofern ihr eigener Widerspruch.
                  Nach der unsäglichen Anstrengung, die es der Gattung
                  Mensch bereitet haben muß, den Primat der Identität
                  auch gegen sich selbst herzustellen, frohlockt sie und
                  kostet ihren Sieg aus, indem sie ihn zur Bestimmung
                  der besiegten Sache macht: was dieser widerfuhr, muß
                  sie als ihr An sich präsentieren. Ideologie dankt ihre
                  Resistenzkraft gegen Aufklärung der Komplizität mit
                  identifizierendem Denken: mit Denken überhaupt. Es
                  erweist daran seine ideologische Seite, daß es die
                  Beteuerung, das Nichtich sei am Ende das Ich, nie
                  einlöst; je mehr das Ich es ergreift, desto
                  vollkommener findet das Ich zum Objekt sich
                  herabgesetzt. Identität wird zur Instanz einer
                  Anpassungslehre, in welcher das Objekt, nach dem das
                  Subjekt sich zu richten habe, diesem zurückzahlt, was
                  das Subjekt ihm zugefügt hat. Es soll Vernunft
                  annehmen wider seine Vernunft. Darum ist
                  Ideologiekritik kein Peripheres und
                  Innerwissenschaftliches, auf den objektiven Geist und
                  die Produkte des subjektiven Beschränktes, sondern
                  philosophisch zentral: Kritik des konstitutiven
                  Bewußtseins selbst." (Adorno, Negative Dialektik, GS6,
                  S. 149ff)<br>
                  <br>
                  Ich bin übrigens einige Tage komplett off vom
                  Digitalen.<br>
                  <br>
                  Liebe Grüße,<br>
                  <br>
                  Bert<br>
                  <br>
                  <br>
                  <br>
                  <br>
                  <br>
                  <br>
                  <br>
                  <br>
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