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<title>Finanzkrise: Die Macht der (Geld-)Menge — der Freitag</title>

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</a><br>

        <h2>Finanzkrise: Die Macht der (Geld-)Menge</h2>

        <div class="blogentry_body"><p><strong>Statt realwirtschaftlichen Prozessen ein Maß zu geben, ist unser Bankensystem selbst maßlos geworden. 95 Prozent der Geldschöpfung findet mittlerweile in den Geschäftsbanken statt. So hat sich ein instabiles System etabliert, das wiederholt zu einer abzusehenden Enteignung volkswirtschaftlichen Reichtums führt. Doch die Menge der Menschen scheint dies nicht   mehr länger hinzunehmen zu wollen. Unsere Gesellschaften könnten damit vor einer historischen Wende stehen: der demokratischen Zusammenführung von Macht und Verantwortung im Geldwesen.</strong></p>
<p><span>Von Robert Zion</span></p>
<p><span>Er ist ein Star unter den neoklassischen Ökonomen, seine mathematischen Analysen über das Zusammenwirken von Zinssätzen und Preisniveau sind volkswirtschaftliches Grundlagenwissen, seine Theorien gelten heute weitestgehend als umgesetzt. Weitestgehend. Denn Irving Fishers (1867-1947) wichtigstes Werk, mit dem er den für ihn unausweichlichen Bankrott eines „ruinösen Systems“ abwenden wollte, ist nahezu folgenlos geblieben: „100%-Money“ von 1935. Noch unter dem Eindruck der „Great Depression“ legt Fisher hierin dar, dass es das System der Geldschöpfung durch Geschäftsbanken ist, das systemische Instabilität, Überschuldung und damit Deflation und Inflation befördert, wenn nicht sogar maßgeblich mit hervorbringt. Es gehört daher auch nicht viel Fantasie dazu, davon auszugehen, dass Fisher heute an der Seite der Occupy-Bewegung stehen würde.</span></p>
<p><span><img style="float: right;" src="http://4.bp.blogspot.com/-c186-qbeX6g/TZAd5QQ9keI/AAAAAAAAAAY/h9RfqZAWnLA/s1600/irving_fisher.jpg" alt="" width="300" height="380">Kein Kreditsachbearbeiter irgendeiner Geschäftsbank heute würde einer anderen Bank Kredit einräumen, wenn er deren Bilanzen nur als die eines ganz normalen Wirtschaftsbetriebes zu sehen bekäme. Seit der Amsterdamer Wechselbank und dem großen Aufdeckungs-Skandal Ende des achtzehnten Jahrhunderts hat sich daran im Grunde nichts geändert. Banken verleihen Geld, dass sie nicht haben, verhalten sich nach dem Herdentrieb und dabei grundsätzlich prozyklisch, im Arkanum des Geflechts ihrer Geschäftsbeziehungen findet so Geldschöpfung und Finanzblasenbildung, wie Fisher sagt, aus „dünner Luft“ statt. Obwohl sich bis heute das System unabhängiger Zentralbanken weitestgehend durchgesetzt hat, erweisen diese sich bestenfalls noch als nachsteuerungsfähig, stehen wir einmal mehr vor einer gigantischen Anhäufung von Schuldentiteln und damit leider auch vor einer zu befürchtenden „New Great Depression“.</span></p>
<p><span>Nur, statt jetzt wieder von Bankenverstaatlichung zu reden, wäre es endlich einmal angebracht, stattdessen von einer Verstaatlichung der Geldschöpfung zu reden – selbstverständlich monopolisiert bei den unabhängigen Zentralbanken. Die Wiederherstellung des staatlichen Geldregals und damit der klassischen Seignorage – also des staatlichen Geldschöpfungsgewinns – mag ein simpel erscheinender Gedanke sein, doch das haben grundlegende Gedanken nun mal so an sich. Auch Fisher wurde nicht müde zu betonen, dass „das Publikum“ das System verstehen muss, von dem nicht zuletzt der eigene Wohlstand abhängt. Ein Publikum, dass zur Zeit ja auch sehr gut zu verstehen scheint, dass das jetzige System der „Überverleihung“ im Grunde untragbar geworden ist. Bleiben wir also noch ein wenig beim Verständlichen.</span></p>
<p><span>Banken und Finanzinstitute sollten nur noch Geschäfte mit Geld tätigen das es bereits gibt und das sie zudem auch wirklich haben. Das Recht der Geldschöpfung durch Kreditvergabe, heißt das, wird ihnen entzogen. Alle umlaufenden Geldmittel barer und nicht-barer Art werden durch die Zentralbank zu 100 Prozent gedeckt, die fortan die Geldschöpfung und damit auch die de facto-Geldmengensteuerung aus den Händen der Geschäftsbanken nimmt; eine de facto-Geldmengensteuerung also, die die jetzige indirekte Steuerung über die Leitzinsen offensichtlich nicht mehr erfüllt. Die Geschäftsbanken tätigen ihre Geschäfte fortan nur noch aus ihren Tilgungen und den Spareinlagen ihrer Kunden, die in Zukunft scharf von den Sichtguthaben getrennt werden. Die Sichtguthaben auf unseren Girokonten sind dann in Zukunft tatsächlich nur treuhänderische Hinterlegungen bei der Bank. Allein der Kunde wird dann entscheiden, ob er diese in Spareinlagen umwandeln und damit der Bank für ihre Geschäfte überantworten will.</span></p>
<p><span><img style="float: left;" src="http://rwiweb.uzh.ch/spinoza/images/Spinoza4.gif" alt="" width="209" height="300">In seinem „Politischen Traktat“ von 1677 sprach der Amsterdamer Frühaufklärer Baruch de Spinoza, der seine Gedanken unter dem Schutz der jungen holländischen Republik entwickeln konnte, von der Demokratie als der „Macht der Menge“. Dass es auch so etwas wie die Macht Banken über die Geldmenge gibt, zeigte sich ironischerweise noch zu Lebzeiten Spinozas und am gleichen Ort.</span></p>
<p>Die bereits erwähnte Amsterdamer Wechselbank hatte damals für nahezu anderthalb Jahrhunderte lang mit einer Missbrauchspraxis begonnen, indem sie ihrem Besitzer, der Stadt Amsterdam, Geld geliehen und das ausgeliehen Bargeld mit der von der Stadt hinterlegten öffentlichen Anleihen gedeckt hatte – im Geheimen. Damit, wie fast zur gleichen Zeit in England, begann ein intransparentes Geldwesen auf „dünnem Eis“. Irving Fisher bemerkt dazu etwas süffisant: „Der einzige wichtige Unterschied zwischen dem Missbrauch, der schließlich die Bank von Amsterdam in den Ruin getrieben hat und der heutigen modernen Art und Weise des Verleihens von Einleger-Geld, besteht darin, dass das moderne System nicht geheim, sondern mit Zustimmung aller Beteiligten und in aller Öffentlichkeit praktiziert wird.“</p>
<p><span><img style="float: right;" src="http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/2/28/Saenredam_-_Het_oude_stadhuis_te_Amsterdam.jpeg/220px-Saenredam_-_Het_oude_stadhuis_te_Amsterdam.jpeg" alt="" width="220" height="171">Heute wissen wir es also, es geschieht mit unserer Zustimmung und in aller Öffentlichkeit: Über der Macht der Menge steht die Macht der Geschäftsbanken über die Geldmenge. Diese Macht führt ein ineinander verschränktes, undurchsichtiges System von Staaten und Geschäftsbanken regelmäßig in heillose Überschuldungen. Demgegenüber steht ein großes Nicht-Wissen darüber – was man auch damals in der jungen Amsterdamer Republik bereits zu ahnen begann –, welche realwirtschaftlichen Werte eigentlich von dem in den Banken neu geschöpftem Geld repräsentiert werden. Die Staaten des Euro-Raums könnten diesem System des Nicht-Wissens heute sogar relativ einfach ein Ende machen, indem sie die Sichtguthaben der Banken als gesetzliches Zahlungsmittel festschreiben, so das Verfahren zur Schöpfung und Vernichtung von Geld von den Bankgeschäften trennen und es damit auf die EZB als unabhängige „Währungskommission“ übertragen.</span></p>
<p><span><img style="float: left;" src="http://www.mcsdk12.org/curr/images/tjefferson.gif" alt="" width="248" height="318">Es geht im Grunde genommen darum, das Geld demokratisch zu machen, indem die Macht der Menge über die Geldmenge wieder hergestellt wird, mittels unserer öffentlich-rechtlichen Institutionen, indem also „den Banken das Emissionsrecht für Geld entzogen und dem Volk zurückgegeben werden sollte, dem es auch zusteht.“ So forderte es bereits Thomas Jefferson. Nun, das Volk kann sich dann natürlich auch irren, das ist nicht auszuschließen. Die Finanzinstitute allerdings irren sich mit ihrer de facto-Geldmengensteuerung mit Sicherheit – heute ist dies wieder einmal die nahezu einzige Sicherheit geworden, die wir von ihnen noch haben.</span></p>
<p> </p>
<p> </p>
<p><span><br></span></p><p><span><br></span></p><p><span><br></span></p><p><span><br></span></p><p><span><br></span></p><p><span><br></span></p><p><span>Robert Zion ist Mitglied des globalisierungskritischen Bündnisses attac und Grünen-Politiker in Nordrhein-Westfalen.</span></p>
<p>Abbildungen (von oben nach unten): Irving Fisher, Baruch de Spinoza, die Amsterdamer Wisselbank, Thomas Jefferson.</p></div>

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