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<P>Lieber Herr Schultz, liebe Liste,</P>
<P>Sollte man mit dem Gedanken spielen, dass der Volksentscheid nicht über „Alle 
Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ (Artikel 20, 2) legitimiert werden sollte, 
sondern – weniger herrscherisch – über die Entscheidungsgewalt des Parlaments 
„Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen.“ (Artikel 77, 1)? Das 
heißt, der Bundestag hat volles Vetorecht, auch wenn er das Volksbegehren 
ablehnt, und es zu einem 'Volkentscheid' kommt. Der VE wäre dann eine 
Entscheidungsforderung (unter vielen) aus der Peripherie des pol. Systems 
heraus. Er erhöht die Unbestimmtheit des Systems, resp. dessen Macht. Eine 
Erweiterung des Themenspektrums, ganz im Sinne der 'Wohlfahrt'. Man könnte ihn 
Volksempfehlung nennen. (Man könnte es auch anders machen: Ein Eintrag in die 
Lobbyliste: 'Publikum'.)</P>
<P>Weniger ironisch: Um Veränderungen des politischen Systems zu fordern, sollte 
man wissen, wie es funktioniert. So ähnlich formuliert der Soziologe Niklas 
Luhmann in der "Politik der Gesellschaft". Wie Sie vielleicht wissen, geht 
Luhmann von der Politik als einem System aus, das die Elemente, aus denen es 
besteht selber reproduzieren kann. Beispielsweise wird durch Rhetorik, 
Grundwerte-Kommunikation und hochgetriebene Ansprüche (Ausgleichszahlungen, 
'Gerechtigkeit', 'Sicherheit' ...) die Unbestimmtheit der Entscheidungen 
gesteigert; mehr Entscheidungsmöglichkeiten, mehr Macht, höhere Ansprüche, mehr 
Unbestimmtheiten usf. So haben 'wir' es zu einer Politik gebracht, die das hohe 
Ideal der Gleichheit des Individuellen (!) politisch institutionalisiert hat. 
</P>
<P>Im Anschluss an dieses Buch dachte ich über den Volksentscheid nach. Der VE 
wäre, im besten Falle, vergleichbar einem konjunkturellem Wirtschaftswachstum, 
als dessen 'Verursacher' die Politik sich fälschlich rühmen kann, oder, im 
schlechten Falle, eine Art Naturkatastrophe, nach der die Regierung sehen muss, 
was noch zu retten ist. Das Volk ist nicht Teil des politischen Systems, sondern 
ist Teil der Umwelt, für die das System Leistungen erbringt; in dieser Umwelt 
kann es allenfalls wählen, demonstrieren, öffentlichen Druck generieren, aber 
das heißt eben: stören, den schon immensen Entscheidungsdruck erhöhen, der in 
Macht umgewandelt wird; es kann nicht basaler Bestandteil der Demokratie sein - 
außer in dem Sinne eines immer komplexer, anspruchsvoller werdenden Teils der 
innergesellschaftlichen Umwelt des politischen Systems.</P>
<P>In diesem Sinne ist die Autonomie des politischen Systems (ausschließliche 
Orientierung an dem Schema Regierung/Opposition, d.h. das Selbstverständnis als 
Demokatrie) Voraussetzung dafür, dass das Volk (Jedermann) mit reden kann. Erst 
das hochgetriebene politische Ideal der 'Wohlfahrt' macht es möglich, dass die 
Interessen Aller in den Entscheidungsfindungsprozess einbezogen werden können. - 
Es mag an der Zeit sein, diese Beteiligung zu fordern, im Sinne einer höheren 
Unbestimmtheit (der möglichen Entscheidungen) des Systems, aber die Macht, um 
tatsächlich zu entscheiden, würde von einem Volkentscheid verringert, nämlich 
ausgelagert in die Fluktuationen jener Individuenansammlung, die wir Volk 
nennen. Eine Volksempfehlung, die dem Bundestag volles Vetorecht zugesteht, 
würde die Macht des Systems steigern - weil die Offenheit der möglichen 
Entscheidungen um 'Empfehlungen' des Volkes erweitert würde.</P>
<P>Kurz: MITBESTIMMEN im Sinne einer legislativen Gewalt des Volkes = den 
(gewählten) Staat zu unterlaufen, eine Konkurrenz von politischen Entscheidern 
(nicht: bloß Interessenten), die Unmöglichkeit, den Entscheider Volk zur 
politischen Verantwortung zu ziehen (ihn abzuwählen etc.) 
...<BR>MITREDEN im Sinne eines Volkesentscheides mit parlamentarischem 
Vetorecht (Volksempfehlung) = Steigerung der Macht des politischen Systems, 
Erweiterung des Themenspektrums, Schaffung von demokratisch thematisierten 
Alternativen ...</P>
<P>Was sagen Sie dazu? Und - ich bin mir durchaus nicht sicher - sollte man in 
dieser Weise überlegen, den 'Volksentscheid' über Artikel 77, 1 des GG zu 
legitimieren? Über Ihre Kritik würde ich mich freuen.</P>
<P>Mit freundlichen Grüßen,<BR>Christian Wilke</P>
<P>"[Das Plädoyer für den bundesweiten Volksentscheid, u.a. von ver.di, ist] 
eine sehr wichtige Kampagne, denke ich, die auch die Anhänger des BGE, andere 
Bürgerinitiativen und zivilgesellschaftlichen Kräfte unbedingt unterstützen 
sollten. </P>
<P>Ein Argument hierzu ist das Grundgesetz.</P>
<P>Artikel 20 GG<BR>(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke 
in Wahlen <BR>und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der 
<BR>vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.</P>
<P>Fragt doch einmal die Politiker: Es gibt zwar Wahlen in der 
<BR>Bundesrepublik, aber wo bleiben die Abstimmungen? Die in Artikel 20 
<BR>extra mit aufgeführt, sollten also auch für deutschlandweite 
<BR>Volksabstimmungen gelten." (Ernst Ullrich Schultz, 
06.05.09)</P></DIV></BODY></HTML>