[Debatte-Grundeinkommen] Mafia, Geld und Gerechtigkeit

Dr. Gero Jenner gerojenner at gmail.com
Mo Mai 19 10:29:12 CEST 2014


To whom it may concern

 

Mafia, Geld und Gerechtigkeit

 von Gero Jenner


 Aktualisiertes Original unter: http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Mafia,_Geld_und_Gerechtigkeit.html

Endlos lässt sich darüber streiten, ob es gerecht ist, dass ein Firmenchef zehnmal oder hundertmal so viel verdient wie der einfachste seiner Mitarbeiter. Ein hervorragender Chef verwandelt eine Klitsche in ein Weltunternehmen, ein schlechter treibt es in den Ruin. Meist ist es unmöglich, die jeweiligen Leistungen zu vergleichen und noch viel schwieriger die ihnen zugrunde liegenden Voraussetzung von Ausbildung, Wissen und Können. Allgemeine Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass es schreiendes Unrecht ist, wenn eine Gruppe von Mafiosi ihren eigenen Lebensunterhalt mit Schutzgelderpressungen bestreitet, also sich parasitär in einer Gesellschaft einnistet.


Es herrscht auch Einigkeit darüber, dass die Polizei unser Eigentum schützt, indem sie Einbrecher daran hindert, in unsere Häuser einzudringen, aber alle würden es als im höchsten Maße ungerecht bekämpfen, wenn die Polizei den Villenbesitzern bei der Erweiterung oder Verschönerung ihrer Häuser hilft. Die Polizei als Dienstpersonal der Allgemeinheit ließe sich in diesem Fall für die Interessen der Besitzenden einspannen.


Umso seltsamerweise muss es erscheinen, dass demokratische Staaten diesen offenkundigen Verstoß gegen unser Gerechtigkeitsgefühl in anderen Bereichen auf krasse Weise missachten. Gewiss, es wäre sehr ungerecht, wenn jemand Vermögen, das er durch eigene Arbeit erwarb, ohne eigene Schuld dahinschmelzen sähe. Daher halten wir es für durchaus gerecht, wenn Polizei und Staat dafür sorgen, dass eine solche Verletzung der Eigentumsrechte verhindert wird - ebenso wie sie für den Schutz unserer Häuser und unseres sonstigen Eigentums sorgen. Doch nur in Diktaturen wird die Polizei dazu missbraucht, über diesen selbstverständlichen Schutz hinaus, dieses Eigentum zu vermehren. Das wäre nichts anderes als die oben beschworene Praxis parasitärer Mafiaorganisationen.


Daher ist es verstörend, dass genau diese Praxis bei anderen Arten des Eigentums sehr wohl geduldet wird, zum Beispiel beim Geldkapital. Hier hört man jedoch so gut wie keinen Protest, obwohl grundsätzlich nicht der geringste Unterschied zum Treiben der Mafia besteht.


Im Augenblick findet in Deutschland eine Diskussion darüber statt, ob es noch als gerecht gelten darf, dass abhängig Beschäftigte einer Einkommenssteuer von bis zu 45% unterliegen, die Kapitalvermögen aber nur einer Last von 25%. Im Sinne der Gerechtigkeit habe sich das deutsche Bundesverfassungsgericht von jeher für eine gleiche Besteuerung eingesetzt.


Gerechtigkeit? Was ist denn daran gerecht, dass der Staat statt das Vermögen lediglich zu schützen, dessen üppige Vermehrung gestattet, und zwar ohne alle eigene Leistung? Bekanntlich vergrößert und verschönert sich eine Villa niemals von selbst - ihr Besitzer muss dafür schon etwas tun, z.B. indem er Arbeiter dafür bezahlt. Und bekanntlich wächst Geldkapital genauso wenig, wenn sein Eigentümer dafür keine Leistung erbringt. Aber nein, in diesem Fall ist alles anders. Es darf ohne eigene Leistung wachsen: Der Staat drückt angestrengt beide Augen zu, wenn die Geldvermögen Schutzgelderpressung betreiben. Entweder ihr, die Allgemeinheit, sorgt für leistungslose Vermehrung oder wir streiken!


Das ist schon überaus seltsam: Wir schreien laut auf, wenn ein Villenbesitzer oder Schlossherr die Polizei oder andere staatliche Organe für eigene Zwecke benutzt. Mit Recht stellen wir dann mafiose Zustände an den Pranger. Aber grundsätzlich liegt genau derselbe Fall vor, wenn sich statt seiner Villa sein Geldvermögen ohne jedes eigene Zutun vermehrt. Dieser Fall ist sogar um einiges schlimmer, weil nicht nur Teilorgane wie Polizei oder Gerichtsbarkeit vor die Interessen einer kleinen Schicht gespannt werden, sondern der gesamte abhängig arbeitende Teil der Bevölkerung ungefragt dafür herhalten muss.


Wie abgehoben von wirklicher Gerechtigkeit mutet da die Diskussion um die Angleichung von Einkommens- und Geldkapitalbesteuerung an! Da kommt mafioses Verhalten gar nicht erst in den Blick, sondern bloß das Problem, wie weit man es dulden will. Dabei liegt wirkliche Gerechtigkeit in diesem Fall einmal offenkundig zutage. Mit vollem Recht darf ich vom Staat verlangen, dass er mein Haus vor marodierenden Banden schützt. Mit gleichem Recht darf ich ebenso verlangen, dass meine angesparte Million in ihrem vollen Kaufwert erhalten bleibt; aber mit welchem Recht poche ich darauf, dass er mein Eigentum vermehrt, wenn eine solche Vermehrung zwangsläufig auf der Ausnutzung und Arbeit anderer Menschen beruht? Was ist daran gerecht?


Nein, über Gerechtigkeit brauchen wir hier gar nicht zu streiten so wie im Fall des Unternehmenschefs, dessen Leistung nicht eindeutig bestimmt werden kann. Hier ist die größtmögliche Eindeutigkeit gegeben. Die Leistung, die ich für den Geldkapitalertrag aufbringe, beläuft sich exakt auf Null. Wie kann es sein, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht, ein Einkommen, das ich im Schlaf ‚verdiene’, als genauso gerecht bewertet wie eines, für das ich hart, unter Umständen sehr hart, arbeiten muss?


Warum stellt sich das Bundesverfassungsgericht dieser elementaren Ungerechtigkeit nicht entgegen? Warum findet sich die Gesellschaft stillschweigend mit einem parasitären Verhalten ab, das ihre am härtesten errungenen Prinzipien verrät? Müssen wir uns nicht aufs Höchste darüber verwundern, dass die Grundwerte der Gerechtigkeit überhaupt der Verteidigung bedürfen, zumal es erst in langen Kämpfen gelang, die Privilegien der Geburt zu beseitigen und die individuelle Leistung zur Grundlage und Rechtfertigung persönlichen Aufstiegs zu machen?


Wenn der Staat mir die Kaufkrafterhaltung meiner ersparten Million garantiert, kann es nur eine einzige gerechte Lösung geben: Alles was diese Million an Ertrag aufgrund der Arbeit anderer hervorbringt, steht nicht mir, sondern der Allgemeinheit zu, und zwar in voller Höhe. Ich profitiere genug davon, dass dieselbe Allgemeinheit Polizei und Gerichtswesen mit hohen Kosten dafür bezahlt, dass mein Geldvermögen ebenso wie mein Haus und sonstiges Eigentum seinen Wert über die Jahre bewahrt.


Ich weiß schon, gegen dieses elementare Gerechtigkeitsgebot wird sofort eine ganze Breitseite von Argumenten abgeschossen, auch wenn der eine oder andere die grundsätzliche Berechtigung solcher Kritik zugesteht. Sie sei ja zu verstehen, aber der Fachmann wisse, wie viele unübersteigbare Hürden dabei zu überwinden wären. Gewiss, aber das Gleiche lässt sich auch gegen das parasitäre Treiben der Mafia einwenden. Immer gibt es tausend Gründe, warum die ewigen Verhinderer den Kampf gegen den Status quo als hoffnungslos deklarieren. Dabei ist es ja einfach nicht wahr, dass sich niemand mehr dazu hergeben würde, sein Geld anzulegen, wenn er für leistungsfreies Handeln nicht die gleiche Belohnung empfängt wie der Durchschnittsbürger für seine meist aufreibende tägliche Arbeit. Würde ein gerecht handelnder Staat die Kaufkraft des Ersparten garantieren und zugleich eine leichte Inflation zulassen, so dass niemand sein Geld unter der Matratze verwahrt, dann zwingt er die Vermögen weiterhin in den Kreislauf, wo sie Investitionen und damit die Erhaltung der Wirtschaftskraft garantieren. Zusammen mit einem Mindestmaß an Kontrolle über Gold, Edelsteine und andere Mittel der Wertaufbewahrung kann er auch alternative, für die Wirtschaft ungünstige Arten der Vermögenshortung verhindern.


Wir streiten uns ewig über Gerechtigkeit auf jenen Gebieten, wo ein abschließendes Urteil schwer oder auch gar nicht möglich ist. Dass es jedoch ein schreiendes Unrecht ist, wenn die Mafia sich wie ein Hausschwamm parasitär in einer Gesellschaft ausbreitet, leuchtet jedem klar denkenden Menschen ein – und jeder sollte genauso begreifen, dass die parasitäre Vergrößerung der Vermögen und die damit einhergehende Verarmung der Mehrheit kein geringeres Übel und Unrecht ist. Denn sie hat uns jetzt schon in die Privilegiengesellschaft zurückgeführt, die wir doch angeblich abgeschafft haben. Das Ziel einer gerechten Gesellschaft muss darin bestehen, der Mafia ihren vollen Gewinn abzunehmen, so wie es ebenso ihr Recht sein sollte, Geldkapitalerträge zu hundert Prozent zu kassieren (vorausgesetzt, dass die Kaufkraft dieser Vermögen – bis zu einer gewissen Höhe - ebenfalls zu hundert Prozent garantiert wird). Das ist ein Gebot elementarer Gerechtigkeit vor und unabhängig von jeder parteipolitischen Färbung. Und es ist ein Gebot der Stunde, denn in ganz Europa fällt es mehr und mehr Menschen schwer, von ihrem Arbeitseinkommen zu leben, während eine kleine Schicht astronomische Summen (zusätzlich oder nicht zu eigener Arbeit) ganz ohne eigenes Zutun ‚verdient’, indem sie auf parasitäre Art von der Arbeit anderer lebt. So ist es zu einer breiten und sich stetig ausweitenden Kluft zwischen einer superreichen Minderheit und einer allmählich verarmenden Mehrheit gekommen. Wenn es wirklich um Gerechtigkeit geht, dann sollte das Bundesverfassungsgericht Geldkapitalerträge verbieten und damit sämtliches Einkommen, das jemand im Schlaf verdient, denn es ist nicht besser als das Schutzgeld der Mafia.
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20140519/f7a20bdf/attachment.html>


Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen