[Debatte-Grundeinkommen] Finanzkrise: Die Macht der (Geld-)Menge

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Di Okt 25 10:52:30 CEST 2011


Hallo Robert,
danke für diesen guten Anstoß - für mich zur richtigen Zeit. Denn was gerne übersehen wird: Wir haben aktuell keine Krise des Euro, wir haben es vielmehr mit einer Geld-Blase zu tun - weltweit (die USA hat ja keinen Euro....).

Die Aufgabe von Geld ist ja eigentlich, den Tausch von Waren und Dienstleistungen praktisch zu ermöglichen, indem ich eine Ware oder Dienstleistung in etwas tausche, dem ich den gleichen Wert zuweise, und das praktisch geteilt und transportiert werden kann, und von allen anderen als "so gut wie reale Ware" angesehen wird.

Bis 1971 war ja der Dollar mit Gold gedeckt, d.h. jede Dollarnote entsprach einem jederzeit eintauschbaren Goldwert. Klar, dass so ein Geld einen Wert hat und behält. Nixon (wg. Vietnam-Krieg), hob das auf, jetzt konnte Geld in "beliebigen" Mengen gedruckt werden. Seitdem hat sich der Warenwert der Welt ver-4-facht, die Summe des umlaufenden Geldes ver-40-facht. Im Klartext: 90% des neu gedruckten Geldes ist tatsächlich nur bedrucktes Papier - mehr nicht, dahinter steckt absolut kein irgendwie gearteter Wert (außer der Hoffnung der Menschen, dass es schon etwas Wert sei....). Üblicherweise spricht man dann von einer "Blase".

Notwendig wurde diese Geldvermehrung auch durch unsere Zinswirtschaft, die abenteuerlich ist. Wenn Geld nur seinen Wert behält, wenn dahinter ein entsprechender realer Wert steht (Gold oder sonstige Waren), dürfte die Geldmenge maximal mit dem Anstieg der dahinterstehenden Werte wachsen. Nachdem das nicht passiert ist, haben wir also eine Geld-Blase. oder anders ausgedrückt: Wir müssten 90% des Geldzuwachses eliminieren - und zwar idealerweise so, dass kein Schaden entsteht. Das wird sehr schwierig.

Der völlig verkehrt aufgezäumte Euro ist hier nicht Ursache, sondern verschlimmert die Situation lediglich, weil es eine reine "Schönwetter-Währung" ist. Man wollte das politische Signal, ohne sich die Mühe zu machen, zuerst die Steuer-, Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik zu vereinheitlichen. Das rächt sich jetzt und verschlimmert die Situation, ist aber nicht die Ursache.

Allerdings ist der Euro jetzt die Ursache dafür, dass bei den Stammtischen der Nationen bereits Krieg herrscht ("die faulen Griechen" - "die herrschsüchtigen Deutschen"...), und sich die Bevölkerung Griechenlands bereits in einem Wirtschaftskrieg befindet: Sie verlieren ihre Eigentumswohnungen, obwohl sie bereits 20 Jahre dafür gezahlt haben, sie verlieren ihre Arbeit, ihre Hoffnung. Somit ist es nicht der Euro, der den Frieden in Europa sichert, sondern umgekehrt: Der Euro macht (zumindest Wirtschafts-)Kriege in Europa überhaupt wieder denkbar!

Europäische Solidarität? Fehlanzeige! Auch wir wollen dass die Griechen bluten, und zwar nur, damit unsere Banken nicht untergehen. Das ist nicht MEIN Europa! Das ist nicht das Europa der Menschen, dass ist das Europa der Banken! Die für mich einzige Lösung wäre, dass alle Länder gemeinsam aus DIESEM Euro aussteigen und es als teure Erfahrung abbuchen. Wenn wir das nicht tun, kann es passieren, dass auch die Idee "Europa" massiven Schaden nimmt.

Meine Hoffnung: So etwas gewaltiges wie ein BGE werden wir in Deutschland (oder Europa) in normalen Zeiten nie durchsetzen - in einem Land, wo es nicht einmal gelungen ist, die Entfernungspauschale zu modifizieren. Änderungen sind nur in Krisenzeiten möglich (ja, genau: DAS sind die Chancen, die mit dem griechischen(!) Begriff der Krisis auch gemeint sind). Uns wurde die Demokratie nach der Krise "2. Weltkrieg" auch übergestülpt - als Beispiel.

Wir werden noch gewaltige Umwälzungen erleben. Zumindest ist das wesentlich wahrscheinlicher, als dass diese Geldblase "friedlich" geregelt werden kann. Und das wäre der Zeitraum, wo wirkliche Veränderungen möglich sind. Und für mich wäre hier das BGE EIN zentraler Baustein für eine bessere gesellschaftliche Ordnung. 
Vielleicht müssen wir umfassender denken.

Danke Robert,
Christopher


Am 24.10.2011 um 12:05 schrieb Robert Zion:

> Hallo zusammen,
> 
> eine kurze Eingangsbemerkung zu dem Artikel. Er ist als Denkanstoß und als nur einer der Bausteine gedacht, mit denen wir jetzt die Aufgabe zu bewältigen haben, die Demokratie zurückzugewinnen. Die Entflechtung des gesamten Banken- und Finanzsektors, eine Vermögensabgabe in Form eines neues Lastenausgleichgesetzes, Finanztransaktionssteuer etc.- dies alles sind weitere Bausteine. Es gibt eben auch die langen - Jahrhunderte alten - Linien des Kapitalismus. Dessen Rettung interessiert mich nicht - mich interessiert die Rettung der Demokratie. All diejenigen die - offen oder klammheimlich - die Zusammenbruchsthese verfolgen, verneinen damit nur die Transformationsfähigkeit der Steuerungsmechanismen unserer Gesellschaften, verbleiben im Gegensatz Reform/Revolution. 
> 
> Es hat im übrigen Weiterentwicklungen der Idee der Demokratisierung des Geldwesens von Jefferson und Fisher gegeben: Etwa in der Form, die staatliche Seignorage direkt auf die Girokonten der Bürger/innen als Grundeinkommen zu überweisen.
> 
> Lieben Gruß
> 
> Robert
> 
> 
> 
>   
> Finanzkrise: Die Macht der (Geld-)Menge
> 
> Statt realwirtschaftlichen Prozessen ein Maß zu geben, ist unser Bankensystem selbst maßlos geworden. 95 Prozent der Geldschöpfung findet mittlerweile in den Geschäftsbanken statt. So hat sich ein instabiles System etabliert, das wiederholt zu einer abzusehenden Enteignung volkswirtschaftlichen Reichtums führt. Doch die Menge der Menschen scheint dies nicht mehr länger hinzunehmen zu wollen. Unsere Gesellschaften könnten damit vor einer historischen Wende stehen: der demokratischen Zusammenführung von Macht und Verantwortung im Geldwesen.
> 
> Von Robert Zion
> 
> Er ist ein Star unter den neoklassischen Ökonomen, seine mathematischen Analysen über das Zusammenwirken von Zinssätzen und Preisniveau sind volkswirtschaftliches Grundlagenwissen, seine Theorien gelten heute weitestgehend als umgesetzt. Weitestgehend. Denn Irving Fishers (1867-1947) wichtigstes Werk, mit dem er den für ihn unausweichlichen Bankrott eines „ruinösen Systems“ abwenden wollte, ist nahezu folgenlos geblieben: „100%-Money“ von 1935. Noch unter dem Eindruck der „Great Depression“ legt Fisher hierin dar, dass es das System der Geldschöpfung durch Geschäftsbanken ist, das systemische Instabilität, Überschuldung und damit Deflation und Inflation befördert, wenn nicht sogar maßgeblich mit hervorbringt. Es gehört daher auch nicht viel Fantasie dazu, davon auszugehen, dass Fisher heute an der Seite der Occupy-Bewegung stehen würde.
> 
> Kein Kreditsachbearbeiter irgendeiner Geschäftsbank heute würde einer anderen Bank Kredit einräumen, wenn er deren Bilanzen nur als die eines ganz normalen Wirtschaftsbetriebes zu sehen bekäme. Seit der Amsterdamer Wechselbank und dem großen Aufdeckungs-Skandal Ende des achtzehnten Jahrhunderts hat sich daran im Grunde nichts geändert. Banken verleihen Geld, dass sie nicht haben, verhalten sich nach dem Herdentrieb und dabei grundsätzlich prozyklisch, im Arkanum des Geflechts ihrer Geschäftsbeziehungen findet so Geldschöpfung und Finanzblasenbildung, wie Fisher sagt, aus „dünner Luft“ statt. Obwohl sich bis heute das System unabhängiger Zentralbanken weitestgehend durchgesetzt hat, erweisen diese sich bestenfalls noch als nachsteuerungsfähig, stehen wir einmal mehr vor einer gigantischen Anhäufung von Schuldentiteln und damit leider auch vor einer zu befürchtenden „New Great Depression“.
> 
> Nur, statt jetzt wieder von Bankenverstaatlichung zu reden, wäre es endlich einmal angebracht, stattdessen von einer Verstaatlichung der Geldschöpfung zu reden – selbstverständlich monopolisiert bei den unabhängigen Zentralbanken. Die Wiederherstellung des staatlichen Geldregals und damit der klassischen Seignorage – also des staatlichen Geldschöpfungsgewinns – mag ein simpel erscheinender Gedanke sein, doch das haben grundlegende Gedanken nun mal so an sich. Auch Fisher wurde nicht müde zu betonen, dass „das Publikum“ das System verstehen muss, von dem nicht zuletzt der eigene Wohlstand abhängt. Ein Publikum, dass zur Zeit ja auch sehr gut zu verstehen scheint, dass das jetzige System der „Überverleihung“ im Grunde untragbar geworden ist. Bleiben wir also noch ein wenig beim Verständlichen.
> 
> Banken und Finanzinstitute sollten nur noch Geschäfte mit Geld tätigen das es bereits gibt und das sie zudem auch wirklich haben. Das Recht der Geldschöpfung durch Kreditvergabe, heißt das, wird ihnen entzogen. Alle umlaufenden Geldmittel barer und nicht-barer Art werden durch die Zentralbank zu 100 Prozent gedeckt, die fortan die Geldschöpfung und damit auch die de facto-Geldmengensteuerung aus den Händen der Geschäftsbanken nimmt; eine de facto-Geldmengensteuerung also, die die jetzige indirekte Steuerung über die Leitzinsen offensichtlich nicht mehr erfüllt. Die Geschäftsbanken tätigen ihre Geschäfte fortan nur noch aus ihren Tilgungen und den Spareinlagen ihrer Kunden, die in Zukunft scharf von den Sichtguthaben getrennt werden. Die Sichtguthaben auf unseren Girokonten sind dann in Zukunft tatsächlich nur treuhänderische Hinterlegungen bei der Bank. Allein der Kunde wird dann entscheiden, ob er diese in Spareinlagen umwandeln und damit der Bank für ihre Geschäfte überantworten will.
> 
> In seinem „Politischen Traktat“ von 1677 sprach der Amsterdamer Frühaufklärer Baruch de Spinoza, der seine Gedanken unter dem Schutz der jungen holländischen Republik entwickeln konnte, von der Demokratie als der „Macht der Menge“. Dass es auch so etwas wie die Macht Banken über die Geldmenge gibt, zeigte sich ironischerweise noch zu Lebzeiten Spinozas und am gleichen Ort.
> 
> Die bereits erwähnte Amsterdamer Wechselbank hatte damals für nahezu anderthalb Jahrhunderte lang mit einer Missbrauchspraxis begonnen, indem sie ihrem Besitzer, der Stadt Amsterdam, Geld geliehen und das ausgeliehen Bargeld mit der von der Stadt hinterlegten öffentlichen Anleihen gedeckt hatte – im Geheimen. Damit, wie fast zur gleichen Zeit in England, begann ein intransparentes Geldwesen auf „dünnem Eis“. Irving Fisher bemerkt dazu etwas süffisant: „Der einzige wichtige Unterschied zwischen dem Missbrauch, der schließlich die Bank von Amsterdam in den Ruin getrieben hat und der heutigen modernen Art und Weise des Verleihens von Einleger-Geld, besteht darin, dass das moderne System nicht geheim, sondern mit Zustimmung aller Beteiligten und in aller Öffentlichkeit praktiziert wird.“
> 
> Heute wissen wir es also, es geschieht mit unserer Zustimmung und in aller Öffentlichkeit: Über der Macht der Menge steht die Macht der Geschäftsbanken über die Geldmenge. Diese Macht führt ein ineinander verschränktes, undurchsichtiges System von Staaten und Geschäftsbanken regelmäßig in heillose Überschuldungen. Demgegenüber steht ein großes Nicht-Wissen darüber – was man auch damals in der jungen Amsterdamer Republik bereits zu ahnen begann –, welche realwirtschaftlichen Werte eigentlich von dem in den Banken neu geschöpftem Geld repräsentiert werden. Die Staaten des Euro-Raums könnten diesem System des Nicht-Wissens heute sogar relativ einfach ein Ende machen, indem sie die Sichtguthaben der Banken als gesetzliches Zahlungsmittel festschreiben, so das Verfahren zur Schöpfung und Vernichtung von Geld von den Bankgeschäften trennen und es damit auf die EZB als unabhängige „Währungskommission“ übertragen.
> 
> Es geht im Grunde genommen darum, das Geld demokratisch zu machen, indem die Macht der Menge über die Geldmenge wieder hergestellt wird, mittels unserer öffentlich-rechtlichen Institutionen, indem also „den Banken das Emissionsrecht für Geld entzogen und dem Volk zurückgegeben werden sollte, dem es auch zusteht.“ So forderte es bereits Thomas Jefferson. Nun, das Volk kann sich dann natürlich auch irren, das ist nicht auszuschließen. Die Finanzinstitute allerdings irren sich mit ihrer de facto-Geldmengensteuerung mit Sicherheit – heute ist dies wieder einmal die nahezu einzige Sicherheit geworden, die wir von ihnen noch haben.
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> Robert Zion ist Mitglied des globalisierungskritischen Bündnisses attac und Grünen-Politiker in Nordrhein-Westfalen.
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> Abbildungen (von oben nach unten): Irving Fisher, Baruch de Spinoza, die Amsterdamer Wisselbank, Thomas Jefferson.
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> der Freitag  http://www.freitag.de/community/blogs/robert-zion/finanzkrise-die-macht-der-geld-menge
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Christopher Bodirsky
Systemischer Berater und Therapeut
Heilpraktiker beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie
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