[Debatte-Grundeinkommen] Krise und BGE

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Mi Jan 27 15:11:43 CET 2010


Hallo Agnes,
es freut mich, dass Dich ein Satz meiner Mail inspiriert hat. Ich möchte vielleicht kurz erläutern, wie ich darauf kam.

Berufsmäßig habe ich mit 'Veränderungsprozessen' zu tun - ich bin Familien- und Organisationsaufsteller. Und auch hier geht es ja "nur" darum, sich selbst zu verändern. Im Kopf ist das vielen klar, erst recht, wenn Sie in einer Aufstellung auch noch die Zusammenhänge sehen und auch spüren können.
Und trotzdem klappt ES nicht. Weil wir eben nicht durch unseren Verstand gesteuert werden, sondern über unser Unbewusstes (nur ein Wort - andere sagen Seele, andere das Zentrum....).
Schon C.G.Jung meinte, dass der Verstand nur ein Sektkorken auf dem Meer des Unbewussten wäre (sinngemäß).

Dieses Unbewusste ist sehr sehr alt, darin sind die Erinnerungen gespeichert aus der Zeit als wir noch keine Sprache hatten, und da gibt es Ur-Triebe und Verhaltensweisen, mit denen wir überlebt haben. Und so etwas merken wir uns.

Wie wenig uns dabei der Verstand hilft kann jeder feststellen, wenn wieder einmal etwas, was man sich doch so intensiv vorgenommen hat, nicht geklappt hat.

Meine Beobachtung ist, dass es nur sehr sehr kleine Zeitfenster gibt, in denen "Veränderung" überhaupt möglich ist - vor allem, wenn es eine kollektive Veränderung sein soll. Denn die Angst, was so eine Veränderung bringen könnte, ist einfach riesig. Lieber eine bekannte Gefahr, als eine unbekannte Chance.

In der jüngeren Geschichte war der verlorene Weltkrieg für uns eine gewaltige Chance für Veränderung, und wir haben sie auch nur "genutzt", weil vieles uns diktiert wurde. Und das war, was mir im Kopf rumging als ich schrieb über "die Zeit DANACH".

Ich gebe die Hoffnung zwar nicht komplett auf, aber ich halte es für extrem schwierig, dass wir so einen Umbruch wie ein BGE in "normalen" Zeiten hinbekommen. Dazu gibt es viel zu viele Mächtige, die dadurch zwar nur wenig, aber immerhin etwas verlieren können. Und lieber nehmen diese Menschen in Kauf, alles zu verlieren, als freiwillig ein klein wenig abzugeben. Die Industriellen, die Hitler den Krieg finanziert und daran verdient haben, selbst als jeder halbwegs vernünftige Mensch das Ende sehen konnten, haben auch nach dieser Devise gehandelt.

Aus dieser Sicht sehe ich die aktuelle Finanzkrise als Chance! Der Euro war immer schon eine reine "Schönwetter"-Veranstaltung, daher war ich immer auch gegen DIESEN Euro. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass uns in wenigen Jahren der Euro um die Ohren fliegt und wir in einer richtigen(!) Wirtschaftskrise landen. Ich denke, dass wir nach wie vor erst am Anfang der Krise stehen. Hinweis: Auch 1930 titelten die Zeitungen, dass die Krise ja nun rum wäre.

Und Krisenzeiten sind aber die wenigen Zeiten, wo Veränderung möglich ist! Dann müssen die RICHTIGEN Leute mit den RICHTIGEN Ideen an den RICHTIGEN Stellen sitzen - und das ist in der Tat schwierig genug. Aber vielleicht lohnt es sich, in diese Richtung Energie zu stecken, und nicht dahin, die 365-te Variante eines möglichen BGE's zu berechnen. Denke ich mir.

In diesem Sinne viel Kreativität!

Ach ja: Worauf man immer wieder hinweisen sollte: Alle die, die GEGEN ein BGE sind sollen doch mal erklären, welche Lösungsvorschläge SIE gegen die Arbeitslosigkeit und das soziale Unrecht haben, die noch nicht in den letzten 40 Jahren ausprobiert wurden! (Warum müssen wir uns immer für neue Ideen 'entschuldigen'?)

Lieben Gruß,
Christopher

PS: Am Montag, den 15.2. bin ich bei einer Veranstaltung der Grünen zum BGE in Oldenburg. Falls es jemanden interessiert......



Am 27.01.2010 um 14:07 schrieb Agnes Schubert:

> Hallo Christopher, hallo BGE - Freunde,
>> ...HIER müssen wir aktiv werden und auf allen Kanälen immer wieder die Diskussion suchen - aber nicht darum, WIE ein BGE aussehen kann, sondern dass es dazu keine ernsthafte Alternative gibt!
>> ...Wir befinden uns auf der Titanic, nur diesmal völlig ohne Rettungsboote. In 2010 muss der Bund fast 25% seiner Ausgaben über neue(!) Kredite finanzieren - das Rennen kann nicht mehr gewonnen werden. ...
>> Nur zur Erinnerung: Auch 1930 titelten die Zeitungen, dass die Krise vorbei sei - wie heute. 
>> 
>> Und das schlimmste: Die moralischen Maßstäbe sind uns verloren gegangen. Wenn die Gemeinschaft die Menschen zu 100% entschädigt die sich verzockt haben, wenn ich also bei Schwindel-Finanzprodukten nicht mal mehr das kleinste Risiko habe weil der Staat mich rettet, und das mit Geld der Bürger, denen man scheibchenweise alles wegnimmt - dann wird es auch höchste Zeit, dass dieses System den Bach runter geht.
>> Leider wird es dabei viele Unschuldige treffen.
>> 
>> Ich weiß nicht, ob es nicht sinnvoller wäre, sich den Kopf für die Zeit DANACH zu zerbrechen....
>> 
>>   
> Nun der letzte Satz hier von Christopher hat mich angeregt, diese Email zu schreiben. Zuvor will ich aber kurze Kommentare zu den 3 anderen Absätzen als Vorbemerkungen einschieben:
> 
> - Ich weiß nicht, ob es keine ernsthafte Alternative zu BGE gibt - geben kann, selbst dann nicht, wenn mir eben keine einfällt 
> Es kommt zu dem eben auch immer darauf an, was man diesen möglichen Alternativen denn genau für Aufgaben abverlangen will. Auch eine Verschärfung der Zwangsarbeit wäre u.a. eine Alternative in den Augen mancher, die dadurch vielleicht ihre Profite weiter sichern würden.
> - Ich weiß nicht, ob die Krise vorerst fast vorbei ist bzw. noch mal milde verlaufen wird, oder aber nicht. 
> - Ich weiß nicht, ob die moralischen Maßstäbe  wirklich verloren gegangen sind - also ob sie je besser waren.. 
> Die Beschwerden über die Stützung des Finanzkapitals sind z.B. weit verbreitet. Nur die Entscheidungsträger wollen eben die Möglichkeit der  Profitgenerierung als das tragende Prinzip des Kapitalismus, weiterhin stützen, weil sie eben daraus zu recht die Konjunktur des Kapitalismus und damit den relativen (und temporären) Wohlstand für alle folgern. Nun ist dies tragende Prinzip aber zugleich Ursache für die jeweils immer kommende Krisen des Kapitalismus. Gewinnaussicht ist z.B. der einzige Grund im gegenwärtigen System, dass überhaupt Produkte hergestellt werden. 
> Zugleich haben wir aber auch wiedermal jetzt ein (scheinbares) Finanzkapital auf Grund dieser Profitsucht, dessen Warendeckung immer geringer wird und somit die Einlösung der Kredite, auf dem dieses Finanzkapital letztlich besteht immer risikovoller bzw. unwahrscheinlicher wird. 
> 
> Früher oder später wird sie also wohl wieder kommen, die Hyperinflation, die eine Entwertung dieser Geldmengen zur Folge hat. Dann geht letztlich wirklich einiges an scheinbarem Kapital den Bach runter. 
> Nur leider hat diese Infaltion nicht nur eine Egalisierung von Reichtum und Schulden (Unternehmer-, Private- und auch Staatsschulden) zur Folge Wir haben auch mit einem Zusammenbruch der Realwirtschaft zu rechnen, da künftige Warenwerte nur noch schwer zu kalkulieren sind und somit die gewohnte Produktion nicht mehr betrieben wird. 
> 
> Hier trifft es dann letztlich die erwähnten Unschuldigen. Die daraus folgende Arbeitslosigkeit führt zu einer Verschärfung des Elends, so dass auch die existenzielle Grundversorgung der Leute auch bei uns wieder gefährdet ist. (Was sich im Moment die wenigstens Bürger vorstellen können. Die letzte solche Krise wurde ja auch von den wenigsten erlebt.) 
> Wenn keine mit Kaufkraft versehene Nachfrage bei der Masse der Bevölkerung vorhanden ist, dann werden auch keine Grundnahrungsmittel mehr produziert, ...
> Lebensmittelmarken sind so eine Art Grundeinkommen, wenn sie eben alle bekommen. Es bedarf dieser Marken aber auch wiederum nicht, wenn statt dessen eben - als Infaltionsausgleich - ein BGE gezahlt wird in Höhe der Kaufkraftverluste der Ärmsten. Damit ist dann nicht die gesellschaftliche Teilhabe aber die Existenz gesichert wie auch die grundlegende Produktion der Gesellschaft, weil hier profite weiterhin möglich. Vielleicht sollte dieses BGE dann gleich in einer anderen neuen (vorerst parallelen) Währung eingeführt werden, das nur zu diesem Zweck ausgegeben und in Umlauf gebracht wird. Vielleicht ist das auch ein Ansatz für die Fans des Freigeldes. ( siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Umlaufgesichertes_Geld )
> 
> So weit vorerst mein Kopfzerbrechen für die Zeit "DANACH" bzw. DABEI .
> Ich bin auf Kommentare gespannt.
> 
> Gruß AgneS

Christopher Bodirsky
Systemischer Berater und Therapeut
Heilpraktiker beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie
Am Plessenfelde 1
30659 Hannover
Tel.: 0511/90 46 90 90
www.bodirsky-systeme.de



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