[Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Sa Jan 2 23:36:12 CET 2010


Hallo, Norbert!

Es ist gut, dass Du den Namen Robin Hood in die Diskussion eingebracht
hast. Um genau zu sein, soll das bedingungslose Grundeinkommen einen
Robin Hood nämlich überflüssig machen. Die Geschichte der Menschheit
ist eine Geschichte von Systemen, die mit der Zeit aus dem Ruder
liefen. An einem solchen Punkt befinden wir uns gerade wieder. Seit
dem 1. Januar wurde das Kindergeld um 20 Euro erhöht, ohne die
Bedarfssätze anzuheben. Damit werden den rund 2,5 bis 3 Millionen
Kindern in Hartz IV und Unterhaltsvorschuss in Deutschland jeden Monat
(in der Summe mit der gleichartigen Erhöhung um 10 Euro 2009) jeden
Monat 30 Euro bzw. INSGESAMT MEHR ALS EINE MILLIARDEN EURO jedes Jahr
GESTOHLEN! Noch dieses Jahr wird irgendeine Art von Robin Hood
losziehen und dieses dringend benötigte Geld für die Entwicklung der
ärmsten Kinder in Deutschland zurückholen - und zwar mit allen
Mitteln! Eine solche Entwicklung könnte das bedingungslose
Grundeinkommen verhindern.

Gruß
Manfred




2009/12/20 Norbert Maack <nofrima at t-online.de>:
> Hallo Joerg,
> endlich komme ich dazu, das gespräch über Gerechtigkeit fortzusetzen.
>
> Ich habe mich gehütet, den Begriff "frei" ins Spiel zu bringen; er taucht in
> meinem gesamten Statement nicht auf.
> Ich wollte nur auf die Notwendigkeit und die Problematik hinweisen, Leben"
> zu definieren. Auch Sklaven leben ja schließlich, sonst wären sie ja nicht
> zu gebrauchen. Wenn Du das Recht auf Leben proklamierst, dann ist es auch
> für Sklaven als erfüllt anzusehen. Deswegen kann ich Deine
> Gerechtigkeitsdefinition als Recht auf Leben nicht teilen.
>
> Laut Wikipedia ist  "Chauvinismus ([ʃovi'nɪsmʊs]) der Glaube an die
> Überlegenheit der eigenen Gruppe.
>
> Chauvinismus im ursprünglichen Sinne ist exzessiver, auch aggressiv
> überzogener Nationalismus, bei dem sich ein Angehöriger einer Nation allein
> aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dieser gegenüber Menschen anderer Nationen
> überlegen fühlt und sie abwertet."
>
> .. und damit ebenfalls ein Begriff aus der Menschenwelt, wie nebenbeigesagt
> alle "Begriffe" als menschensprachliche Produkte solange anzusehen sind, wie
> wir mit den nichtmenschlichen Wesen noch zu keiner begrifflichen
> Kommunikation  in der Lage sind.
>
> Deine Bemerkungen zum staatlichen Gewaltmonopol überzeugen mich noch nicht.
> Ich meine, dass sehr wohl alle Gesetze - wenn man ihre Funktion genau
> studiert, letztlich darauf hinauslaufen, die Eigentumsverhältnisse zu
> sichern. Ein Meinungsstreit, der sich in gewaltsamen Auseinandersetzungen
> entlädt,  hat seine tieferen Ursachen in  persönlichen  Unzufriedenheiten
> mit der jeweils eigenen Lebenssituation, die daraus resultieren, dass im
> eigenen Leben nicht die Bedürfnisse erfüllt werden können.
>
> Die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" ist sicher eine gute Basis,
> auf der wir in der Frage nach Gerechtigkeit  weiter kommen könnten. Hier
> heisst es allerdings differenzierter: ein Leben in Würde, Freiheit und
> Sicherheit.... , in Brüderlichkeit (meint Geschwisterlichkeit) einander
> begegnen ... usw. Um eine Definition haben die VerfasserInnen sich
> allerdings (warum wohl?) gedrückt. Der - meistens arg vernachlässigte - Art.
> 29 allerdings bringt es deutlich auf den Punkt, in dem von "Pflichten
> gegenüber der Gemeinschaft" und "der allgemeinen Wohlfahrt in einer
> demokratischen Gesellschaft" die Rede ist.
>
> Die "allgemeine Wohlfahrt" kann doch nur bedeuten, dass allen Menschen ein
> erfüllltes Leben möglich ist, in Würde, Freiheit und Sicherheit. Und dazu
> gibt es Pflichten derjenigen, die zuviel davon haben, es an diejenigen
> abzugeben, die zu wenig oder gar nichts davon haben. Und das ist doch
> wirklich nicht schwer zu verstehen, oder?
>
> Das Problem, vor dem wir stehen, ist: die Menschen, die zuviel (Geld,
> Vermögen) haben, zu enteignen, zurecht zu stutzen auf das vernünftige Maß:
> abgeben bzw. zurückgeben das, was sie sich - auf welchen Wegen auch immer
> (ob rechtlich abgesichert oder nicht) angeeignet und damit den anderen bzw.
> der Gemeinschaft weggenommen haben.
>
> Robin Hood und Klaus Störtebecker, z.B. , haben das vorgemacht. Das BGE
> sollte einen ähnlichen Beitrag leisten. Aber die Frage dabei ist, ob die
> Idee des BGE wirklich an den Wurzeln des Übels ansetzt bzw. ob die
> VertreterInnen des BGE an diesen Wurzeln ansetzen wollen, ob sie überhaupt
> wissen (wollen), wo diese Wurzeln sind, oder ob sie vielleicht keine Ahnung
> haben, wie diese Wurzeln ausgerissen werden könnten und neue Pflanzen zu
> setzen wären. Ich bin der Meinung, dass ein BGE eine gute Idee ist, um sich
> mit der Frage der Gerechtigkeit auseinander zu setzen, aber als Lösung noch
> nicht radikal genug ist.
>
> Um die radikale Lösung zu finden, ist es m. E. notwendig, das System der
> Aneignung zu begreifen. Das ist schwierig genug und mir hat - u. a. und
> wesentlich - das Buch von Samirah Kenawi  "Falschgeld" dabei geholfen.
>
> Mit sonnigen Grüßen
>     Norbert
>
>
> Joerg Drescher schrieb:
>
> Hallo Norbert,
>
> beim "Recht auf Leben" und Deinem Beispiel mit den "Sklaven" bringst Du das
> Adjektiv "frei" ins Spiel. Nun kannst Du einwenden, daß "gerecht" ebenfalls
> als Adjektiv benutzt wird, wobei zu fragen ist, ob ein "gerechtes Recht auf
> Leben" oder ein "Recht auf ein gerechtes Leben" gemeint ist. Im Deinem
> Sklavenfall handelt es sich wohl um ein "Recht auf ein FREIES Leben". Doch
> "Leben" kann nie absolut "frei" sein (es besteht immer eine Abhängigkeit vom
> Stoffwechsel) und es kommt auf den Betrachter an, ob er sich "versklavt"
> fühlt oder nicht.
>
> Gerechtigkeit als reinen Menschenbegriff zu betrachten, halte ich für
> chauvinistisch. In der sonstigen Natur wird allerdings nicht nach einer
> Begründung für einen Sachverhalt gefragt (was offenbar nur Menschen tun) und
> eine Begründung wird weder als gerecht, noch als ungerecht empfunden. Der
> Mensch müßte allerdings die Natur als absolut ungerecht empfinden, wenn er
> gewisse Sachverhalte nur rein oberflächlich betrachtet. Ihm bleibt die
> Begründung und der "tiefere Sinn" (oftmals) verborgen.
>
> Und so landen wir bei der Frage nach einem "gerechten Krieg" (oder auch
> "gerechten Mord"). Welche Rechtfertigung gibt es für einen "Krieg/Mord"?
> Nimmt man das "Recht auf Leben", so wird der Begriff "Notwehr" aus dem
> deutschen Strafgesetz verständlich, den nicht jede "Tötung" eines Menschen
> wird in Deutschland mit dem Strafmaß für "Mord" geahndet. Allerdings stimme
> ich zu, daß eine Entscheidung darüber, wann ein Krieg gerechtfertigt ist,
> gewissen Schwierigkeiten unterliegt (Bsp: Irak-Krieg, der durch
> Falschinformationen über Massenvernichtungswaffen für gerechtfertigt galt;
> allerdings würde ich Nordkorea angreifen, wenn sie unbestreitbar mit
> Atombomben auf Südkorea drohen). Aber wer einen Dienst an der Waffe
> ableisten will, muß damit rechnen, selbst getötet zu werden - ob er das
> wirklich will, hängt von der Rechtfertigung eines Krieges ab. Dann ist es
> auch keine Aufrechnung von Menschenleben, sondern die Freiwilligkeit des
> Einzelnen, sich für das "Recht auf Leben" zu "opfern" (ich bin für eine
> "Berufsweltarmee" nach dem Vorbild der französischen Fremdenlegion, die der
> UNO untersteht).
>
> Ein staatliches Gewaltmonopol mag vielleicht heute die bestehenden
> Eigentumsverhältnisse sichern, aber es ist noch für viel mehr da (das
> Strafgesetzbuch kennt nicht nur Eigentumsdelikte). Ich halte es auch für
> etwas blauäugig zu meinen, Friedfertigkeit hinge allein von
> Besitzverhältnissen ab. Streit kennt auch andere Formen (bsp.
> Ansichten/Meinungen), die sich bei mangelndem Intellekt in gewaltsamen
> Auseinandersetzungen entladen können. Zudem kann nicht jeder "Besitz"
> (manche sehen ihre Frau als persönliches "Eigentum") gleichmäßig verteilt
> werden. Ganz zu schweigen von Racheakten...
>
> Deine Gerechtigkeitsdefinition (als Orientierungshilfe) unterscheidet sich
> nicht von meiner Zielsetzung, das "Recht auf Leben" als obersten
> Orientierungspunkt zu verwenden. Andere Orientierungshilfen sehe ich in den
> allgemeinen Menschenrechten. Ziel von "Gerechtigkeit" muß (aus meiner Sicht)
> immer sein, das Leben (aller) zu erhalten (nicht jeder "Sklave" will befreit
> werden, was nicht heißt, daß andere deshalb in "Sklaverei" bleiben
> müssen). Das darf allerdings nicht zu einem "Zwang zu Leben" werden
> (Selbstmord ist legitim, wenn dabei niemand anderer zu schaden kommt - was
> sich jeder potentielle Selbstmörder im Vorfeld überlegen sollte, indem er an
> das Leid der Hinterbliebenen denkt).
>
> Unsere Gesellschaft schränkt das "Recht auf Leben" durch die Verfügbarkeit
> von Geld zum Kauf von (lebens)notwendigen Dingen ein. Deshalb sehe ich ein
> (bedingungsloses) Grundeinkommen als gerecht an, da es das "Recht auf Leben"
> ermöglicht. Die Ausgestaltung des Grundeinkommens trägt dazu bei, monetären
> Reichtum "gerechter" zu verteilen. Das Problem ist dabei nur, daß mit einem
> BGE viele heutige "Sklaven" in eine Freiheit entlassen werden, die sie so
> gar nicht kennen (und manche nicht wollen). Deshalb obliegt es der
> Gesellschaft, seine Mitglieder dahingehend zu "erziehen", mit dem "Recht auf
> Leben" (als Gerechtigkeitsform) umzugehen. Und dieser Umgang ist (für
> mich) das Finden einer Ausgewogenheit, Ballance und ein Gleichgewicht
> (zwischen Leben und Leben lassen).
>
>
> Liebe Grüße aus Kiew,
>
> Jörg (Drescher)
> Projekt Jovialismus
> http://www.iovialis.org
>
>
>
> ----- Original Message -----
> From: Norbert Maack
> To: Joerg Drescher
> Cc: 1981klaus- ; Debatte Grundeinkommen
> Sent: Thursday, November 19, 2009 4:15 PM
> Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Ist Gerechtigkeit verhandelbar?
> Hallo Joerg,
> nun denn: Wenn Du meinst, dass eine Definition her muss und Du das "Recht
> auf Leben" als kleinsten gemeinsamen Nenner für geeignet hältst, haben wir
> das neue Problem, wie wir "Leben" definieren. Auch Sklaven "leben", wobei es
> Sklaven verschiedener Art gibt. Lohnsklaven mit einem Stundenlohn von 1 Euro
> leben anders als solche mit 100 Euro.
> Deine Beispiele aus der "Natur" mit Löwen und Gazellen halte ich für nicht
> zielführend; Gerechtigkeit ist ein Begriff aus der Menschenwelt.
> Deine Dich anscheinend befriedigende Antwort auf die Frage nach einem
> "gerechten Krieg" halte ich für unbefriedigend; wer entscheidet denn, ob es
> ein anderes Mittel gibt, das Leben anderer zu schützen und wer entscheidet,
> welches Leben schützenswerter ist, das der im Krieg getöteten oder das der
> möglicherweise durch den Krieg geretteten? Hier wird der Wert von Menschen
> gegeneinander aufgerechnet, nach gerechten Kriterien?
>
> Der Sinn des Staates mit dessen Gewaltmonopol besteht in erster Linie darin,
> die Eigentumsverhältnisse abzusichern. Dass Menschen nicht friedfertig
> miteinander leben können, liegt in erster Linie daran, dass die Einen das
> besitzen und den Anderen vorenthalten, was diese nicht besitzen und zu ihrem
> Leben brauchen.
>
> Meine Definition von Gerechtigkeit betrachtet G. mehr als eine
> Orientierungsrichtung und weniger als einen Zielzustand. Es geht mir um so
> etwas wie Ausgewogenheit, Gleichgewicht, Balance. Justitia mit der Waage in
> der Hand. Balance ist nie ein Zustand sondern ein dynamisches Geschehen, ein
> Pendeln um eine Mitte. Ungleichgewichte müssen korrigierbar sein in Richtung
> Gleichgewicht. Es muss ein Pendeln stattfinden, anderenfalls Systeme
> zusammenbrechen, wenn das Ungleichgewicht nicht korrigiert werden kann. Das
> gilt für Individuen und für Gesellschaften.
> Durch ein BGE muss sinnvollerweise das zunehmende Ungleichgewicht (die
> auseinanderklaffende Schere) zwischen Arm und Reich zum Halten und zur
> Umkehr gebracht werden. Dass ein BGE die einzig denkbare und die beste
> Möglichkeit dafür ist, bezweifle ich. Das hängt wesentlich von der Höhe des
> BGE ab. Andere Möglichkeiten betreffen das Überdenken der Eigentumsordnung,
> Bodenreform und Geldschöpfungs- bzw. Kreditgesetze.
>
> Mit sonnigen Grüßen
>     Norbert
>
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