[Debatte-Grundeinkommen] [Gr.NetzGE] Radio-Interview zum Grundeinkommen

Michael Opielka michael.opielka at isoe.org
Fr Feb 12 14:03:05 CET 2010


Guten Tag, 

ich möchte kurz Wolfgang sekundieren:

# 100% Zuverdienstmöglichkeit heißt doch nicht, dass 100% des Lohn- oder
sonstigen Einkommens beim Bürger bleiben. Es muss immer eine Anrechnungsrate
geben, also eine faktische Einkommens-Besteuerung, das ist in allen
Negativsteuersystemen der Fall (die einzige Ausnahme ist das Modell von Götz
Werner, der komplett auf Einkommenssteuer verzichten will; aber das ist
nicht sehr realistisch).
# Mindestlöhne und Grundeinkommen/Negativsteuer schließen sich keineswegs
aus, wie wir in den USA sehen können. 
# Was sollen "revolutionäre BGE-Sätze" praktisch sein? Außer Selbstwohlklang
und revolutionäres Sichaufdieschulterklopfen? Mehr als 50-60% der
verfügbaren Haushaltseinkommen kann man durch ein "Grund"-einkommenssystem
nicht umverteilen - wer "revolutionäre" 80-100% proklamiert, der meint die
absolute Einkommensgleichverteilung. Dummerweise will das niemand, das
müssten die Revolutionäre dann schon gegen die Bevölkerung durchsetzen -
freilich werden sie sich selbst stets aus dieser Gleichverteilung ausnehmen,
so jedenfalls zeigt die Geschichte.

# also: warum ist ein Mix von Transfereinkommen und Arbeitseinkommen
"unsozial"?????? Genau das ist das Denkproblem vieler Sozialdemokraten und
Gewerkschafter: sie denken: NUR Erwerbsarbeitsgeld ist gutes Geld,
Transfergeld aber schlechtes Geld. Mit diesem lohnarbeitszentrierten Denken
ist aber kein zukunftsorientierter Sozialstaat zu machen.

Wolfgang und ich haben dazu schon vor einiger Zeit - am Beispiel des
Bürgergeld-Modells von Althaus - nachgedacht, hier zum Download:
http://www.sw.fh-jena.de/fbsw/profs/michael.opielka/downloads/doc/2007/Opiel
ka_-_Strengmann-Kuhn_Das_Solidarische_Buergergeld.Finanz-und_sozialpolitisch
e_Analyse_in_Borchard-KAS_Hrsg._Lucius_u_Lucius_2007.pdf 
und sehr schön zum Gewerkschafts-/SPD-Dilemma die Studie von Stephan
Lessenich:
http://www.google.de/url?sa=t&source=web&ct=res&cd=1&ved=0CAkQFjAA&url=http%
3A%2F%2Flibrary.fes.de%2Fpdf-files%2Fwiso%2F06193.pdf&rct=j&q=Stephan+Lessen
ich+Friedrich+Ebert+Stiftung&ei=ElF1S6vdBY_4mwP-3Y3KCQ&usg=AFQjCNGQe8FH4hHEn
fQZDfHX59BGNyZV5w

Viele Grüße
Michael Opielka



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prof. dr. habil. michael opielka
institut für sozialökologie (isö)
pützbungert 21
d-53639 königswinter
fon +(49)-2244-871659
fax +(49)-2244-871664
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www.isoe.org


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: gruenes_netzwerk_grundeinkommen-bounces at gruene-berlin.de
[mailto:gruenes_netzwerk_grundeinkommen-bounces at gruene-berlin.de] Im Auftrag
von Jonas Hartmann
Gesendet: Freitag, 12. Februar 2010 13:42
An: Wolfgang Strengmann-Kuhn
Cc: gruenes_netzwerk_grundeinkommen at gruene-berlin.de
Betreff: Re: [Gr.NetzGE] Radio-Interview zum Grundeinkommen

Hallo Wolfgang,

vorweg, ich begrüße dein Engagement, und bin erfreut, dass es in  
Hessen über den Wackelplatz geklappt hat. Trotzdem - gerade zu deinen  
Zitaten, die du unten angeführt hast - ein paar Anmerkungen, man  
korrigiere mich, dann lerne ich was:

Ich sehe all die bürokratischen Kostenersparnisse beim Einbau in das  
(Einkommens-)Steuersystem und die solidarischen Aspekte beim Wegfall  
der effektiven Freibeträge für Gutverdiener. Abgesehen davon ist es  
zwar rechtlich so, dass das Lohnabstandsgebot durch ein BGE mit 100%  
Zuverdienstmöglichkeit eingehalten wird, aber im Grunde ist das bloß  
ein rechtlicher Trick. Ich bezweifle das "Auf-Die-Couch-Legen" aber  
ich bezweifle nicht die Neigung zur Selbstausbeutung. Warum sollte  
eine Kindertagesstättenarbeiterin nicht die 800 Eur mitnehmen und sich  
400 Eur für einen Halbtagsjob (80h/Monat) bezahlen lassen? Sie kommt  
dann ja mit den 1200 Eur ganz gut über die Runden.

Und damit kommen wir zu einem anderen Thema. Ist das Grundeinkommen  
auf einem Nievau, dass eine berufliche Umorientierung, oder das  
niederlegen der Arbeit (Dauerstreik), eher ausschliesst, bedeutet dies  
eine Förderung von Kombilohn und damit eine Quersubventionierung des  
Niedriglohnsektors. Niedriglohn ist aber genau das, was unsere  
Binnenwirtschaft und europäische Wirtschaft schwächt, keine  
europäische und regionale Kaufkraft, keine Nachfrage, kein Geldfluss  
zwischen den Taschen weniger Wohlhabender.

Aus dem Grunde sehe ich bei dem von dir so dargestellten Modell einen  
Mindestlohn als notwendig an. NUR in Kombination können hier  
emanzipative Kräfte entstehen - oder mit deutlich höheren,  
revolutionären BGE Sätzen (die andere Probleme haben, nicht bloß aber  
unter anderem die der Vermittelbarkeit in der Öffentlichkeit). Ein BGE  
auf 800 Eur bedeutet für mich eine bedingungslose (und bürokratiearme,  
effiziente) Existenzsicherung, mehr aber auch nicht - ein  
Mindesteinkommen hingegen fungiert als Ausbeutungsschutz in der  
Erwerbsarbeit, wenn er dieser aus einer Betrachtung der  
regenerierbaren Arbeitsbelastung (siehe Distress und degenerative/ 
chronische Krankheiten) (allgemein z.B. max 35h/Woche, kann im Grunde  
jedoch nach Berufsbild abweichen) und relativen/geringen Wohlstand  
herstellenden Entlohnung (z.B. 10 Eur/h) entsteht.

Die unsozialen Momente sind eindeutig die mögliche Manifestation der  
Erwerbsbilder, welche defakto über Kombilohn in Gestalt des BGEs daher  
wandern. Sicher, dass "die SPD" hier etwas nicht verstanden hat, oder  
bin nur ich es?

Viele Grüße
  Jonas

On 2010-02-12, at 10:24, Wolfgang Strengmann-Kuhn wrote:

> Hallo zusammen,
>
> habe heute morgen im Deutschlandradio Kultur ein Interview zum Thema  
> "Statt Reform der Reform: Grundeinkommen für alle?"
> gegeben.
>
> hier kann es angehört werden
> http://www.dradio.de/aodflash/player.php?station=3&broadcast=348714&/ 
>
> Der Sender hat es folgendermaßen zusammengefasst:
> http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1124241/ 
>
> "Grünen-Rentenexperte fordert Grundeinkommen statt Hartz-IV-Reform
> Strengmann-Kuhn hofft auf mehr soziale Sicherheit
>
> Der rentenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion,  
> Wolfgang Strengmann-Kuhn, hat dafür plädiert, statt einer Hartz-
> IV-Reform ein Grundeinkommen für alle einzuführen.
>
> Strengmann-Kuhn sagte, das Grundeinkommen sei systematischer und  
> schaffe mehr soziale Sicherheit und stärkere
> Arbeitsanreize als Hartz IV. Das vom Bundesverfassungsgericht  
> vorgegebene Recht auf Existenzsicherung werde am besten
> mit einem solchen Grundeinkommen verwirklicht. Weil es jeder  
> bekomme, werde auch das Problem des Lohnabstandgebots
> gelöst.
>
> Man könne das Grundeinkommen in das Steuersystem einbauen, sagte  
> Strengmann-Kuhn. Er sprach sich dafür aus,
> Steuerfreibeträge komplett und die Sozialleistungen zum größten Teil  
> abzuschaffen. Damit könne das Grundeinkommen
> kostenneutral finanziert werden. Bei Steuersätzen in einer  
> Größenordnung von 35 bis 40 Prozent könne jedem ein
> Grundeinkommen von 800 Euro monatlich gezahlt werden.
>
> Die Gefahr, dass die Menschen sich dann in die Hängematte legten,  
> bestehe nicht. Das Grundeinkommen wecke im Gegenteil
> die Eigeninitiative, weil man von jedem Euro, den man verdiene, mehr  
> behalten könne als im jetzigen System, so der
> Grünenpolitiker.
>
> Im Deutschen Bundestag gebe es bei allen Parteien Anhänger des  
> Konzepts, betonte Strengmann-Kuhn - vor allem bei den
> Grünen, der CDU und der Linken. In der SPD hätten hingegen viele  
> diese Idee "noch nicht richtig verstanden". Die Befürworter
> der Idee seien aber in allen Parteien noch in der Minderheit, räumte  
> er ein."
>
> Schöne Grüße
> Wolfgang
>
> --
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