[Debatte-Grundeinkommen] Offener Brief an Attac zur Presseerklärung zum Grundeinkommen ,in Namibia

willi übelherr wube at gmx.net
Do Apr 1 03:48:00 CEST 2010


lieber hartmut,

danke dir für deine offene und ehrliche kritik meines offenen briefes, weil 
er wohl bei dir den eindruck hinterlassen hat, daß ich mich gegen das BGE in 
namibia grundsätzlich ausspreche.

aber dem ist nicht so, wie ich mich auch nicht gegen das grundeinkommen in 
brasilien ausspreche. und dies nirgendwo in der welt. das eintreten und 
wirken für ein bedingungsloses grundeinkommen ist unsere reaktion auf 
verhältnisse, wo der großteil der menschen von der basis ihrer 
selbstversorgung abgeschnitten werden und nur noch über lohnabhängigkeit 
ihre existenz sichern können. gegen diese kopplung von zwang zum 
selbstverkauf mit der existenzsicherung, die wir bedingungslos allen 
menschen zusprechen, setzen wir das BGE.

claudia haarmann aus windhoek hätte diese erklärung mit sicherheit ganz 
anders geschrieben und die interviews auch anders gefüllt. wir dürfen über 
alle notprozesse nicht den kern aus den augen verlieren. eine welt, die 
zunehmend der privaten aneignung unterworfen wird, wollen wir nicht. wir 
wollen eine welt, deren potentiale allen gleich zur verfügung steht und wo 
die entscheidungen in den einzelnen regionalen belangen von allen 
betroffenen bestimmt werden.

wenn wir dieses zentrale moment aus dem blick schieben, verlieren wir den 
bezug zur realität und operieren nur noch auf einer reduzierten ebene. dann 
werden plötzlich nebenfragen zur hauptsache. an vielen beispielen hat 
herbert jauch die positiven veränderungen skizziert, die durch das GE in 
omitara sich vollziehen. und gemessen an der plünderung von namibia, allein 
schon über den diamantendiebstahl durch die europäer, können wir erahnen, 
mit welch geringem aufwand durch entfaltung der wassersysteme, 
wiederaufforstung und landwirtschaft für die ernährungsbasis in kurzer zeit 
sich dieses land in einen großen garten verwandeln ließe, so wie es früher 
einmal war.

überall auf der welt finden wir prozesse der aneignung von land und 
folgender vertreibung der einheimischen auch heute. in madagaskar haben es 
die menschen verhindert. im amazonasgebiet finden täglich kämpfe statt, von 
denen wir vieles nichts wissen. in südargentinien sind die indios zu 
schwach, um es zu verhindern. die kapitalkonzentrate aus den erdölliefernden 
diktaturen kaufen sich massiv über die korruption der herrschenden, 
installierten eliten in die afrikanischen länder ein, die völlig aus dem 
produktiven raum getreten sind. dem müssen wir, in jeder ausdrucksform, 
entgegentreten, indem wir immer den allgemeinen zugang zu den 
naturressourcen postulieren.

namibia ist hier wirklich ein kristallationspunkt für koloniale prozesse 
ähnlich palästina. und wir haben hier eine besondere situation für deutsche, 
weil die ganzen kartierungsmaßnahmen von den deutschen organisiert wurden. 
es läge also nahe, erstmal für die enteignung der großgrundbesitzer 
einzutreten und gleichzeitig den boykott der namibischen exportstrukturen zu 
organisieren. weil ohne land und bei 60% arbeitslosigkeit ohne 
sozialversorgung bleibt denen afrikanern nichts.

diese ganze verlogenheit deutschtümmelnder geschichtsverfälschung, die 
deutschen seien ja so fair gewesen, was heute immer noch kursiert, müssen 
wir zersetzen. ich kenne leute, die reisen nach namibia und wissen nichts 
von den hereros, oder der verbrennung der dörfer, vergiftung von brunnen, 
KZ's und anderen zwischenlagern in der zeit der geometrischen 
neustrukturierung. namibia taucht nur noch als rohstofflager und 
naturerlebnisfeld auf, mit luxurösen lodges im traditionellen stil. dunkel 
sind dann die diener. es ist einfach nur ekelhaft.

deswegen, lieber hartmut, wir sind uns in der haltung zum GE sehr nah, in 
unserer sozialen und ethischen verantwortung. unterschiedlich in der 
vorgehensweise. ich will die perspektiven im mittelpunkt, im fokus, und kann 
dann alles unterstützen, was zur näherung zu diesem ziel führt. und ich will 
es kurz fassen.

- die demokratie als politische methode der selbstorganisation. jeder
   mensch eine stimme in allen ihn betreffenden angelegenheiten.
- die äquivalenzökonomie als grundlage der tauschbeziehungen. aus der
   gleichwertigkeit aller menschen in ihrer unterschiedlichkeit folgt
   die gleichwertigkeit ihrer tätigkeiten. der tausch wird sich nur
   dort vollziehen, wo er auch notwendig ist.

das sind die grundelemente des demokratischen sozialismus des 
21.jahrhunderts, wie wir es in den ALBA-ländern entstehen sehen. hier bleibt 
kein platz für plünderung. und kein platz für die private aneignung 
allgemeiner güter, zu deren entstehung wir nichts beigetragen haben. die 
erde kann niemand privat beanspruchen, das wissen der menschheit kann 
niemand privat für sich monopolisieren. auf diesen prinzipien können wir uns 
allen menschen in anderen weltregionen auf gerechter und ehrlicher weise 
nähern, mit ihnen in kommunikation treten, mit ihnen tauschen, wenn 
notwendig. unser wissen allerdings geben wir frei, allen, die seiner bedürfen.

mit lieben grüßen, willi



Am 31.03.2010 15:07, schrieb Hartmut Keller:
> Lieber Willi!
>
> Du hast natürlich nach Meinung vieler Menschen völlig recht: Die Art und
> Weise, wie wir Menschen miteinander umgehen, was die Verteilung des Landes
> mit den damit verbundenen Eigentumsverhältnissen auf unserer begrenzten
> Mutter Erde angeht, ist bares Unrecht und schreit zum Himmel. Das ist ein
> Thema, dem sich nun wirklich schon ganz viele Menschen mehr oder minder
> erfolgreich widmen.
>
> Doch nun, lieber Willi, verknüpfst Du die Vergabe eines BGE an 1.000
> bettelarme Menschen in Namibia mit der Idee, dass durch diese Maßnahme
> erreicht werden soll, "Zitat Willi: ... die Bezieher des BGE ruhig zu
> stellen und von ihrem notwendigen Kampf für die Enteignung des Landes
> abzuhalten." Man nennt diese Methode mittlerweile Tittitainment, oder?
>
> Sag mir, lieber Willi, suchst Du immer nach Gründen, damit ein Weg nicht
> begangen wird oder bist Du einfach nur total geblockt und verbittert über
> die derzeitigen Verhältnisse, die Dich davon abhalten, nach einem Weg zu
> suchen und nicht nach Gründen, um den Weg bloß nicht beschreiten zu müssen.
> Ich muss Dir ehrlich sagen, ich finde Deine Argumentation überhaupt nicht
> hilfreich, um nicht zu sagen kontraproduktiv. Wir alle oder zumindest fast
> alle, die wir uns um die Verbreitung der Idee des BGE bemühen, wissen doch,
> dass mit der Einführung eines BGE auch eine elementare Veränderung unseres
> Wirtschaftssystems einhergehen muss. Als da sind dramatische Veränderungen
> der Eigentumsstrukturen, Einführung eines neuen Geldsystems ohne
> Positivzinsen, um mal 2 elementare Baustellen zu nennen, die wir angehen
> müssen. Aber nur, weil ich gegenwärtig meinen Fuß noch nicht in die Tür zu
> den Machtzentren dieser Welt gezwängt kriege, verteufele ich den BGE-Versuch
> in Namibia doch nicht als infame, abgefeimte und zynische
> Ruhestellungsmaßnahme der bösen, dunklen Mächte. Ich denke, damit tust Du
> den armen Menschen in Otjivero-Omitara wirklich Unrecht und keinen Gefallen.
> Wie sollen sich die armen Menschen denn überhaupt wehren? Mit BGE haben sie
> keine Chance und ohne BGE erst recht nicht. Und sie wehren sich doch. Die
> begehen doch "tresspassing" und stehlen oder stahlen vor Einführung des BGE
> sich Dinge für ihren Lebensunterhalt zusammen. Zu etwas anderem sind sie
> doch ihrer Armut wegen überhaupt nicht in der Lage. Diese Art von Widerstand
> endet aber immer nur im Knast und bestärkt die Mächtigen doch nur in ihrem
> Vorgehen gegen "dieses faule, kriminelle Gesindel".
>
> Lieber Willi, geh einfach mal in Dich und überlege Dir, womit Du unserer
> Bewegung eher nützt und wodurch eher schadest. Dieser Diskurs schadet meiner
> Meinung nach eher. Hier noch ein Tipp: Lies doch einfach noch einmal die
> Bergpredigt. Mit Hass, Schuldzuweisungen, Arroganz, Überheblichkeit,
> Selbstgerechtigkeit - so sagt Jesus - wirst Du nichts erreichen. Versuch es
> mal mit Liebe, Demut, Barmherzigkeit und Verständnis - auch Deinen Feinden
> gegenüber. Ich versuche das seit geraumer Zeit zu praktizieren - zu Anfang
> war es ziemlich schwierig, aber jetzt geht es schon sehr gut - und seitdem
> ich das tue, übrigens aus vollem Herzen, habe ich viel mehr Erfolg und viel
> mehr Zuhörer, als zu der Zeit, als ich noch Hartmut der Haudrauf war,
> obgleich ich immer noch dieselbe harte, unerbittliche, beängstigende,
> bedrohliche und ungeliebte Wahrheit sage. Lediglich in einem anderen
> Tonfall, denn der Ton macht die Musik.
>
> Ungeachtet dessen, dass ich heute Kritik an Deiner Einstellung äußern
> musste, empfinde ich Dich als einen der vielen wertvollen Menschen, die
> diese Welt braucht. Ich grüße Dich ganz herzlich.
>
> Hartmut Keller
>
> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de
> [mailto:debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de] Im Auftrag
> von Markus Schallhas
> Gesendet: Dienstag, 30. März 2010 19:57
> An: freidenker-ml at listi.jpberlin.de;
> debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de; willi übelherr
> Cc: SADOCC; Attac Oesterreich; "Attac Österreich"@ilpostino.jpberlin.de;
> webmaster at SteinbergRecherche.com; Presse; markus at lobis.it; schweiz at attac.org
> Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Offener Brief an Attac zur
> Presseerklärung zum Grundeinkommen ,in Namibia
>
> Hallo Willi,
>
> Weil mich Dein Mail auch über diese Weg erreicht, anbei nochmals dieselbe
> Antwort.
>
> lG,
> Markus
>
> ... Hallo Willi,
>
> Ich habe in Österreich die Rundreise mitorganisiert.
>
> Da ich beides für wichtige Anliegen halte, sowohl eine Landreform, wie
> auch das Grundeinkommen, möchte ich Dir antworten.
>
> Zum Namen des Ortes:
>
> Im 1 Jahresbericht auf www.bignam.org  steht dazu auf Seite 19:
>
> "After careful examination of several villages in Namibia,
> the site chosen for the BIG pilot project was the
> Otjivero settlement and the Omitara 'town' in the Omitara
> District. Otjivero-Omitara was selected for its manageable
> size, accessibility, and poverty situation."
>
> "Otjivero" stimmt insofern schon.
>
> Zur Landfrage:
>
> Ich stimme Dir völlig zu, dass die heutige Situation ein Resultat von
> Kolonialismus und Landraub ist. Dies sieht Herbert Jauch ebenfalls so.
>
> Wir haben in Österreich diese wichtige Tatasache in unserer
> Presseaussendung auch nicht erwähnt. Das Grundeinkommen ist in Namibia
> neben der unmittelbaren Unterstützung meiner Meinung als ein Element zur
> Stärkung in der politischen Auseinandersetzung zu sehen. Ich habe diese
> Zusammenhänge für selbstverständlich gehalten. Es wäre wahrscheinlich
> besser gewesen sie extra zu betonen.
>
> liebe Grüße,
> Markus
>
>
>
>
> -------- Original-Nachricht --------
>
> Betreff:     Offener Brief an Attac zur Presseerklärung zum Grundeinkommen
> in Namibia
>
> Datum:     Mon, 29 Mar 2010 19:13:25 +0200
>
> Von:     willi übelherr<wube at gmx.net>
>
> An:     freidenker-ml<freidenker-ml at listi.jpberlin.de>, netzwerk ge
> debatte<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
>
> CC:     Steinberg Recherche<webmaster at SteinbergRecherche.com>,
> markus at lobis.it, office at sadocc.at, infos at attac.at, presse at attac.at,
> schweiz at attac.org
>
>
>
>
> An die Mitglieder und Freunde von Attac,
>
>
> am Freitag, den 28.03.2010 wurde von der Presseabteilung von Attac
> Deutschland eine Mitteilung veröffentlicht.
>
> Erfolgreiche Info-Tour über Grundeinkommensprojekt in Namibia
>
> Bundesregierung muss Widerstand gegen bedingungslose
> Sozialgeldtransfers in Entwicklungszusammenarbeit aufgeben
>
> http://www.attac.de/aktuell/presse/detailansicht/datum/2010/03/28/erfolgreic
> he-info-tour-ueber-grundeinkommensprojekt-in-namibia/?cHash=cf3cd9df9eb74130
> cfe5362615801225
>
>
> Zunächst einige sachlichen Klarstellungen. Das Dorf Ojivero gibt es nicht.
> Es gibt das Dorf Omitara am Kanal Otjivero, nord-ost-östlich von Windhoek.
>
> Dieses Dorf ist eigentlich ein Camp, eine provisorische Ansiedlung von
> Menschen ohne Land und damit ohne Grundlage der Selbstversorgung. Dieses
> Dorf ist völlig eingekesselt von privaten Farmen. Nur wenige Meter breit ist
> der Grünstreifen am Damm, der zum Verbleib die Menschen motivierte, weil das
> ganze Land privat besetzt ist. In der Geschichte Afrikas erst durch die
> Europäer entstanden.
>
> In der Erklärung von Attac, wie in allen Berichten, auch von Herbert Jauch,
> wird die Tatsache des Landraubs an den Afrikanern durch die Deutschen nicht
> thematisiert, nicht mal erwähnt. Es interessiert niemanden der Autoren. Wir
> finden aber einen aktuellen Bericht der AZonline aus Namibia.
>
> Wieder Wilderer aus Omitara erwischt vom 8.1.2010
> http://www.az.com.na/polizei-und-gericht/wieder-wilderer-aus-omitara-erwisch
> t.100483.php
>
> Jede Person mit etwas historischem Wissen weiß sofort, um was es hier geht.
> Auch bei uns in Europa wurden die frei lebenden Tiere zum Privateigentum der
> Feudaleliten bestimmt. Dieser Artikel beschreibt eindringlich die koloniale
> Besatzung von Namibia, die auch heute noch das Leben der afrikanischen
> Namibianer bestimmt, abgesehen von der kleinen schwarzen Elite, die gekauft
> und korrumpiert ist.
>
> Einen guten Eindruck, vor allem, wenn wir auch zwischen den Zeilen lesen,
> gibt uns der Bericht eines Reisenden in 2 Teilen:
> Bericht aus Otjivero
> http://markus-lobis.blog.de/2008/07/18/bericht-aus-otjivero-teil-i-in-the-mi
> ddl-4466927/
> http://markus-lobis.blog.de/2008/07/19/bericht-aus-otjivero-teil-ii-am-15-je
> den-4471172/
>
> Die Gründe der Armut der afrikanischen Bevölkerung sind die kolonialen
> Strukturen, und hier vor allem der geraubte Landbesitz, die die Deutschen
> geschaffen haben, um das enteignete Land den Europäern zur Verfügung zu
> stellen. Jede Person kann sich über den geschichtlichen Verlauf informieren.
> Selbst Wikipedia reicht hierfür schon aus unter den Stichworten 'Namibia'
> und 'Herero'.
>
> Daß nun auch Attac mit einer öffentlichen Erklärung auf der Basis der
> Verleugnung der realen Bedingungen nach außen tritt auf dem Niveau aller
> verleumdenden bürgerlichen Presseinstanzen, ist einfach nur abscheulich und
> weist auf eine schamlose Ignoranz hin.
>
> Es klingt für mich extrem zynisch, wenn in einem Dorf entlang der Straße,
> eingekesselt in privat angeeignete Ländereien, zu denen die Eingeborenen
> keinen Zugang mehr haben und mit privaten und staatlichen Gewaltorganen von
> dessen Nutzung abgehalten werden, ein stiftungsbasiertes Grundeinkommen zu
> organisieren, um sie ruhig zu stellen und von ihrem notwendigen Kampf für
> die Enteignung des Landes abzuhalten. Weil das Land bietet alle Bedingungen
> für die Entfaltung der Natur und sichere Lebensverhältnisse für die
> Menschen.
>
> Wenn nun das Grundeinkommen gedacht wäre, den Menschen die grundlegenden
> Bedürfnisse zu decken, um sie besser in die Lage zu versetzen, den
> politischen Kampf dort zu führen, dann wären allerdings die Erklärungen
> anders zu lesen.
>
> Wir können die gleichen Prozesse beobachten in Brasilien, wo das
> Grundeinkommen die Antwort auf die Bewegung der Landlosen ist. Daß die
> Europäer nicht geeignet sind, die Bedingungen der Armut aufzulösen, liegt
> bei derem Lebensstil in diesen Ländern nahe. Daß die SWAPO derart
> degeneriert sich dem billigen Verkauf anbat und anbietet, ist furchtbar.
>
> Wir sollten uns aber leiten lassen von der eindeutigen Solidarität zu den
> Völkern, die von der freien Gestaltung ihres Lebensräume mit Gewalt getrennt
> wurden und werden, wie in Namibia und Afrika, Palästina, Australien und auf
> dem amerikanischen Kontinent.
>
> mit Grüßen, Willi Übelherr, Bielefeld
>
>
>
>



Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen