[Debatte-Grundeinkommen] Für alle Marxisten...

Juli juli at 180-grad.net
Mo Okt 29 09:50:51 CET 2007


Hallöle!

Auch eine Möglichkeit, Debatten in eine an sich brachliegende Liste zu
kriegen: einfach mal so richtig unsinniges Zeug schreiben. Von mir dazu
nur ein paar kleinere Anmerkungen:


Joerg Drescher schrieb:
> danke für Deine ausführliche Antwort, was zum besseren Verständnis
> beiträgt. Trotzdem bin ich der Meinung, daß der Kommunismus, bzw.
> Marxismus nicht funktioniert. Der Mensch ist eben nicht auf der Ebene
> gleich, wie ihn diese Theorien gleich machen wollen.
Wo tut sie das denn?

Die marxsche Theorie ist in erster Linie eine "Kritik". Das heißt: Marx
kritisiert die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft. Daraus lässt
sich vielleicht negativ etwas über eine befreite Gesellschaft sagen,
besonders viel dazu geschrieben hat Marx allerdings nicht. Ich halte die
Aussage, Marx wollen alle Menschen "gleich" machen, für eine unbelegte
Unterstellung und biete für jedes Zitat, das diese Einschätzung belegt,
zwei Gegenbeispiele. Mal ganz pauschal ,-)

> Deshalb ist jeder realer Umsetzungsversuch zum Scheitern verurteilt
> (was uns die Geschichte gezeigt hat).
Hier beißt sich die Katze in den virtuellen Schwanz: Da Marx kein System
erdacht hat, sondern lediglich eins kritisiert hat, kann da auch keine
Umsetzung scheitern. Was scheitern kann, ist die Kritik. Etwa, indem
sich zeigt, das endgegen seinen Ausführungen doch alles ganz reibungslos
funktioniert. Den Eindruck habe ich allerdings nicht.

Marx hat sich sogar immer wieder davon abgegrenzt, das er Systembildung
betreiben würde. Beim durchsehen eines volkswirtschaftlichen
Einführungsbuches von einem gewissen Adolf Wagner etwa hat er an den
Rand geschrieben:

„Nach Herrn Wagner ist die Werttheorie von Marx "der Eckstein seines
sozialistischen Systems" Da ich niemals ein "sozialistisches System"
aufgestellt habe, so dies eine Phantasie (der anderen)“

Insofern: die Phantasie des Jörg Drescher, sozusagen.
> Der Konflikt besteht nicht in den Ideologien, sondern im Menschsein:
> dem Problem der Gleichheit und gleichzeitigen Unterschiedlichkeit. Wo
> finde ich das aber bei Marx? Welchen Weg schlägt er vor? Entspricht
> dieser Weg noch der heutigen Zeit? Wo wird bei Marx der Mensch
> betrachtet? Wie sieht er ihn?
Wie gesagt: er schlägt zunächst mal gar nichts vor, er kritisiert.
Letztlich zieht sich die Kritik durch das ganze Werk, zum Begriff der
Gleichheit wird sie vor allem an zwei Stellen deutlich: Im Kapital (MEW
23, 189ff) und vor allem in einer sehr empfehlenswerten und oft
ignorierten Stelle in den Grundrissen (MEW 42, 166ff)

Marx analysiert hier die Gleichheit kritisch ls ein
bürgerlich-kapitalistisches Prinzip, das tatsächlich auf genau das
hinausläuft, was du ihm als Wunsch unterstellen willst: das die Menschen
sich durch den Tausch gleichsetzen. Das wird nur möglich durch ihre
reale Ungleichheit - wenn sie nicht unterschiedliche Bedürfnisse hätten
oder unterschiedliche Dinge tun würden, gäbe es schließlich nix zu
tauschen. Gleichzeitig wird diese Ungleichheit aber, obwohl
Voraussetzung, untergraben. Eben durch den Bezug der je einzelnen auf
eine bewußtlose Ökonomie, die sich die Vielen als Gleiche unter ihre
Ansprüche unterordnet. Das ist nicht schön, aber eben Kapitalismus.

Die marx'sche Vision wird hier nur negativ deutlich: es würde gelten
einen Zustand zu schaffen, in dem der Einzelne nicht isoliert von
anderen über anonyme Zwänge mit ihnen vergesellschaftet wird. Sondern in
dem die Möglichkeiten wirklicher Freiheit und wirklicher Gleichheit zum
tragen kämen. Es würde also - hier hast du dann wieder ein wenig recht -
nicht darum gehen, einfach nur das Gegenteil zu machen. Vielmehr müssten
die beiden scheinbar widersprüchlichen Ansprüche (Freiheit und
Gleichheit) auf eine höhere Ebene (Synthese, quasi) zu sich selber
kommen. Zumindest solange wir dem Marx der Grundrisse folgen wollen...
> Wir stehen vor einer "neuen sozialen Frage", die auf "soziale
> Gerechtigkeit" hinausläuft. Und "soziale Gerechtigkeit" hat sehr viel
> mit Gleichheit zu tun.
Auch hier würde Marx dir wohl widersprechen. Sicherlich hat
Gerechtigkeit auch für ihn etwas mit Gleichheit zu tun. Nur eben
negativ: Im Kapitalismus ist laut Marx für Gerechtigkeit gesorgt,
alleine dadurch, das die Menschen Waren als Äquivalente (als Gleiche)
tauschen. Das gilt auch für den Verkauf der Ware Arbeitskraft, so das
auch der marxsche Mehrwert nicht durch Betrug, sondern gerade durch die
Einhaltung zivilisierter, gerechter Standarts entsteht. (MEW 23, 207ff)

Soviel von mir.

bunte grüße,

juli



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