[Debatte-Grundeinkommen] Gemeinschaft oder Gesellschaft

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Sa Jul 7 05:28:26 CEST 2007


Hallo zusammen,

in den vergangenen Tagen und Wochen hatte ich die Möglichkeit, mich etwas
ausführlicher zum Thema Gruppenbildung von Menschen zu beschäftigen. Dabei
kam ich natürlich nicht an Ferdinand Tönnies (1855-1936) vorbei. In seinem
Hauptwerk "Gemeinschaft und Gesellschaft" beschäftigt er sich intensiv mit
dem Thema und legte damit wichtige Grundsteine für die Soziologie. Prof. Dr.
M. Opielka (BGE-Befürworter) schrieb über genau dieses Thema ein dickes Buch
("Gemeinschaft in Gesellschaft" mit über 500 Seiten), das 2006 in einer
überarbeiteten Auflage erschien und weitaus differenzierter auf das Thema
eingeht (ich hab's leider nicht gelesen, da ich in der Ukraine keinen Zugang
zu dem Buch habe).

Wenn ich die drei großen politischen Ideologien betrachte (Liberalismus,
Sozialismus, Konservatismus) fehlt mir dabei irgendwie eine
Gruppenbeschreibung; umgekehrt lassen sich die zwei Gruppen den Ideologien
zuordnen: Tönnies betrachtet die Motivation in Gruppen zu sein und trennt
diese in "Gemeinschaft" (das Individuum sieht sich als Teil eines größeren
Ganzen und als "dienenden Zweck" für die Gruppe) und "Gesellschaft" (das
Individuum sieht die Gruppe als "Mittel zum Zweck" und will sich durch die
Gruppe selbst verwirklichen). Der Liberalismus fördert die "Gesellschaft",
der Sozialismus die "Gemeinschaft" und dem Konservatismus ist es schlichtweg
egal, da er am Bestehenden festzuhalten versucht.

Es gibt mehrere Stimmen aus der sozialistischen, aber auch aus der
konservativen Ecke, daß das BGE ein "neoliberales Projekt" sei; umgekehrt
gibt es aus dem liberalen, aber auch aus der konservativen Ecke die
BGE-Kritik, daß das BGE ein "sozialistisches Projekt" wäre. Deshalb will ich
die Frage in den Raum werfen, wie sich das BGE auf diese Gruppenbildung
auswirken kann, bzw. soll.

Diese drei politischen Ideologien stammen aus dem 18./19. Jahrhundert und
wie den meisten bekannt sein dürfte, gab es zu jener Zeit noch keine
"Globalisierung" (jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie heute). Der
Kommunismus wollte die "Weltgemeinschaft", aber scheiterte am Willen des
Individuums, dafür seine Individualität aufzugeben. Der Liberalismus will
eine "Weltgesellschaft" und zerstört damit offensichtlich Umwelt. Und der
Konservatismus ist damit zufrieden, wie es heute ist (die Zukunft ist
morgen, aber "ich lebe jetzt").

Wie paßt das BGE nun zu diesen politischen Ideologien? Politik deshalb, weil
es eigentlich vorrausschauendes, zielgerichtetes Verhalten bedeutet. Wenn
ich also ein BGE vertrete, verfolge ich damit ein Ziel. Aber welches Ziel?
Und weil das BGE für Menschen (Mehrzahl) sein soll, geht es um Gruppen - und
Gruppen lassen sich in zwei Motivationen einteilen: Gemeinschaft oder
Gesellschaft.

Seit mir dieser Zusammenhang mit den Gruppen klar geworden ist, kann ich
auch die Probleme innerhalb der BGE-Diskussion besser nachvollziehen. Nun
kann sich jeder für sich darüber Gedanken machen (liberal), aber ich würde
mich über eine Diskussion (sozial) zu diesem Thema freuen ;-)

Viele Grüße aus Kiew (heute ist hier Ivana Kupala),

Jörg (Drescher)





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