[Debatte-Grundeinkommen] Antwort an Joachim Behncke, Band 23, Eintrag 9

Florian Hoffmann florian at hoffmannlaw.de
Mo Feb 5 22:30:02 CET 2007


Lieber Herr Behncke

auf plausible Fragen, plausible Antworten:

Was ist Wertschöpfung? Wertschöpfung ist die Differenz zwischen Kosten und
Erlös, zwischen Ausgaben und Einnahmen. Wertschöpfung ist Marge, wie der
Kaufmann sagt, Bruttomarge genauer. Die Summe aller Wertschöpfung ist das
Bruttosozialprodukt, der insgesamt geschaffene Mehrwert einer
Volkswirtschaft. Beispiel: Jemand produziert Messer. Er kauft Stahl und
Kohle ein und Arbeitskräfte. Wenn sein Verkaufspreis nicht höher wäre, als
die Kosten des Einkaufs für Stahl und Kohle, wäre seine Wertschöpfung gleich
Null. Da er aber am Ende das Fünffache der Materialkosten erlöst, beträgt
seine Wertschöpfung den Differenzbetrag zwischen Materialeinkauf und Erlös.
Das ist die Marge. Jetzt geht es ans Verteilen der Marge, also der
restlichen vier Fünftel: ein Fünftel sind Betriebskosten (PKW, Miete, etc.),
ein Fünftel werden als Löhne und Lohnnebenkosten ausgekehrt, ein Fünftel
bekommt der Staat, ein Fünftel bleibt an Gewinn. Der Gewinn geht an den
Unternehmer, den Kapitaleigner, an die Bank als Zins, oder wird gespart.

Jetzt kommt die Globalisierung: Erster Schritt: Aufbau der Produktion im
Billiglohnland. Lohnkosten und Betriebskosten halbiert (trotz höherer
Transportkosten), Verkaufspreis und Marge gleichgeblieben, Gewinn
verdoppelt. Schritt zwei: Preis gesenkt, Marge normalisiert, aber: Tendenz
zur Verdrängung anderer auf dem Markt für Messer. Deshalb dritter Schritt:
Umsatz verdoppelt und Gewinn verdoppelt, Marge wieder exorbitant hoch. Also:
Wieder Preissenkung – Marktanteilerweiterung – Produktionsaufbau im noch
billigeren Lohnland. Folge: Geiz ist geil, die Preise verfallen und die
Arbeit als Verteilmechanismus der Marge ist futsch. Deutschland: Wir sind
nicht nur Exportweltmeister, sondern auch Importweltmeister, zu beobachten
im Hamburger Container-Hafen.

Deshalb ist Ihre zweite Frage nach einem Mindestpreis als Abwehrmechanismus
genau so richtig, wie die Forderung nach einem Mindestlohn. Ohne Lohn- und
Preiskartelle (und hohe Energiepreise wegen der Transportkosten und wegen
Klima/Umwelt), verlagert sich die Wertschöpfung ins Ausland und in den
Transportbereich (die Logistik), also in die Boombranche Deutschlands:
Überall nur noch Lagerhäuser und das Bruttosozialprodukt, die Wertschöpfung
(so sie nicht in der Schweiz landet) wird im Inland immer mehr über
Sozialtransfers verteilt, wodurch die flächendeckende Nachfrage entsteht und
die Güterverteilung (d. h. der allgemeine Wohlstand) trotzdem einigermaßen
aufrecht erhalten bleibt.

Und deshalb ist auch die Frage nach der Ausbeutung der Lieferanten-Länder
berechtigt. Die größten Margen entstehen bei uns im Inland, obwohl die
Arbeiten im Ausland erfolgen. Das ist die berühmte Umverteilung von unten
nach oben. Da ein Teil der Marge, also des Geldes, aber über den Handel,
also den Einkauf der Waren, in die Länder gelangt, deren Preis- und
Einkommensniveau viel niedriger ist, erzeugen sie auch dort Margen und
Wohlstand, der dort dann über Löhne und Gewinne verteilt wird. Das macht die
Lieferländer einstweilen glücklich: Tatsächlich beobachtet man, dass sich
heute einige Schwellenländer im Schlepptau der Industrieländer kräftig
erholen (Mexico, Brasilien, Argentinien, etc.). Und es macht sie noch
glücklicher, weil sie schon bald anfangen, mit eigenen Produkten aus
billiger Produktion bei Wegfall der Marge des Ausländers ins  Ausland zu
expandieren.

Was bedeutet das für unser BGE-Ziel? Es bedeutet, dass sowohl hinsichtlich
der überbordenden Sozialtransfers (man kann schon von Sozialmargen sprechen)
als auch hinsichtlich der gewerblichen Margen (Kapitalerträge) bei uns eine
viel bessere Verteilungsgerechtigkeit hergestellt werden muß, weil die
Verteilungsgerechtigkeit über die Löhne nur noch unzureichend funktioniert,
ja sogar durch die Belastung durch Sozialabgaben negative
Gerechtigkeitsfolgen zeitigt (Selbständige, wie ich, zahlen den ganzen Summs
nicht!).

Verstanden? Einverstanden?

Schönen Abend!

Florian Hoffmann





>
> Message: 1
> Date: Mon, 5 Feb 2007 17:55:31 +0100
> From: "j.behncke" <j.behncke at bln.de>
> Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Das Arbeits-Paradigma ist nicht
> 	richtig!
> To: <info at psgd.info>,
> 	<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
> Message-ID: <008201c74946$75db6780$533c57d4 at oemcomputer>
> Content-Type: text/plain;	charset="utf-8"
>
> Irgendwie ist da was dran, an der Argumentation.
>
> Ein paar Anmerkungen von mir:
>
> In der allgemeinen Diskussion wird die Arbeit vorrangig vor dem
> Begriff der
> Wertschöpfung behandelt: Nach dem Motto: wenn ich morgens in meine
> (gewärmte) Dienststube gehe, den ganzen Tag Leute ärgere, am
> Monatsende mein
> Gehalt erhalte, dann arbeite ich.
>
> Mag so gesehen werden -  Im physikalischen Sinne des Arbeitsbegriffs
> natürlich nicht: Arbeit= Kraft mal Weg, und noch so viel Krafteinsatz (
> ganzen Tag im Büro, verbraucht ja auch Kräfte ), ohne bewirkte Wegstrecke
> macht: Arbeit gleich null.
>
> Daß Einkommen nur für eine große Menge von fleißigen und nicht sehr
> bemittelten etwas mit Arbeit zu tun hat, wissen wir seit den Ackermännern
> dieser Welt. Leistungsloses Einkommen in Form von Zinsen auf Kapital war
> schon immer die Haupteinnahmequelle herrschender Schichten.
> Dagegen hat sich
> die christliche Arbeitsethik stets gewandt, mit erstaunlichem Erfolg: Der
> Großteil der Bevölkerung ist ruhig gestellt in dem ständigen
> Tagesablauf wie
> oben geschildert. Danach ist keine Kraft mehr für neue Gedanken.
> Nicht ohne
> Grund gingen die neuen Gedanken der Intellektuellen des 19. Jahrhunderts (
> Marx war nur einer von ihnen, und nicht einmal besonders bemittelt ) von
> Sprößlingen wohlhabender Familien aus. Wie auch sonst: Müßiggang ist aller
> Philosophie Anfang.
>
> Aber nach langer Vorrede zum Thema: Was ist eigentlich Wertschöpfung? Und
> ist der Wertschöpfungsbegriff nicht viel zentraler als der Arbeitsbegriff?
>
> Meine "poor mans version" der Wertschöpfung: Wenn das, was ich an
> resourcen
> einsetze, verglichen zu dem, was ich als Entgelt ( und dieses
> Entgelt ist in
> einer kapitalistischen Marktwirtschaft bestimmt von Angebot und
> Nachfrage )erhalte, verhältnismäßig gering ist,  habe ich eine hohe
> Wertschöpfung.
>
> Beispiel: Spezialisten, die brennende Ölquellen löschen können setzen ihr
> know how ein, ihr Leben und einige Betriebsmittel: Ergebnis: Extrem hohe
> Wertschöpfung und Verdienst, oder, anderes Beispiel: Fußballer,
> Schauspieler, die Millionen in ihren Bann ziehen: Hohe Wertschöpfung, weil
> hohe Nachfrage, hoher Verdienst.
>
> Gegenbeispiel: Die Wertschöpfung einer einfachen Studentin, die im Theater
> Mäntel auf den Haken hängt: Diese Tätigkeit kann jeder andere übernehmen,
> der Verdienst ist ensprechend gering, tendiert im System von Angebot und
> Nachfrage bei bestehendem hohen Angebot gegen Null: Daher die
> Notwendigkeit
> für ein Grundeinkommen.
>
> Viele, auch engagierte Freunde eines Grundeinkommens, verlangen
> parallel zum
> Grundeinkommen einen Mindestlohn, damit die Löhne nicht ins bodenlose
> sinken: Ich meine, die Forderung von Mindestlöhnen verbunden mit
> Grundeinkommen ist systemfremd: Dann sollte man auch Mindestpreise
> verlangen: Für Oberhemden mehr als 40 ?, denn mit einem geringeren Preis
> werden die Lohnarbeiter in anderen Regionen in unserer globalisierten Welt
> ausgebeutet, oder nicht?
>
> Grüße
> Joachim Behncke, Berlin
>





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