[Debatte-Grundeinkommen] BGE Artikel Humanwirtschaft

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Mi Jul 26 14:49:41 CEST 2006


Johannes Heinrichs hat vor allem ein Problem damit, sich die durch das
bGE entwickelnde "neue" Gesellschaft vorzustellen und deutlich von der
momentanen Situation direkt nach Einführung eines bGE zu
differenzieren. So glauben Viele, dass radikale Arbeitszeitverkürzung
und das bGE voneinander abgetrennte Konzepte darstellen - und
tatsächlich sollte man beides unabhängig voneinander fordern!
Tatsächlich aber ENTHÄLT das bGE natürlich auch die automatische
Entwicklung zu verkürzten Arbeitszeiten! Und das sogar an zwei
Fronten: Einmal, weil alle unbequemen, ekligen und gefährlichen Jobs,
die durch Maschinen leichter zu bewältigen sind, tatsächlich durch
Roboter erledigt werden und damit qualifizierte Mitarbeiter für
sinnvollere Arbeiten im Unternehmen freisetzen; zum Zweiten dadurch,
dass die Gesellschaft ihr Interesse an der Erwerbsteilhabe Aller unter
den Bedingungen des GE endlich verwirklichen kann, denn wenn DANN noch
ein tatsächlich Sinn stiftende Arbeit Suchender untätig zu Hause
hocken muss, dann werden die als "Faulpelze" Stigmatisierten nicht
mehr die "Rumhocker" sein, sondern die Personalverantwortlichen (egal,
ob innerbetrieblich oder in der Arbeitsagentur)! Die "Verteilung des
Privilegs auf aktive und vergütete Teilhabe am Gemeinwesen" ist also
nicht nur Folge einer isolierten radikalen Arbeitszeitverkürzung,
sondern auch des bGE! Das "Auseinanderdriften der Gesellschaft in
bloße Sozial-Leistungsempfänger und aktive Teilhaber" beobachten wir
lediglich in unserer AKTUELLEN Gesellschaft. Freilich - das gebe ich
immer zu bedenken! - ist auch das national isoliert eingeführte bGE
nicht vor einem Auseinanderdriften der Reichen und der Armen gefeit,
solange das kapitalistische Regime und ein Spielgeldsystem mit
leistungslosen Zins- und Zinseszinseinkommen andauern!

Sein (schönes!) Motto der "empfangenden Teilhabe durch aktive
Teilgabe" ist bei Darwin Dantes 5-Stunden-Woche berücksichtigt, neben
"unserem" bGE auch ein - wie ich meine - ausgesprochen schönes, weil
wirtschaftlich UND ökologisch UND sozial überzeugendes Konzept.

Den Vertreter des Konzepts Grundeinkommen ohne Arbeit, der beteuert,
es gäbe nicht genug Arbeit, den möchte ich sehen! Dass die
To-Do-Listen JEDES Menschen voller sind als sein Zeit-Budget hergibt,
dürfte eine altgewohnte Alltagserfahrung sein :-)

Heinrichs beschwört den "Geist der Gesellschaft", der sich nicht
ändere. Auf der Mailingliste der Attac-AG "Genug für alle" habe ich
bereits ausgeführt, dass es sich beim bGE NICHT um eine Systemänderung
im Sinne kompletter Umwälzung handelt - aber der Geist der
Gesellschaft wird sehr wohl verändert! So ist es tatsächlich fraglich,
ob es unter bGE-Bedingungen noch Friseure im Sinne von
Haupthaarkürzern geben wird. "Coiffeure" im Sinne von
Frisurengestaltern hingegen wird es bestimmt weiterhin geben, und eine
Zeit lang werden sie wohl auch bereit sein, nur ein bisschen
rumzuschnippeln. Hauptsächlich aber werden solche Dienste wie
einfaches Haareschneiden langfristig in die Familien und
Lebensgemeinschaften übergehen. So wie auch der Büroputzdienst
verschwinden wird. Warum putzen Putzdienste Büros? Weil der
ungeschützte Arbeitsmarkt die Teilung in hochbezahlte Angestellte und
schlecht bezahlte Putzkräfte zuließ: die einen wären für Putzdienste
zu teuer bezahlt, die anderen dankbar, dass sie überhaupt noch Arbeit
hatten. Unter bGE-Bedingungen werden sich die Putzkräfte zurecht
fragen: "Wieso putze ich DENEN eigentlich ihr Büro? Sollen sie doch
selbst zusehen, dass sie Ordnung halten. Der Wischmob steht da drüben
im Kabuff!" Botendienste werden durch den verstärkten digitalen
Austausch und durch stark dezentralisierte Logistikzentren erübrigt;
kein Weg wird mehr umsonst sein. eBay darf also weiterhin hoffen ;-)
Die Gastronomie wird weiterhin bestehen, denn zentrale Treffpunkte
bleiben wichtig, und gemeinsames Kochen ist ökologisch sinnvoll. Ob
aber ALLES an den Platz gebracht wird und sich das Geschirr WEITERHIN
wie von Zauberhand selbst säubert, ist fraglich. Macht aber auch nix -
das gemeinsame Mahl kann dadurch nur an Wert gewinnen. Nicht mehr
geben wird es den Urlaub mit dem Zweck sich den lieben langen Tag nur
bedienen zu lassen. Aber auch das ist nicht schlimm, denn Urlaub
solcher Art ist dekadent! Aber vielleicht erhalten auswärtige
(Urlaubs-)Gäste in der Gastronomie einen Urlaubsbonus als
Gastfreundschaft und müssen ausnahmsweise nicht beim Spülen helfen.

Sein Punkt 9, welche menschlichen und kulturellen Leistungen sollen
eigentlich in der neuen Arbeitswelt über den Sockel des
Grundeinkommens hinaus vergütet werden und wie schwer diese
Entscheidungen fielen, ist einfach die verkleidete Systemfrage. ZUERST
werden die Differenzierungen tückisch, die Entscheidungen schwierig
sein. Mit der Zeit aber werden sie immer einfacher, denn das bGE gibt
den Menschen die Freiheiten dazu - und am Ende steht der sanft
eingeführte Kommunismus. Ziel muss es sowieso sein, den Tausch über
Geld und den Tausch überhaupt (do, ut des) zu überwinden. Denn in
unserer hochvernetzten Welt gilt das Heinrichs-Motto der "empfangenden
Teilhabe durch aktive Teilgabe" ohnhin schon JETZT universell ("ein
jeder nach seinen Fähigkeiten, einem jeden nach seinen Bedürfnissen")
- wir trauen uns nur nicht, es auch zu sagen und einzufordern von den
egoistischen Mächtigen...

Sein Fazit ist zwar skeptisch gegenüber dem bGE an sich, aber Skepsis
sollten auch wir üben. Das bGE ist nur ein Schritt zur Lösung, nicht
die Lösung selbst. Es wird ein Kampf bleiben!  Aber niemand hat je
gesagt, dass wir in Utopia ankommen müssen, um zufrieden zu sein;
jeder Schritt auf dem Weg nach Utopia macht uns ein Stück glücklicher!

Manfred

-- 
Manfred Bartl
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On 7/26/06, lothar walczak <lwalczak at gmx.de> wrote:
> Ich verstehe nicht, wie Herr Heinrich zu diesen Fragen kommt, wenn er
> denn das vorhandene Material gesichtet hat...
>
>
> MfG
>
> Lothar Walczak
>
> > Hier ein Artikel aus der Humwirtschaft zum BGE der
> > mich erreicht hat.
> >
> > Herzlichen Gruss Ralf Enegelke
> > Jülicherstr.9 13358 Berlin  030 49911868



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