[Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen Nachrichtensammlung, Band 16, Eintrag 14

Matthias Dilthey info at psgd.info
Mi Jul 19 00:28:16 CEST 2006


Nachtrag

Leider habe ich den bemerkenswerten Aufsatz von Ronald Blaschke

http://www.bag-grundeinkommen.de/BGE_ML_AZV_blaschke.pdf

erst im Nachhinein gelesen. Blaschke geht dabei an die BGE-Höhenproblematik 
von einer ganz anderen Betrachtungsweise heran, kommt dennoch zu ähnlichen 
Ergebnissen.

Auf ganz kleine BGE-Höhen geht er sinnvoller Weise überhaupt nicht ein. 
(Mancherorts werde BGE-Höhen von z.B. 50,-- Euro als Einsieg gefordert; der 
Vollständigkeit halber bin ich darauf eingegangen).

Blaschke warnt ausdrücklich vor der Einführung eines zu geringem BGE:

"- Es würde zum einen Erwerbsarbeit zur Not wendenden Pflicht machen, also 
einen ökonomischen Arbeitszwang anstelle des bisher vom 
sozialadministrativen/staatlichen Machtapparat gesetzten Arbeitszwanges 
einführen – weil das niedrige Grundeinkommen eben nicht die Existenz und 
gesellschaftliche Teilhabe sichert. 
...
Ein niedriges Grundeinkommen mutiert in der Wirkung zu einer sehr 
"effizienten" Arbeitshausmaßnahme, weil der Arbeitszwang nunmehr sich durch 
die nackte, existenzielle Not der Menschen durchsetzen würde und nicht durch 
aufwändige und kostenträchtige Sozialadministrationen und Träger von 
Arbeitszwangmaßnahmen."

Weiter befürchtet Blaschke, zurecht wie ich meine, sogar neagtive 
Synergie-Effekte:

"- Und ein niedriges Grundeinkommen würde zum anderen – unter den gegebenen
Arbeitsmarktbedingungen – ökonomisch zur Niedriglohn-Erwerbsarbeit (und zu 
Kombilöhnen) zwingen, so wie heute schon massenhaft Grundsicherungsbeziehende 
ökonomisch zu Niedrig(st)lohnjobs gezwungen, also unfreiwillig verdammt sind. 
Ein Mindestlohn kann die Niedrig(st)lohnwirkung von niedrigen Grundeinkommen 
etwas minimieren, allerdings nur im oben aufgezeigten, beschränkten Rahmen."

Beide Betrachtungen kommen unabhängig voneinander und aus verschieden 
Sichtweisen zu dem Ergebnis, daß es zumindest höchst bedenklich erscheint, 
den BGE-Einstieg über ein niedriges BGE zu realisieren.

Das engt natürlich den Gestaltungsspielraum zur Einführung eines BGE gewaltig 
ein.


Bezogen auf die aktuelle Tagespolitik stellt sich die Frage, warum Althaus die 
Höhe seines "solidarischen Bürgergeldes" exakt auf die Höhe gelegt hat, bei 
der die größten negativen Synergie-Effekte zu erwarten sind.

Entweder sind Althaus diese Zusammenhänge bekannt, dann hat er sich als (schon 
verfassungsfeindlicher?) Neoliberalist geoutet,

oder

ihm sind diese Zusammenhänge nicht bekannt, dann soll er sich kundig machen, 
bevor er solche Vorschläge unterbreitet.


Matthias Dilthey


Am Dienstag, 18. Juli 2006 17:05 schrieb Matthias Dilthey:
> Lieber Wolfgang,
>
> am 16.07. hast Du an Frau Karen Horster geantwortet:
> > Ein Grundeinkommen, dass alle vier Bedingungen
> > erfuellt, wird es auf einen Schlag als "big bang" wahrscheinlich eh nicht
> > geben, deswegen ist die Diskussion von realistischen (!) Schritten enorm
> > wichtig. Es gibt etliche Mitglieder im Netzwerk, die daran arbeiten ;-)
>
> Auch wir bei der PsgD machen uns intensiv Gedanken, wie der Übergang zum
> BGE zu bewerkstelligen sein könnte.
>
> Wir können hin und herrechnen: Es gibt 2 entscheidende Punkte bezüglich der
> BGE-Höhe. Synergieeffekt-Höhe und Initialeffekt-Höhe.
>
> (1) Ein sehr kleines BGE entfaltet kaum Wirkung, setzt höchstens Zeichen.
> (2) Synergieeffekte treten nennenswert erst ab einem BGE von 400-500 Euro
> ein. (3) Initialeffekte treten erst ab einem BGE oberhalb ca. 800,-- Euro
> ein.
>
> Zu (1):
> ein BGE von 400-- Euro schüttet ca. 385 Mrd. p.a. aus. Selbst wenn man
> unzulässiger Weise davon ausgeht, daß diese 385 Mrd. voll in den
> Inlands-Konsum wandern,  steigert dieses "Konjunkturprogramm" lediglich den
> Auslastungsgrad der Wirtschaft, steigert den Gewinn der Unternehmungen.
> Es ist ein Irrglaube, daß dadurch Erwerbsarbeitsplätze in nennenswerter
> Größe entstehen.
> Die durchschnittliche Auslastung der Wirtschaft (mit vorhandenem Personal)
> liegt bei ca. 75% und erwirtschaftet ein BIP von ca. 2.000,-- Mrd.
> Somit müßte ein Konjunkturprogramm ein Volumen von über 676 Mrd. p.a.
> haben, um Erwerbsarbeitsplätze in nennenswertem Umfang zu schaffen.
>
> Verwaltungseinsparungen sind durch ein so kleines BGE nicht zu erwarten.
>
> Zu (2):
> Ab einem BGE i.H.v. ca. 400,-- Euro sind Synergieeffekte zu erwarten wie
> z.B. Änderungen am Erwerbsarbeitsmarkt.
> So dürfte der Eine oder Andere Mini-Job neu besetzt werden, eventuell geht
> mancher auf Teilzeit über.
>
> Neue Erwerbsarbeitsplätze? Nein (siehe zu 1)
> Verwaltungseinsparungen? Nur in sehr begrenztem Umfang, denn die
> Einzelfall-Prüfungen bei Finanz- und Sozialamt (ARGE) müssen erhalten
> bleiben.
>
> Zu (3):
> Erst ein BGE von über 800,-- Euro schafft spürbare Entlastungen.
> Auch wenn von einem so hohen BGE nur ca. 170 Mrd. zusätzlich in den Konsum
> fließen, werden die Auswirkungen richtig sichtbar.
>
> Neben dem Erwerbsarbeitsmarkt wird sich ein (gesellschaftlich wertvoller)
> Arbeitsmarkt bilden, vorhandene Erwerbsarbeit wird gleichmäßiger verteilt
> werden ...
> Erst ab dieser BGE-Höhe kommen gesellschaftliche Auswirkungen richtig zum
> Tragen, haben positiven Einfluß auf die Krankheitskosten, bewirken
> Veränderungen in der Erwerbsarbeitswelt.
>
> Einzelfall-Prüfungen beim Sozialamt können (weitestgehend) entfallen,
> Verwaltungseinsparungen i.H.v. mindestens 100 Mrd. Euro werden schlagartig,
> aber eben erst ab einem BGE von 800,-- Euro, möglich.
>
>
> Hätten wir in den 70er Jahren mit der BGE-Einführung begonnen, so wäre eine
> schrittweise Einführung möglich und sinnvoll gewesen.
> Auf Grund der hohen Staatsverschuldung sind alle BGE-Höhen unterhalb des
> Initialeffektes nicht finanzierbar.
>
> Daran ändern auch Modell-Rechnungen wie z.B. das Transfergrenzen-Modell
> nichts.
> Wegen unseres angespannten Erwerbsarbeitsmarktes werden die
> Erwerbsarbeitseinkommen in etwa um die ausgezahlte BGE-Höhe sinken. Dadurch
> verschieben sich die Transfergrenzen an das untere Ende der Lohnskala und
> das Ganze wird nicht mehr finanzierbar.
>
>
> Traurig, aber wahr!
>
> Liebe Grüße
>
> Matthias Dilthey
>
> Am Sonntag, 16. Juli 2006 13:41 schrieb Wolfgang Strengmann-Kuhn:
> > Liebe Karen Horster,
> >
> > vielen Dank fuer die email!
> >
> > On 16 Jul 2006 at 12:56, KarenHorster at web.de wrote:
> > > Vielen Dank für Ihre Ausführungen, die für mich sehr wertvoll sind.
> > > Dank meinen eigenen Recherchen, bin ich in vielen Punkten zu den
> > > gleichen Resultaten wie Sie gelangt. Ich habe mir alle Aussagen und
> > > Darstellungen von Grundeinkommen-BefürworterInnen genauer angesehen
> > > und mich zunächst mal gefragt, wie denn das, was diese vertreten auch
> > > konkret umsetzbar sei. Als ich dann Vielen mitteilte, dass so, wie es
> > > Herr Götz Werner darstelle, die Einführung eines Grundeinkommens weder
> > > machbar noch umsetzbar sei, haben mir wiederum Viele geantwortet, dass
> > > man über Zahlen, Machbarkeit, Höhe des Grundeinkommens usw. später
> > > reden würde. Zunächst mal müsse die Idee des Grundeinkommens weiterhin
> > > verbreitet werden.
> >
> > Ich stimme Ihnen da voellig zu und halte das auch fuer voellig falsch.
> > Ein Punkt, der mich an Goetz Werner und seinen AnhaengerInnen stoert.
> >
> > > Ich komme aber aus einer Familie und aus einer Berufsrichtung, wo man
> > > sich gewohnt ist, nicht auf Treibsand zu bauen, sondern auf solidem
> > > Fundament. Wenn das Netzwerk Grundeinkommen nicht aus eigener Kraft in
> > > der Lage ist diesbezüglich konkrete Finanzierungsmodelle zu entwerfen,
> > > dann ist das bitter.
> >
> > Voellig richtig. Aber im letzten Newsletter sind ja mehrere konkrete
> > Modelle angesprochen, die aus Reihen des Netzwerks stammt. Darüber hinaus
> > gibt es noch etliche mehr, die nicht den Weg ueber die Mehrwertsteuer
> > gehen.
> >
> > > Entweder wird nun das Netzwerk Grundeinkommen, die Plattform von Herrn
> > > Götz Werner werden oder sich durch eigene Anstrengungen und
> > > diesbezüglichen Konkretisierungen weiterhin eine gewisse Autonomität
> > > erhalten. Wenn man dies noch will.
> >
> > Das Netzwerk hat sich dazu entschieden, sich nicht auf ein
> > Finanzierungsmodell festzulegen. Insofern haben auch Leute, die die
> > Mehrwertsteuerfinanzierung wollen, einen Platz im Netzwerk. Was nicht
> > heisst, dass die einzelnen Finanzierungsmodelle nicht diskutiert und
> > kritisiert werden duerfen - im Gegenteil!
> >
> > Wo ich ausdruecklich zustimme ist, zu verdeutlichen, dass das Modell von
> > Goetz Werner nicht das einzige Grundeinkommensmodell ist. Hier hat das
> > Netzwerk in der Tat die Aufgabe, zu verdeutlichen, dass es eine Reihe von
> > anderen (aus meiner Sicht besseren) Alternativen gibt.
> >
> > > Mit grossem Erstaunen habe ich auch gelesen, dass nun Herr Götz Werner
> > > auch am Vorabend der Mitgliederversammlung des Netzwerkes
> > > Grundeinkommen vom Netzwerk Grundeinkommen nach Berlin eingeladen
> > > worden ist und zusammen mit Katja Kipping, da seinen Auftritt haben
> > > wird. Mir geht das zu weit.
> >
> > Was ist gegen die Diskussion verschiedener Ansaetze einzuwenden?
> > Weder unterstuetzt das Netzwerk  unisono das Modell von Goetz Werner
> > noch die Position der PDS-BefuerworterInnen.
> >
> > > Und das sind auch Zeichen, die für sich sprechen. Man will gar nicht
> > > wissen, was machbar ist oder nicht. Alle sprechen viel. Reisen viel
> > > herum und halten Vorträge. Konkret imponiert Herr Götz Werner Vielen
> > > mit seinem immensen Reichtum und seinen grossen Kampagnen. Vieles wird
> > > noch geredet werden, aber ich bin persönlich überzeugt, dass das
> > > Grundeinkommen keine Chance mehr hat. Wenn überhaupt wird irgendwann
> > > eine mickrige Summe jedermann zugestanden werden, bei gleichzeitigem
> > > Abbau aller weiteren Sozialversicherungen.
> > >
> > >
> > > Wir haben dazumal im Netzwerk Grundeinkommen diese 4 Faktoren für ein
> > > Grundeinkommen festgesetzt:
> > >
> > >     * existenzsichernd sein im Sinne der Sicherung einer basalen
> > >     gesellschaftlichen Teilhabe, * einen individuellen Rechtsanspruch
> > >     darstellen, * ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden und *
> > >     keinen Zwang zur Arbeit bedeuten.
> > >
> > > Wir müssten die Debatte auf existenzischernd, bedingungslos als
> > > individuellen Rechtsspruch wieder neu formieren. Wenn keine Einnahmen
> > > vorhanden sind oder unter der Höhe des festgelegten Grundeinkommens,
> > > dann sollen Grundeinkommenzahlungen ausgezahlt werden oder bzw.
> > > aufgestockt. In diesem Sinne wäre der Faktor ohne
> > > Bedürftigkeitsprüfung nochmals zu bedenken, ob man sich dahin einigen
> > > könnte, dass bei Bedarf das Grundeinkommen nach Vorlegen der Kündigung
> > > oder der Steuerunterlagen - da das Grundeinkommen ein individueller
> > > Rechtsanspruch wäre - ausbezahlt werden würde. Die Behörde sollte dies
> > > im Sinne einer Negativen Einkommenssteuer aber nur, wie hier dargelegt
> > > also beschränkt behandeln und Grundeinkommen-Auszahlungen ohne Wenn
> > > und Aber abwickeln.
> > >
> > > Also wäre dies dann kein Grundeinkommen für alle, nicht vollkommen
> > > bedingungslos, da Vorlage der Unterlagen, die belegen es ist kein
> > > Einkommen vorhanden - aber bedingungslos im Sinne: kein Zwang etc.,
> > > keine Diskriminierung, da das Grundeinkommen im System als ein
> > > individueller Rechtsanspruch integriert wäre -, aber verknüpft mit
> > > Vorlage des aktuellen finanziellen Zustandes bei der Steuerbehörde,
> > > danach Auszahlung eines existensichernden Grundeinkommens.
> > >
> > > Das Leztere, das existenzischernde Grundeinkommen oder dessen
> > > Forderung unterscheidet uns auch von BIEN. Es würde uns dann noch ein
> > > weiterer Faktor von BIEN unterscheiden: für alle. Was für mich kein
> > > Problem wäre.
> >
> > Ach hier stimme ich insofern zu, dass wir durchaus ueber Varianten eines
> > Grundeinkommens diskutieren sollten, die nicht alle Bedingungen des
> > Netzwerks voll erfuellen. Ein Grundeinkommen, dass alle vier Bedingungen
> > erfuellt, wird es auf einen Schlag als "big bang" wahrscheinlich eh nicht
> > geben, deswegen ist die Diskussion von realistischen (!) Schritten enorm
> > wichtig. Es gibt etliche Mitglieder im Netzwerk, die daran arbeiten ;-)
> >
> > Schoene Gruesse
> > Wolfgang Strengmann-Kuhn
> >
> >
> >
> >
> > _______________________________________________
> > Debatte-grundeinkommen Mailingliste
> > JPBerlin - Politischer Provider
> > Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> > http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen
>
> _______________________________________________
> Debatte-grundeinkommen Mailingliste
> JPBerlin - Politischer Provider
> Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen



Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen