[Debatte-Grundeinkommen] "Solidarität neu denken"
Wolfgang Strengmann-Kuhn
strengmann at t-online.de
Fr Jul 14 08:02:30 CEST 2006
Ein Beitrag von Thomas Straubhaar im Rheinischen Merkur.
siehe:
http://www.merkur.de/2006_28_Solidaritaet_neu.13819.0.html?&no_cache=1
Rheinischer Merkur
Datum: 13.07.2006
STANDPUNKT: GRUNDEINKOMMEN
Solidarität neu denken
Geld vom Staat für alle: Über diese Idee haben schon Paul Lafargue, Erich Fromm und
Peter Glotz diskutiert. Heute machen sich vor allem dm-Markt-Chef Götz Werner und das
HWWI für den radikalen Umbau des Sozialstaates stark. Wie ließe er sich realisieren?
THOMAS STRAUBHAAR
Das Konzept des Grundeinkommens ist eine radikale Alternative zu der nicht mehr
zukunftsfähigen Umverteilung durch die Sozialversicherungen in Deutschland. Alle, ob
Säugling oder Greis, jung oder alt, berufstätig oder arbeitslos, erhalten von der Wiege bis
zur Bahre vom Staat ein Grundeinkommen. Es fließt ohne Gegenleistung, Bedingung und
Antrag als sozialpolitischer Universaltransfer. Es gibt keine Bemessungsgrenzen, keine zu
verrechnenden Einkommensflüsse und keine Verknüpfung mit Vermögen. Transparenz und
Einfachheit machen einen gewaltigen bürokratischen Berechtigungs-, Ermittlungs- und
Kontrollaufwand überflüssig.
Die Entkoppelung des Grundeinkommens von der Arbeit trägt dem sozioökonomischen
Wandel Rechnung. Die Realität entfernt sich mehr und mehr von einer Sozialpolitik, die sich
an traditionellen Familienformen und dem Ideal einer ununterbrochenen lebenslangen
Beschäftigung orientiert. Eine andere Perspektive drängt sich auf. Menschen, die keine
Arbeit haben, die in Patchwork-Beziehungen leben, die Beruf und Wohnsitz wechseln,
benötigen sozialpolitischen Schutz und Unterstützung und nicht jene, die einen Job haben.
Nach dem Konzept des Grundeinkommens erhalten alle Staatsangehörigen in monatlichen
Raten eine aus allgemeinen Steuern finanzierte Transferzahlung überwiesen. Gleichzeitig
werden alle heute gültigen steuer- und abgabenfinanzierten Sozialleistungen abgeschafft:
Die gesetzliche Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- oder Pflegeversicherung verschwinden
genauso wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Wohn- und Kindergeld. Die heute zu
leistenden, wie eine Strafsteuer auf Arbeit wirkenden Lohnnebenkosten verschwinden
ersatzlos.
Entfesselter Arbeitsmarkt
Das bedeutet, dass legale Arbeit nicht mehr länger künstlich verteuert wird. Vom Bruttolohn
werden nur noch die Einkommenssteuern abgezogen. Es bleibt somit schlicht mehr netto
vom Brutto, was die Anreize zu eigener Erwerbstätigkeit erhöht und legale gegenüber
illegaler Arbeit nicht mehr so sehr benachteiligt wie heute. Die Entkoppelung des
Grundeinkommens von der Arbeit hat zudem den riesigen Vorteil, dass die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit nicht durch einen Wegfall der sozialen Unterstützung bestraft wird. Das
erhöht gerade im Niedriglohnbereich die Anreize zu arbeiten noch einmal beträchtlich.
Weil ein Grundeinkommen dafür sorgt, dass niemand mittellos wird, kann auch auf alle
sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes verzichtet werden. Im Klartext:
Es gibt keinen Schutz gegen Kündigungen mehr, nur noch betrieblich zu vereinbarende
Abfindungsregeln. Es gibt keinen Flächentarifvertrag mehr und auch keine Mindestlöhne,
sondern von Betrieb zu Betrieb frei verhandelbare Löhne. Der Verzicht auf die
Regulierungen und die Entfesselung der Kräfte eines freien Arbeitsmarktes würden
schlagartig für mehr Beschäftigung in Deutschland sorgen.
Um das Grundeinkommen zu finanzieren, wird alles Einkommen aus selbstständiger wie
unselbstständiger Arbeit, aus Zinsen, Mieten oder Kapitalerträgen vom ersten bis zum
letzten Euro gleichermaßen an der Quelle erfasst und mit einem einheitlichen und gleich
bleibenden Steuersatz belastet. Dazu kommen die indirekten Verbrauchssteuern sowie die
kostengerechten Abgaben für die Nutzung öffentlicher Leistungen. Der einheitliche und
gleich bleibende Einkommenssteuersatz verhindert nicht nur eine stark ansteigende
Grenzbelastung, die vor allem im Niedriglohnsektor viele Erwerbswillige von der Aufnahme
einer legalen Beschäftigung abschreckt. Er ermöglicht ebenso den vollständigen Verzicht
auf eine Einkommenssteuererklärung.
Eine Steuererklärung muss nur noch von jenen ausgefüllt werden, die gegen entsprechende
Belege Werbungskosten geltend machen wollen. Dabei gibt es keine Freibeträge. Denn das
Grundeinkommen ist für höhere Einkommen nichts anderes als ein Steuerfreibetrag. Und für
geringe Einkommen entspricht das Grundeinkommen dem Prinzip der negativen
Einkommenssteuer: Menschen mit niedrigem Verdienst erhalten netto vom Staat in Form
des Grundeinkommens mehr, als sie in Form von Einkommensteuern abführen.
Natürlich liegt der Knackpunkt des Konzepts in der Höhe des Grundeinkommens. Die
Theorie ist dabei einfach: Das Grundeinkommen soll auf der Höhe des Existenzminimums
liegen. Die Praxis ist schwieriger: Was soll alles unter das Existenzminimum fallen? Sicher
die Ausstattung für das materielle Überleben. Sicher auch ein Zuschlag, um zumindest in
beschränktem Maße am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Sicher
auch ein zusätzlicher Betrag für eine obligatorische (private) Kranken- und
Unfallversicherung, mit der die grundlegenden gesundheitlichen Risiken abgesichert
werden. Hier könnte der Staat auch Gutscheine ausgeben, die bei jeder Kranken- oder
Unfallkasse für eine Grundsicherung eingelöst werden können.
Was aber ist mit den Ausgaben, die zur Lebensführung dazugehören, um gegenüber dem
Durchschnitt nicht zu weit zurückzubleiben? Wie viel soll für Nahrung, Kleider, Schuhe,
Wohnung ausgegeben werden dürfen? Wie ist es mit elektronischen Geräten? Gehören
Telefon, PC und Fernseher dazu, und wenn ja, in welcher Qualität und Ausstattung? Was ist
mit Reisen und Autos? Klar ist: Je höher das Grundeinkommen, desto teurer wird das
Konzept für die öffentlichen Kassen und umso höher müssen die Steuereinnahmen liegen.
Je höher aber die steuerliche Belastung ist, desto geringer wird der Anreiz, steuerpflichtige
Tätigkeiten auszuüben.
Ein paar konkrete Rechenbeispiele: Nimmt man das deutsche Sozialbudget als
Ausgangspunkt, so hat sich der Staat die Sozialpolitik im Jahr 2003 insgesamt rund 700
Milliarden Euro kosten lassen. Davon dienten gut 620 Milliarden Euro den direkten
Leistungen der Sozialpolitik. Darunter sind die Beiträge und Zuschüsse an die Renten-,
Kranken-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung ebenso zu verstehen wie die
Zahlungen in die Förder- und Fürsorgesysteme und die Maßnahmen zur Arbeitsförderung.
Stärkere Kaufkraft
Würde man auf diese direkte Sozialpolitik verzichten, könnte stattdessen kostenneutral an
alle 82,5 Millionen Deutschen ein Grundeinkommen von jährlich 7500 Euro pro Kopf fließen.
Für eine vierköpfige Familie kämen so runde 30000 Euro zusammen. Diese Summe ist
wesentlich höher, als sie aus heutiger Sicht scheint. Denn die reale Kaufkraft stiege in einem
System mit Grundeinkommen deutlich an. Der Wegfall der Lohnnebenkosten sowie ein
flexiblerer Arbeitsmarkt mit freier Lohnfindung würde die Bruttokosten für Unternehmen
senken. Angesichts des starken Wettbewerbs auf den deutschen Güter- und
Dienstleistungsmärkten fielen die Endverbraucherpreise und damit die allgemeinen
Lebenshaltungskosten. Die Kaufkraft des Euro und damit des Grundeinkommens stiege
entsprechend. Dieser Effekt würde auch nicht durch die aus Finanzierungsgründen
steigenden indirekten Steuern kompensiert.
Wann wird auch in Deutschland begriffen, dass die Globalisierung, die Europäisierung und
der rasche Strukturwandel eine Abkehr von veralteten sozialpolitischen Instrumenten
erforderlich macht? Das Konzept des Grundeinkommens liefert eine Alternative. Seine
Realisierung ist nicht so utopisch, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Im Sinne der
"Politik der kleinen Schritte" von Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte das Konzept
zunächst neben das bestehende System gestellt werden. Die Bevölkerung hätte dann die
Möglichkeit, sich freiwillig entweder für das alte oder das neue System zu entscheiden.
Zumindest die jüngere Generation dürfte man für das Konzept des Grundeinkommens
gewinnen können. Denn ein radikaler Systemwechsel wird gerade ihr nachhaltig besser als
der Status quo helfen, die kommenden Herausforderungen zu bewältigen.
© Rheinischer Merkur Nr. 28, 13.07.2006
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