[Debatte-Grundeinkommen] Stern: "Soll Nichtstun bezahlt werden, Frau Kipping?"
Wolfgang Strengmann-Kuhn
strengmann at t-online.de
Mi Jan 25 08:48:50 CET 2006
stern.de - 24.1.2006 - 15:03
URL: http://www.stern.de/politik/deutschland/553889.html?nv=cb
Beginn des Artikels
Debatte über Grundeinkommen
Soll Nichtstun bezahlt werden, Frau Kipping?
Geld fürs Nichtstun? Für alle? In Deutschland wird ernsthaft über ein Grundeinkommen
debattiert. Im stern.de-Interview erklärt Linkspartei-Politikerin Katja Kipping, weshalb
jeder Geld bekommen sollte - einfach so.
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Zur Person
Katja Kipping, 28, ist seit 2004 Sprecherin des "Netzwerks Grundeinkommen". Zudem ist
die gebürtige Dresdnerin sozialpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der
Linkspartei. Seit September 2005 sitzt sie im Bundestag, zwischen 1999 und 2005 war
die studierte Slawistin Abgeordnete im sächsischen Landtag.
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Stichwort Grundeinkommen
Wie wird die Arbeitswelt künftig aussehen? Wie kann sich eine Gesellschaft darauf
einstellen, dass Technik und Globalisierung dafür sorgen, dass es künftig nicht genug
Jobs geben wird - selbst in Zeiten einer boomenden Konjunktur. Wie muss die
vorhandene Arbeit aufgeteilt werden und wie gehen wir mit denen um, die ohne eigenes
Verschulden langfristig kaum Chancen haben werden, von dem, was sie tun, leben zu
können? Diese Fragen beschäftigen Politiker, Volkswirte - und auch Unternehmer - quer
durch alle politischen Lager. Die Einführung eines staatlichen Grundeinkommens gilt als
eine mögliche Antwort. Jeder Bürger soll - unabhängig davon, ob er arbeitet oder nicht -
monatlich einen bestimmten Betrag erhalten. Andere staatliche Leistungen - etwa das
Arbeitslosengeld - würden abgeschafft werden. Soweit sind sich Linke und Liberale einig.
Der entscheidende Unterschied macht sich nun daran fest, wie hoch das
Grundeinkommen angesetzt wird und wo das Geld dafür herkommen soll. Während etwa
liberale Wirtschaftswissenschaftler das Grundeinkommen als einen Weg sehen, den
Staat und seine Leistungen einzudampfen und durch ein relativ niedriges
Grundeinkommen Leistungsanreize zu schaffen, glauben Linke, ein relativ hohes
Grundeinkommen schütze die Würde des Einzelnen, werde den Anforderungen einer
modernen Arbeitswelt gerecht und fördere Leistung.
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Frau Kipping, was ist das, ein Grundeinkommen?
Das bedingungslose Grundeinkommen, so wie ich es fordere, ist ein vom Staat
ausbezahltes Einkommen, das jedem Menschen qua Existenz zusteht - einfach, weil er
ein Mensch ist. Es muss ein monatlicher Betrag sein, dessen Höhe es jedem erlaubt,
oberhalb der Armutsgrenze zu leben. Es darf an keine Bedingungen geknüpft sein - etwa
an eine Bedürftigkeitsprüfung oder den Zwang, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
Wie hoch soll das Einkommen sein?
Die Vorschläge im Netzwerk Grundeinkommen reichen von 700 bis 1500 Euro. Wenn
man sich an den Armutsgrenzen der EU-Kommission bzw. den Pfändungsfreigrenzen
orientiert, kommt man auf etwa 940 Euro.
Sollen auch Kinder Anspruch auf dieses Geld haben?
Ich persönlich würde es bevorzugen, zwar ein gutes Kindergeld zu zahlen, aber kein
Grundeinkommen in voller Höhe. Stattdessen würde ich eher in öffentliche Infrastruktur
investieren - Kitas, Schulen, Spielplätze, Bibliotheken.
Weshalb brauchen wir ein Grundeinkommen?
Angesichts des Wandels der Arbeitswelt und der Krise der sozialen Sicherungssysteme
müssen wir über neue Wege nachdenken, um Armut zu reduzieren und
Selbstbestimmung zu ermöglichen. Dabei sollten wir von einem anderen Arbeitsbegriff
ausgehen. Uns muss klar sein, dass Arbeit nicht immer automatisch Erwerbsarbeit
bedeutet. Es gibt jede Menge Tätigkeiten jenseits klassischer Lohnarbeit, die für diese
Gesellschaft unwahrscheinlich notwendig sind: Erziehung von Kindern, Pflege,
ehrenamtliches Engagement.
Weshalb sollte ich mich ehrenamtlich engagieren, wenn ich doch weiß, dass das Geld so
oder so jeden Monat überwiesen wird?
Menschen sollen die Möglichkeit erhalten, selbst bestimmt tätig zu sein. Wir gehen davon
aus, dass der Wunsch, sich einzubringen, etwas zu machen, was den eigenen
Fähigkeiten entspricht, zutiefst im Menschen verwurzelt ist. Immerhin engagieren sich
schon heute 33 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mehr als 15 Stunden die Woche
ehrenamtlich. Außerdem wird das Grundeinkommen kein Leben in Saus und Braus
ermöglichen - egal, wie hoch es konkret ausfällt. Es wird weiter materielle Anreize geben,
mehr Geld zu verdienen.
Aber mit dem Grundgehalt komme ich nach ihren Vorstellungen im Prinzip über die
Runden. Verleitet das nicht zu Faulheit?
Das ist einer der beliebtesten Vorwürfe. Es gibt auch schon heute Menschen, die faul
sein dürfen - etwa die Kinder von Millionären oder Millionäre selber. Da steht auch kein
Aufseher dahinter und überwacht, ob die auch wirklich acht Stunden am Tag arbeiten.
Entweder ist Faulheit so etwas Schlimmes, dass man es allen Menschen verbieten muss,
oder wir müssen endlich zugeben, dass wir nicht fünf Millionen freie Stellen haben,
sondern dass mindestens fünf Millionen Menschen nach einem Erwerbs-Arbeitsplatz
suchen. Darauf müssen wir uns einstellen.
Gäbe es denn nicht auch Wege, mehr Arbeitsplätze zu schaffen?
Ich setze mich nicht nur für das bedingungslose Grundeinkommen ein, sondern auch für
eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit durch Arbeitszeitverkürzung.
Diejenigen, die Arbeit haben, müssen häufig noch Überstunden leisten und sind
gestresst. Gleichzeitig sind auch diejenigen gestresst, die keine Arbeit haben, weil sie
einfach keinen Job finden. Die Arbeitszeitverkürzung würde hier Abhilfe schaffen. Weil
das Geld aber bei Teilzeit-Stellen auch bei einem Mindeststundenlohnsatz nicht ganz
ausreicht, kommt das Grundeinkommen hinzu. Das Grundeinkommen hat also eine
arbeitszeitverkürzende Wirkung und könnte damit vielen Menschen aus der erzwungenen
"Faulheit" helfen.
Woher soll der Staat eigentlich das Geld für das Grundeinkommen nehmen?
Aus der Porto-Kasse ist das natürlich nicht zu bezahlen. Deshalb würde es auch keinen
Sinn machen, morgen einen Antrag auf sofortige Einführung des Grundeinkommens in
den Bundestag einzubringen. Das setzt einen erheblichen Umverteilungsprozess voraus.
Ich sehe drei Säulen für die Finanzierung. Wenn man ein Grundeinkommen gäbe, würde
jede Menge Bürokratie wegfallen, zum Beispiel Leute, die heute damit beschäftigt sind,
Sozialhilfe-Empfänger zu drangsalieren. Da wären Einsparungen möglich.
Aber diese Bürokraten würden dann selbst arbeitslos werden. Ist das in Ihrem Sinn?
Nein, die könnten dann endlich einer selbst bestimmten Tätigkeit nachgehen. Die zweite
Finanzierungssäule bestünde darin, andere Sozialleistungen - von der Sozialhilfe bis zum
Bafög - im Grundeinkommen aufgehen zu lassen. Drittens wäre das ein Riesen-Projekt
zur Ankurbelung der Binnen-Kaufkraft, weil von jedem Euro, der hier investiert würde,
rund ein Drittel wieder über den Umweg Umsatzsteuer-Mehrwertsteuer-et cetera wieder
im Staatssäckl landet.
Mit ihrer Forderung nach einem Grundeinkommen steht die Linke nicht allein.
Bundespräsident Köhler hat davon gesprochen und selbst ein ausgewiesener Kapitalist -
Götz Werner, der Chef der Drogeriemarkt-Kette DM - findet die Idee super. Worin
unterscheiden Sie sich von den anderen?
Es gibt drei Knackpunkte. Zunächst die Höhe. Köhler hat keine klaren Ansagen dazu
gemacht. Ich habe von ihm nicht gehört, dass er das Grundeinkommen oberhalb einer
ordentlichen Armutsgrenze sieht. Zweitens setzen wir uns für ein bedingungsloses
Grundeinkommen ein. Menschen dürfen nicht zu einer bestimmten Arbeit gezwungen
werden. Köhler sieht das Grundeinkommen in Verbindung mit einem Kombilohn. Das
hätte einen Arbeitszwang-Effekt. Götz Werners Argumentation finde ich in vielen Punkten
sehr sympathisch, aber bei der Frage der Finanzierung unterscheiden wir uns gewaltig.
Er will die Unternehmer nicht in die Pflicht nehmen, sondern die Verbraucher belasten -
mit einer Mehrwertsteuer von 50 Prozent.
Gibt es Länder, die Ihnen als Vorbild dienen?
Es gibt noch keinen Staat, der das Konzept in Reinform umgesetzt hat. Als Beispiel finde
ich die Schweiz interessant, die eine Grundrente eingeführt hat, die allen Bürgern und
Bürgerinnen zusteht. Zu erwähnen ist in dem Zusammenhang auch Brasilien. Dort ist vor
kurzem eine Art Grundsicherung für arme Familien eingeführt worden. Die Regierung
wurde dabei von Debatten eines wissenschaftlichen Netzwerks fürs Grundeinkommen
(Basic Income Earth Network) ispiriert. Das zeigt mir, dass diese noch sehr akademisch
daherkommenden Debatten sehr konkrete Auswirkungen auf Politik haben können - ich
hoffe, nicht nur in Brasilien.
Interview: Florian Güßgen
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Artikel vom 24. Januar 2006
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