[Debatte-Grundeinkommen] "analyse & kritik" zum Grundeinkommen
Wolfgang Strengmann-Kuhn
strengmann at t-online.de
So Jan 15 10:51:27 CET 2006
http://www.akweb.de/ak_s/ak502/13.htm
ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 502 / 20.1.2006
Der Grund der Rechte
Kontroversen übers "bedingungslose Grundeinkommen"
Sie ist nicht neu, die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und wie auch
neuere Beiträge zeigen, hat sich mit der Zeit keineswegs Klarheit über die konkrete
Ausgestaltung dieses alternativen Wohlfahrtsmodells herstellen lassen. Neu dagegen ist,
dass die Debatte nun programmatischen Charakter in der Kontroverse um die strategische
Orientierung der Linkspartei angenommen hat. Martin Dieckmann kommentiert aktuelle
Debattenbeiträge.
Im Kern entzünden sich die Kontroversen über ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht
an der Realisierungs- sprich: Durchsetzungsproblematik, sondern schon im Vorhinein an
den Grundlagen und damit dem Grundverständnis eines alternativen Gesellschafts- und
Wohlfahrtsmodells. Unterschiedliche linke Traditionslinien stoßen aufeinander und zeigen
sich dabei als letztlich nicht vermittelbar. Vor kurzem hat die Zeitschrift Sozialismus dieser
Kontroverse einen prominenten Platz eingeräumt. Nun zieht die Arbeitsgemeinschaft Betrieb
& Gewerkschaft der Linkspartei nach. Auf zwei Seiten ihrer Zeitung (1) treten gegeneinander
an: Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende und Verfechterin eines
bedingungslosen Grundeinkommens, sowie Michael Schlecht, beim ver.di-Bundesvorstand
für Wirtschaftspolitik zuständiger Gewerkschaftssekretär.
Während es Katja Kipping in ihrem Beitrag bei einigen Bekenntnissen belässt, geht Michael
Schlecht aufs Grundsätzliche - und trifft damit auch den programmatischen Kern der
Kontroverse. Es geht um - Arbeit. Katja Kipping argumentiert wie die meisten VertreterInnen
eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Perspektive eines BürgerInnenrechts an
Teilhabe und Wahlmöglichkeiten. Michael Schlecht hingegen hebt die besondere Bedeutung
des Arbeitsprozesses hervor. Dies keineswegs nur im pragmatischen Sinne, dass nun
einmal in einer kapitalistischen Gesellschaft Erwerbsabhängigkeit vorherrscht und Arbeit als
Erwerbsarbeit zentrale Einkommensquelle bleibt. Arbeit hat für Michael Schlecht vielmehr
grundsätzlich zwei Seiten. Sie ist auch "persönliche Entfaltungsmöglichkeit" und damit
zusammenhängende "Anerkennung" und "Selbstbestätigung" und somit zwiespältig in ihrem
Doppelcharakter. Kurz: Es zeigt sich bei ihm das alte Problem des anthropologischen und
eben nicht historischen Arbeitsbegriffs, wie er eine ganze Tradition der Arbeiterbewegung
und des Marxismus durchzog und gleichzeitig das soziale Grundrecht auf Einkommen
begrenzt.
Schlechts Kritik zielt weiter auf die Ausblendung des realen Produktionsprozesses. "Wie und
was produziert wird, ist nicht Gegenstand der Auseinandersetzung. Wo bleibt die
Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wo bleibt die Einflussnahme auf ökologische und
nachhaltige Produktion?" Diese "Einflussnahme auf die Produktion, die Verbesserung der
Arbeitsbedingungen und der Kampf um Arbeitszeitverkürzung" könne nur von denen
erkämpft werden, "die auch in diesen Lebenszusammenhang eingebunden sind". Dies bleibt
zwar in der besagten Traditionslinie schlüssig, wird dadurch aber als Argument weder
systematisch noch historisch richtig. Jedenfalls haben wir die bescheidenen Fortschritte in
der Einflussnahme auf ökologische und nachhaltige Produktion wohl am wenigstens der
organisierten "Arbeitspolitik" der Gewerkschaften und der von ihr erfassten
Lebenszusammenhänge zu verdanken.
Vom sozialistischen Potenzial einer Bürgerrechtsforderung
Ganz anders könnte aber ein Schuh daraus werden: Auch und gerade ein bedingungsloses
Grundeinkommen ist als strategisches Ziel daran gebunden, dass sich massenhaft
Menschen der Art und Weise des kapitalistischen Produzierens widersetzen. Freilich täten
sie es dann, um eben die gesamte Logik von Produktion und Reproduktion einer
kapitalistischen Gesellschaft umzuwälzen. Aber genau darauf weist Michael Schlecht - wie
die meisten linken KritikerInnen des bedingungslosen Grundeinkommens - gar nicht hin.
Warum? Weil es eine radikal andere Wertorientierung gerade der Erwerbstätigen und ihres
Widerstandes voraussetzen würde.
In Beiträgen wie denen von Michael Schlecht wird der historisch bestimmte Charakter von
Arbeit identisch mit menschlichem Handeln an sich - unausgesprochen unterlegt mit dem
Schema einer wie auch immer fortschreitenden Menschheitsgeschichte, deren
Entwicklungsprozess genau um jenes Zentrum kreist, das als anthropologische Konstante
der Arbeit zugeschrieben wird. Anders ist die Hartnäckigkeit nicht zu erklären, mit der wir in
unguter Regelmäßigkeit ausgerechnet das Moment der "Anerkennung" und
"Selbstbestätigung" als Wesensmerkmal menschlichen Arbeitens vorgehalten bekommen.
Darüber kann und soll man sich an anderer Stelle ausführlicher auseinander setzen. Quellen
und Traditionslinien dieser Kontroverse sind so vielfältig wie frühere und aktuelle
kapitalismuskritische und -oppositionelle Bewegungen. Hier soll dagegen ein für die
aktuellen sozialpolitischen Auseinandersetzungen entscheidender Punkt hervorgehoben
werden - der der sozialen Rechte, besser und genauer formuliert: der Status der sozialen
BürgerInnen-Rechte im Wohlfahrtsbegriff.
Wäre es so, dass nur Arbeit Teilhabe am öffentlichen Leben gewährleisten kann - und dies
keineswegs begrenzt auf heutige Verhältnisse, sondern offenbar als Konstante
menschlicher Existenz - was bliebe dann vom Teilhabebegriff des so genannten sozialen
Rechtsstaates? Zumindest in der Legitimation, freilich niemals in der Praxis, ist das
merkwürdige Amalgam namens Wohlfahrtsstaat nach dem Zweiten Weltkrieg alles andere
als ein Modell von reiner Fürsorge gewesen. Im Gegenteil, öffentliche Wohlfahrt sollte die
Menschen als BürgerInnen mit den notwendigen Mitteln zur allgemeinen Teilhabe am
öffentlichen Leben ausstatten. Von den Sozialdemokraten nie verfolgt, von den Liberalen
scharf abgelehnt, hat man es hier mit einer analogen Ausweitung politischer Grundrechte zu
sozialen Grundrechten zu tun. Soziales "Grundrecht" legt zwar sprachlich, aber keineswegs
begrifflich Formeln wie "Grundsicherung" nahe. Es geht eben nicht um ein Minimum zur
Existenzsicherung, sondern um den gesellschaftlichen Maßstab von Menschenwürde - und
diese ist nicht durch Armutsgrenzen, sondern deren Definitionsmaßstab bestimmt.
Notwendige Arbeit - wenn sie denn die Not auch wendet
Das Programm des bedingungslosen Grundeinkommens formuliert - sozusagen aufs Ganze
gebracht - diesen bürgerrechtlichen Ansatz und bringt damit den Citoyen nicht nur gegen
den Bourgeois, sondern auch gegen den Proletarier in Anschlag. Während umgekehrt die
vorherrschenden Traditionen der ArbeiterInnenbewegung und deren Marxismus den
Proletarier gegen den Citoyen ins Spiel bringen. Wenn man so will, bringt die Debatte um
das bedingungslose Grundeinkommen eine bürgerliche Utopie gegen die real existierende
bürgerliche Gesellschaft ins Spiel. Als bürgerliche Utopie ist sie aber - und das macht die
Paradoxien aller Debatten um ein bedingungsloses Grundeinkommen aus - in letzter Instanz
den traditionellen sozialistischen Entwürfen einer kollektivistischen Arbeitsgesellschaft
überlegen. Bleibt noch hinzuzufügen, dass auch diese Entwürfe einer arbeitszentrierten
sozialistischen Gesellschaft nicht zuletzt durch die sozialen und ArbeiterInnenbewegungen
nach dem Zweiten Weltkrieg erhebliche Einbußen erleiden mussten.
Als Utopie im klassischen Sinne einer Civil Society räumt das bedingungslose
Grundeinkommen erst einmal den BürgerInnenrechten die Dimension von vollen
Entfaltungsrechten ein. Es handelt sich dann eben nicht mehr um rein politische
Abwehrrechte - im liberalen Sinne: gegen den Staat - oder Minimalbedingungen vom Leben
am Rande der Armut. Es ginge stattdessen ums Ganze der gesellschaftlichen und
politischen Teilhabe. Anders gesagt, ist es der uralte Traum einer Wirtschaft - mitsamt der
Arbeit darin -, die nach Maßgabe gesellschaftlicher Vereinbarung gestaltet wird. Es ist dann
der Traum, dass die Wirtschaft der Gesellschaft dient und nicht umgekehrt.
So paradox diese Wendung eines bürgerrechtlichen Ansatzes gegen die bürgerliche
Gesellschaft ist, so paradox ist wiederum die Nähe eben dieses Ansatzes zu manchem
Überlegungen, wie sie auch bei Marx ihren Ausgang - aber nicht ihren Ursprung - gefunden
haben. Dass es sich bei einer an den Bedürfnissen orientierten Produktion weiterhin um
"notwendige Arbeit" handelt, hat mitnichten etwas zu tun mit der "gesellschaftlich
notwendigen Arbeit" im Reproduktionszusammenhang des Kapitals. Was Not tut, weil es die
Not wendet, ist als "Arbeit" ganz wo anders zu thematisieren, als es der traditionelle
marxistische Diskurs tut. Eine mittlerweile Jahrzehnte alte feministische Kritik des
Arbeitsbegriffs als Reduzierung auf Erwerbsarbeit, aber auch deren Aufnahme und
Verallgemeinerung etwa in den unermüdlichen Interventionen von André Gorz und anderen
KritikerInnenn der Arbeit, müsste das doch längst allen Beteiligten an solchen Diskussionen
beigebracht haben.
Produktion des Bedarfs - das Konkrete einer Utopie
Die eben nicht rhetorische, sondern auf ihn selbst zurück weisende Frage, was es denn mit
der Kritik am Was und Wozu der Produktion auf sich hat, stellt sich jemand wie Michael
Schlecht offenbar nicht: Dass eben nicht diejenigen dazu berufen sein werden, die
Alternativen vorzuschlagen, die sowieso das alles produzieren, sondern jene, die diese
Alternativen dringend brauchen. Was notwendig ist, was also die Not wirklich wendet, liegt
schließlich nicht in der "Selbstentfaltung" im Arbeitsprozess begründet. Sondern ganz im
Gegenteil dort, wo Menschen für ihr gemeinschaftliches Leben Produkte oder
Dienstleistungen benötigen, zu ihrer Selbstentfaltung. Nicht eine
ArbeiterInnenselbstverwaltung der Produktion, sondern eine Verwaltung der Arbeit durch
jene, die deren Produkte benötigen, wäre das Ziel einer wirklich radikalen Umwälzung.
Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist aus demselben Grunde
schwach und stark. Sie ist schwach, weil sie sich auf der Forderungs- oder Modellebene an
Instanzen richten muss, die eben fürs Gegenteil eingerichtet und darauf auch existenziell
angewiesen sind. Sie ist umgekehrt stark, weil sie sich genau an deren Legitimationsbasis
richtet. Gerade im utopischen Potenzial einer Forderung, die sich nicht zufrieden gibt mit
einer Stilllegung der Dialektik von bürgerlicher Revolution - deren Freiheitsversprechen - und
Emanzipation, ist sie ausgesprochen stark. Im Grundentwurf, dass sich die Ausgestaltung
der Produktion legitimieren muss anhand des gesellschaftlichen Bedarfs, ist sie sogar
genuin sozialistisch, allerdings im libertären Sinne.
Nicht in der Frage: "Wer soll das bezahlen?", sondern: "Wie, auf welchem Wege
durchsetzen?" liegt die Crux, die freilich die traditionellen KritikerInnen aus der Linken erst
gar nicht an sich heran lassen. Möglicherweise sind diese derart in der bürgerlichen
Gesellschaft befangen, dass sie selbst deren Utopie verwerfen müssen. Dann hätten sie
aber für eine eigene kaum noch Zeit und Raum.
Martin Dieckmann
Anmerkungen:
1) betrieb & gewerkschaft. Zeitung der AG Betrieb & Gewerkschaft der Linkspartei.PDS,
Dezember 2005
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