[Debatte-Grundeinkommen] Artikel zum attac Basistext Grundeinkommen

Philipp Jacks philipp at jungdemokraten.org
Mo Feb 13 04:09:08 CET 2006



Hallo liebe Liste,
hier ein guter Artikel zum attac Basistext zum Grundeinkommen.
Beste Grüße,
Philipp


ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 503 /
17.2.2006
http://www.akweb.de/ak_s/ak503/23.htm

Ohne Wenn und Aber
Teile von Attac präsentieren das bedingungslose Grundeinkommen als
"Richtungsforderung"

Mit guten Einführungen ist das so eine Sache: Kurz und leicht verständlich
sollen sie sein, prägnant, aber nicht verkürzend. Oft eine durchaus
titanische Aufgabe, erst recht wenn das Thema so schillernd ist, wie der
Begriff des bedingungslosen Grundeinkommens. Die jüngste
Attac-Veröffentlichung zu dieser Forderung ist eine gute Einführung - mit
der Betonung auf Einführung.

Die Nr. 17 der AttacBasisTexte, "Grundeinkommen bedingungslos" in der
AutorInnenschaft von Werner Rätz, Dagmar Paternoga und Werner Steinbach,
kann dem Grundproblem aller Einführungstexte, der notwendigen Verkürzung,
nicht entkommen. Bei schmalen 94 Din-A5-Seiten wird das auch gar nicht
suggeriert. Vor dem Hintergrund dieser Restriktion ist es wichtiger,
worauf sich die AutorInnen denn konzentriert haben, welche Essentials sie
gewissermaßen im Namen der Attac-Kampagne "Genug für alle", in der alle
drei maßgeblich aktiv sind, transportieren.

Wer in dem kleinen Büchlein ein Attac-Modell zu Grundeinkommen sucht, der
wird nicht fündig werden. Bereits im Vorwort machen die AutorInnen klar,
dass es ihnen "nicht um ein konkretes Modell, sondern um die Entfaltung
einer Idee" geht. Und um es gleich zu sagen: Das ist keine Schwäche,
sondern eine Stärke des Textes. Denn gerade in Zeiten von Hartz IV und
prekären Lebens- und Arbeitswelten kommt die linke
Grundeinkommensdiskussion leicht in Gefahr, in einer realpolitisch
motivierten technizistischen Debatte um eine Neugestaltung der sozialen
Sicherung zu versacken.

Eine der wichtigsten Ideen, die mit dem bedingungslosen Grundeinkommen
transportiert werden, wenn nicht der zentrale Gedanke überhaupt, ist die
soziale und materielle menschenwürdige Existenzsicherung als unteilbares
Menschenrecht: "Jeder Mensch hat, nur weil es ihn gibt, das Recht auf
Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und am gesellschaftlichen Leben".
Dieser radikale menschenrechtsorientierte Ansatz steht in scharfem
Gegensatz zum "Fördern und Fordern" des aktivierenden Sozialstaats und zur
Pflichtenethik des autoritären Neoliberalismus, wonach man sich
sozialstaatliche Transferleistungen erst einmal verdienen muss: "Keine
Leistung ohne Gegenleistung".

Aber die Idee von einem unteilbaren Recht auf ein gutes Leben für alle,
ohne jegliche Vorbedingen, kollidiert auch mit der Vorstellungswelt der
traditionellen ArbeiterInnenbewegung und ihren sozialdemokratischen,
sozialistischen und leninistischen Strömungen. "Wer nicht arbeitet, soll
auch nicht essen", dieses Verdikt aus der Frühzeit der Sowjetunion, ist
nur der krasseste Ausdruck einer Positionierung, die in Diskussionen mit
Gewerkschaften und linken Parteien bis heute immer wieder auftaucht. Wenn
man so will, ist das der Standpunkt der produktiven Arbeit, nach der nur
diejenigen einen Anspruch auf den gesellschaftlichen Reichtum haben, die
ihn erarbeitet haben. Nicht nur von Seiten der Aktivierungsapologeten,
sondern auch von links wird von daher oft eine Anthropologie der Arbeit in
Anschlag gebracht, ein angebliches menschliches Grundbedürfnis nach
"Arbeit", die Behauptung einer Selbstverwirklichung in und durch "die
Arbeit". Die konkrete kapitalistische Formbestimmung der Arbeit wird dabei
geflissentlich übergangen.
Ein gutes Leben für alle: ein Menschenrecht

Die zweite Idee, die die Attac-AutorInnen von daher richtigerweise
betonen, ist die radikale Entkoppelung von Arbeit und Einkommen und zwar
explizit auch als "Befeiung von der Arbeit". Das bedingungslose
Grundeinkommen ist deshalb auch kein "gesellschaftlicher Lohn", wie in
manch postoperaistischer Sichtweise. Diesem Einkommen steht keinerlei
Arbeitsleistung gegenüber. Die Befreiung von der Pflicht, erst einmal und
vorrangig seine Arbeitskraft - in welcher Form auch immer - verwerten zu
müssen, ist neben der Bedarfsgerechtigkeit das zweite zentrale Moment des
bedingungslosen Grundeinkommens. Damit weist diese Idee aber weit über
eine Neugestaltung sozialer Sicherung und gesellschaftlicher Teilhabe
hinaus. Sie wird gleichzeitig zu einer Idee über neue Formen
gesellschaftlicher Produktion. Rätz, Paternoga und Steinbach stoßen
zumindest eine Diskussion an, die vielen anderen Texten zum Thema fehlt:
Was soll als gesellschaftlich notwendige Arbeit gelten? Von welcher Arbeit
wollen wir uns lieber befreien? Welche Produkte sollen wie und von wem
hergestellt werden? Und wer entscheidet darüber? (vgl. auch ak 502 )

Allerdings schwächelt der Text bei der Diskussion von
Durchsetzungsstrategien. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist
heute in der Linken sehr viel verbreiteter als etwa vor 20, 25 Jahren, als
der undogmatische Flügel der Erwerbslosenbewegung die Parole vom
Existenzgeld gegen gewerkschaftliche und parteilinke
Vollbeschäftigungsforderungen ("Recht auf Arbeit") aufs Schild gehoben
hatte. Doch andererseits geht es dieser Forderung heute wie anderen
Forderungen auch: Es gibt in Deutschland keine sozialen Bewegungen, die
sie wirklich vertreten. Die Montagsdemos und Anti-Hartz-Proteste haben
"Weg mit Hartz IV" skandiert, nicht aber "Für ein bedingungsloses
Grundeinkommen".
Befreiung von (schlechter) Arbeit

Die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen wird nur dann
wirkungsmächtig, wenn sie Ausdruck einer widerständigen sozialen
Alltagspraxis ist. Sie kann nur entstehen im konkreten Kampf gegen Hartz
IV und prekäre Arbeitsbedingungen, gegen Bedürftigkeitsprüfungen und
Zuweisungen in die Pflichtarbeit bzw. im Kampf für die Teilhabe aller an
den gesellschaftlichen Ressourcen. Die AutorInnen weisen zu Recht auf den
Zusammenhang mit der Idee einer kostenlosen sozialen öffentlichen
Infrastruktur hin - von Kindergärten über öffentliche Bücherhallen bis hin
zu Schwimmbädern, Kultur und öffentlichem Nahverkehr. Doch auch das ist
letztlich eine Frage der konkreten Alltagskämpfe: Demos gegen
Privatisierungen und Schließungen, Streiks, Besetzungen, Aneignungspraxen.

Dirk Hauer

Werner Rätz, Dagmar Paternoga, Werner Steinbach: "Grundeinkommen
bedingungslos", AttacBasisTexte Nr. 17, Hamburg (VSA) 2005, 94 Seiten,
6,50 Euro
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