[Debatte-Grundeinkommen] Presse: FR 24.6. "Würde ohne Arbeit"
Wolfgang Strengmann
strengmann at wiwi.uni-frankfurt.de
Fr Jun 24 10:37:59 CEST 2005
URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/standpunkte/?cnt=692126
Würde ohne Arbeit
Statt der gewohnten Scheinlösungen: Ein garantiertes Grundeinkommen wäre ein erster Schritt aus
der Erwerbskrise
VON HANS-JÜRGEN ARLT
Die Arbeit, sagen sie alle, steht im Mittelpunkt. Seit 1975 haben Schmidt, Kohl, Schröder, Stoiber,
Clement, Hartz - wer nennt die Namen, zählt die falschen Vorhersagen - 30 Jahre lang in Aussicht
gestellt, die Arbeitslosigkeit zu besiegen. Jetzt verspricht es Merkel. Über das Wie verlautet bislang
kein Satz, den wir nicht längst gehört und gelesen hätten. Nie hatte eine Gesellschaft mehr Zeit,
mehr Köpfe, mehr Daten, um über sich, ihre Probleme und Perspektiven nach zu denken. Die
Praxis, selbst die Programme, die dabei herauskommen, sind von deprimierender Schlichtheit:
Sozialabbau, weniger Steuern, Arbeitslose diffamieren, für Wachstum beten,
Beschäftigungsprogramme auflegen und, wenn das in der ersten, zweiten und dritten Runde nicht
geholfen hat, eine vierte einläuten. In wechselnden politischen Farben sind Wiederholungstäter am
Werk.
Kann es sein, dass da mehr nicht stimmt als Wirtschaftsweise, Spindoctors und Beraterstäbe
wahrnehmen, wahrhaben wollen? In jetzt 56 Jahren Bundesrepublik - Wirtschafts- und
Wohlstandswunder inklusive - herrschte gerade zwölf Jahre lang so etwas Ähnliches wie
Vollbeschäftigung. Vom 19. und frühen 20.Jahrhundert ganz zu schweigen. Die moderne
Gesellschaft hat ein Strukturproblem, an dessen Folgen sie teilweise mit beachtlichem Erfolg,
zeitweise mit verheerender Hilflosigkeit herum repariert: Die gesellschaftliche Bedeutung der
Erwerbsarbeit und die Rolle der bezahlten Arbeit in den Organisationen dieser Gesellschaft passen
nicht zusammen.
Wer in unserem Land eine eigenständige soziale Existenz aufbauen und absichern will, braucht
dafür im Normalfall eine (ordentlich) bezahlte Arbeit. Bekommt er keine, verwandelt er sich von hier
auf jetzt in eine Soziallast. Nützlich oder lästig, wenn nur diese Alternative existiert, geraten die
Lästigen leicht in den Generalverdacht, Schmarotzer zu sein. Je weniger ein Politiker von unserer
Gesellschaft begriffen hat, desto lauter wird er über Faulenzer schwadronieren.
Mit Ausnahme einiger besser gestellter Familien, die sich Hauspersonal leisten, wird alle
Erwerbsarbeit von Organisationen angeboten, von Staats-, Nonprofit- und natürlich
Wirtschaftsorganisationen. Was spricht dafür, dass alle diese Organisationen zusammen
genommen gerade so viele Arbeitsplätze haben, wie es Arbeitsuchende gibt? Nichts. Natürlich kann
man auf die unsichtbare Hand hoffen, die mit Hilfe des Preismechanismus ein Gleichgewicht
herstellen soll. Alle, die an Gespenster glauben, sind im Falle von Arbeitslosigkeit überzeugt, dass
die Arbeit zu teuer, im Falle hoher Arbeitslosigkeit viel zu teuer ist.
Auf jeden Fall ist grundsätzlich die Frage zu beantworten, wie man Menschen zu einem
kontinuierlichen Einkommen verhilft, wenn sie nur mit Unterbrechungen oder überhaupt nicht
arbeiten können. Wir kennen viele Seitenwege und drei historische Richtungspfade: Den liberalen,
der alles in die Verantwortung der Individuen legt. Den sozialdemokratischen, der einen
solidarischen Ausgleich über den Staat organisiert. Und den real nicht mehr existierenden, der eine
"Beschäftigungsgesellschaft" eingerichtet und alle Last den Wirtschaftsorganisationen aufgebürdet
hat. Ob, von wem, in welcher Höhe Soziallasten bezahlt und wem, wie viel, unter welchen
Bedingungen Sozialleistungen ausbezahlt werden, ist der größte Dauerkonflikt der Moderne.
Solange keine dauerhafte Massenarbeitslosigkeit herrscht, halten sich die Soziallasten in
handhabbaren Grenzen. In der Beschäftigungskrise richten sich alle Augen auf die Wirtschaft. Die
Behörden bezahlen ihr Personal mit Steuergeldern, die Nonprofit-Organisationen könnten
massenhaft Arbeitsplätze anbieten, haben aber kein Geld. Bleiben die Unternehmen auf der einen,
die Arbeitslosen auf der anderen Seite und, besonders beliebter Prügelknabe, die
Vermittlungsinstanz zwischen ihnen.
Die Entscheidung Entlassen und Einstellen treffen die Unternehmen - allerdings nicht unter dem
Gesichtspunkt, möglichst vielen Menschen eine soziale Existenz zu sichern. Nun kann man
Arbeitgeber deswegen als verantwortungslose Investitionsverweigerer anklagen. Aber genau so gut
kann man einem Münchner Wies'n-Wirt vorwerfen, dass er kein Freibier ausschenkt, wenn die
Leute noch durstig, doch nicht mehr zahlungsfähig sind. Keine Organisation - es sei denn eine so
genannte Beschäftigungsgesellschaft, deren Name schon signalisiert, dass sie nicht normal ist -
wird mit dem Zweck gegründet, Arbeit zu schaffen. Die Rücksicht auf Arbeitsplätze muss
Organisationen aufgezwungen oder mit Zugeständnissen schmackhaft gemacht werden.
Unternehmen haben sogar die Tendenz, ihre Produktivkraft zu steigern und mit weniger Arbeit mehr
zu leisten. Bleibt die Möglichkeit sich die Arbeitslosen vorzuknöpfen als Drückeberger, die unflexibel
und unqualifiziert in der sozialen Hängematte schaukeln, bevorzugt in Florida. Und die Brücke
zwischen beiden nicht zu vergessen, die Agentur für Arbeit. In der Logik, herrscht Wohnungsnot,
sind die Makler schuld, werden die Arbeitsvermittler zum Schurken gekürt. Man sieht, es lässt sich
prächtig Rundherum-Schimpfen. Das wird wieder ein heißer Wahlkampf.
Dass wir keine Lösung haben, ist schlecht. Dass Millionen von Euro ausgegeben werden für die
möglichst perfekte Inszenierung von Scheinlösungen, ist schlechter. Am schlimmsten ist, dass wir
nicht daran arbeiten, die Ursache zu beheben. Am strikten Zusammenhang zwischen einer
eigenständigen Existenz und bezahlter Arbeit festzuhalten, vergrößert nur individuelles Leid,
verschärft soziale Krisen, schürt aussichtslose politische Konflikte. Wie es im Wintersturm auf dem
Watzmann schwer fällt, sich die blühende Pracht einer Bergwiese auszumalen, so mangelt es uns
heute an Vorstellungskraft, auf welche Weise Einkommen, soziale Anerkennung und
Selbstbestätigung jenseits von Erwerbsarbeit zu gewinnen sind. Womit wir beginnen sollten, ist klar:
Wir brauchen ein garantiertes Grundeinkommen.
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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 23.06.2005 um 15:44:05 Uhr
Erscheinungsdatum 24.06.2005
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