[Debatte-Grundeinkommen] Kritik am Netzwerk von jungle world

Wolfgang Strengmann strengmann at wiwi.uni-frankfurt.de
Fr Apr 29 08:12:18 CEST 2005


Anbei ein Artikel ueber das Netzwerk Grundeinkommen aus jungle world, die sich
selbst als "die linke wochenzeitung" bezeichnen.

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Jungle World 17 - 27. April 2005
URL: www.jungle-world.com/seiten/2005/17/5370.php
Hinterrücks zur Revolution
Ein Existenzgeld ist unter den gegebenen Verhältnissen nicht anders denkbar als
in Gestalt des Arbeitslosengeldes II. von felix baum

Als der Bundestag im Juli 2004 das Hartz-IV-Gesetz verabschiedete, fand sich im
Wissenschaftszentrum Berlin eine eigenartige Runde aus Sozialwissenschaftlern,
Katholiken und Erwerbslosenaktivisten ein und gründete das »Netzwerk
Grundeinkommen«. Worauf der deutsche Zweig des »Basic Income European Network«
mit seiner Forderung nach einem bedingungslosen und bedarfsdeckenden
Grundeinkommen hinaus will, ist nicht leicht auszumachen. Während einer der
Sprecher erklärt, einen »Beitrag zur Kritik der Arbeit« leisten zu wollen, ist
sein Amtskollege der Auffassung, dass »Unternehmen weitaus leistungs- und
wettbewerbsfähiger werden können, wenn ihre Angestellten und Arbeiter sich nicht
ständig mit der Angst vor einem abgrundtiefen sozialen Abstieg und vor
wirklicher Armut quälen müssen«.

Dass sich linke Arbeitslose mit verwirrten Propagandisten eines Projekts, das an
»Kraft durch Freude« erinnert, zusammenschließen, ist vermutlich Ausdruck
schierer Verzweiflung. Anders als erhofft, hat die Forderung nach Existenzgeld
noch nie irgendwelche Betroffenen hinter dem Ofen hervorgelockt, geschweige denn
so etwas wie eine Bewegung ausgelöst.

Inspiriert von der Diskussion über einen »gesellschaftlichen Lohn«, die in der
italienischen autonomen Bewegung um 1977 geführt wurde, griffen hierzulande in
den achtziger Jahren vor allem Erwerbsloseninitiativen die Forderung auf, Ende
der neunziger Jahre debattierten auch linksgewerkschaftliche Initiativen und die
Zerfallsprodukte der Autonomen darüber. Eine Konferenz im Jahr 1999 sollte mit
der Existenzgeldforderung unterschiedlichste Betroffenengruppen einigen und der
Linken einen neuen Zugang zur so genannten sozialen Frage eröffnen. Stattdessen
erwies sie sich jedoch ironischerweise als Ende der groß angelegten Kampagne.

Einer der Einwände gegen die Forderung nach Existenzgeld lautete damals, sie
spiele unwillentlich der Gegenseite in die Hände, da sie einer
entbürokratisierten Elendsverwaltung den Weg bahne. Auch auf besagter Konferenz
warf ein linker Betriebsaktivist die Frage auf, ob die »alte Existenzgeld-Losung
nicht schon längst von den Herrschenden zum reaktionären Grundsicherungsmodell
umgedreht« worden sei. Heute lässt sich diese Frage unschwer mit Ja beantworten.

Die Existenzgeldforderung wird meist mit einer angeblichen »Krise der
Arbeitsgesellschaft« begründet, die eine Entkoppelung von Arbeit und Einkommen
auf die Tagesordnung setze. Weil Vollbeschäftigung nicht mehr zu haben sei,
müsse der Staat die Versorgung seiner Bürger von der Erwerbstätigkeit ablösen
und ihnen das benötigte Geld einfach so zukommen lassen. Die Bürger könnten dann
in ihrer freien Zeit kreative und gemeinnützige Tätigkeiten verrichten, was
wiederum dem Staat zugute komme.

In Gestalt des Arbeitslosengeldes II (ALG II) wird das Existenzgeld in der
einzigen unter den gegebenen Verhältnissen denkbaren Weise eingeführt. Mit der
Hartz-IV-Reform tritt ein staatlich finanzierter Minimalbetrag, der gerade zum
Überleben reicht und insofern als Existenzgeld treffend beschrieben ist, an die
Stelle von Bezügen aus der Arbeitslosenversicherung, die an das
Beschäftigungsverhältnis gekoppelt ist.

Dass ALG II und die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in
dieser Hinsicht »in eine ähnliche Richtung laufen«, ist auch dem Netzwerk
Grundeinkommen nicht entgangen. So bemerkte eine Sprecherin, Leistungen seien
nach der Neuregelung »nicht an vorangegangene Beitragszahlungen und früheres
Einkommen gekoppelt, alle Leistungsbezieher haben unabhängig von ihrer
Erwerbsbiographie Zugang und werden im Prinzip gleich behandelt«.

Natürlich macht sich die direkte Abhängigkeit vom Staat, die in der
Existenzgeldforderung naiv als Zustand individueller Autonomie ausgemalt wurde,
als willkürliche Verfügung des Souveräns über seine Untertanen geltend.
Entsprechend findet die »gemeinnützige Tätigkeit« jenseits der Lohnarbeit unter
Androhung von Leistungskürzungen in Form von Ein-Euro-Jobs statt, wobei derzeit
mit nachträglichen Korrekturen an der Arbeitsmarktreform die Bildung eines
aufgeblähten öffentlichen Sektors verhindert werden soll (Jungle World, 8/05).
Die vermeintliche Krise der Arbeitsgesellschaft ist tatsächlich das Ende einer
mehrere Jahrzehnte währenden Ausnahmesituation annähernder Vollbeschäftigung in
den Metropolen. Normal in der Geschichte des Kapitalismus ist die Existenz einer
größeren industriellen Reservearmee, die die Verhandlungsmacht der Beschäftigten
in Grenzen hält. Entsprechend dient die Absenkung des Arbeitslosengeldes auf
Sozialhilfeniveau der Durchsetzung eines breiten Niedriglohnsektors.

Das alles hat selbstredend mit dem Existenzgeld, wie es sich seine linken
Befürworter vorstellen, nicht viel gemein. Konfrontiert mit der neuen
Grundsicherung, verdoppeln die Aktivisten daher ihre propagandistischen
Anstrengungen, ähnlich wie viele Linke auch schon den illusorischen Ruf der
Montagsdemonstranten nach Vollbeschäftigung nur mit der Schimäre eines kommoden
Daseins als rundum versorgte Staatsbürger zu kontern wussten. Eine schlüssige
Antwort auf die nahe liegende Frage, warum der Staat den Zwang zur Lohnarbeit
abschaffen und dergestalt mit der Mehrwertproduktion seine eigene Grundlage
aufheben sollte, sind sie bis heute schuldig geblieben.

Der Soziologe André Gorz formulierte das Plädoyer für eine »dualistische
Gesellschaft«, die einen weiter bestehenden Sektor der Lohnarbeit mit einem
staatlich finanzierten »Reich der Freiheit« verbinden sollte, immerhin
unmissverständlich als Alternative zum Sozialismus, und nicht umsonst trug sein
Buch den Titel: »Abschied vom Proletariat«. Die Wiener Zeitschrift Grundrisse
hingegen propagiert zurzeit das Grundeinkommen als Waffe im Klassenkampf:
»Sollte es das Grundeinkommen geben, so besitzt das Proletariat eben mehr als
nur seine Arbeitskraft, nämlich das gesellschaftlich durchgesetzte Recht auf
Grundeinkommen. (…) Höhere Löhne und Arbeit für alle kratzen nicht einmal an der
Oberfläche am Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft. Das Grundeinkommen hingegen
beseitigt die Lohnarbeit zwar nicht, aber sie relativiert sie, sie nimmt ihr den
Stachel.« Der Schönheitsfehler des Konzepts, dass ausgerechnet der Staat die
Proletarisierten aus ihrer Zwangslage befreien soll, kommt in der Schwärmerei
schon gar nicht mehr zu Bewusstsein.

Andere Anhänger des Existenzgeldes wiederum biegen gerade den illusorischen
Charakter der Forderung zu einem strategischen Vorteil um. Weil sie unter den
bestehenden Verhältnissen letztlich nicht erfüllbar sei, weise sie über den
Kapitalismus hinaus und sei daher, anders als linksradikale Kritiker
behaupteten, nicht reformistisch. Man verspricht ein Schlaraffenland auf dem
Boden der kapitalistischen Produktionsweise, an das man selbst nicht glaubt, und
bekennt somit offen, »die Leute«, denen man mit realistisch klingenden Formeln
näher kommen möchte, nicht für voll zu nehmen und gewissermaßen hinter ihrem
eigenen Rücken zur Revolution treiben zu wollen.


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