[Attac-Saar-PM] Attac Saar / PM 103: Lateinamerika-Tage: ""Havanna, die neue Kunst Ruinen zu bauen" vom 16. bis 19.12. um 20 Uhr im Kino 8 1/2

Presseteam Attac Saar presse at attac-saar.de
So Dez 16 18:07:55 CET 2007


[Attac Saar / Pressemitteilung Nr. 103 / 16. Dezember 2007]

Attac Saar / PM 103: Lateinamerika-Tage: "Havanna, die neue Kunst
Ruinen zu bauen"
vom 16. bis 19.12. um 20 Uhr im Kino 8 1/2

Im Rahmen der Lateinamerika-Tage 2007 präsentiert Attac Saar den Film:
"Havanna, die neue Kunst Ruinen zu bauen"
Ort: Kino achteinhalb, Nauwieserstr. 19, 66111 Saarbrücken
Termine: Sonntag 16.12.2007 - Mittwoch 19.12.2007 / 20:00 Uhr

Am Montag 17.12. findet im Anschluss an den Film (ca. 21:30 Uhr) eine
kontroverse Diskussion mit Kerstin Sack statt. Kerstin Sack ist
langjährige Cuba-Kennerin und hat bei Attac Deutschland die
Lateinamerika-AG gegründet. Die Teilnahme ist kostenlos für alle
Interessierten.

Veranstaltungen in Kooperation mit dem Netzwerk Entwicklungspolitik im
Saarland e.V. (NES), gefördert durch Mittel des BMZ (Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).

Inhalt: "Havanna, die neue Kunst Ruinen zu bauen"

Deutschland, Kuba, 2006/ Regie: Florian Borchmeyer/ B: Florian
Borchmeyer, Matthias Hentschler, K: Tanja Trentmann, Schn: Birgit
Mild, Mitwirkende: Antonio José Ponte, Totico Fernández, F, 85 Min,
OmU

Die kubanische Hauptstadt Havanna hat die größte zusammenhängende
Altstadt Lateinamerikas. Angeblich wollte der damalige Diktator
Batista die gesamte Altbau-Substanz am Malecon, dem Boulevard am
offenen Meer, abreißen und stattdessen Wolkenkratzer sowie moderne
Spielcasinos im Las Vegas-Stil errichten lassen; der Einmarsch der
Revolutionäre am 1. Januar 1959 hat das verhindert. Heute ist die
Altstadt in großen Teilen zerfallen, die abgerissenen Fassaden wirken
teilweise wie nach einem Krieg, die maroden, oft baufälligen Wohnungen
sind überfüllt. Für kubanische Filmemacher war Havannas Altstadt zum
einen die Vision des populären, authentischen Kubas, zum anderen
lebendige Projektionsfläche von Transformation und Stagnation des
karibischen Sozialismus, wie etwa in Fernando Perez faszinierendem, an
Ruttmanns „Berlin, Sinfonie einer Großstadt" angelehntem
Dokumentarfilm „Suite Havanna" (fd 36 781).

Florian Borchmeyer und Matthias Hentschler präsentieren in ihrem
Dokumentarfilm die Hauptstadt als Metapher für die Versteinerung und
den Zerfall der kubanischen Gesellschaft im 47. Jahr der Revolution,
ein Jahr vor Fidel Castros 80. Geburtstag.

Sie zeigen die Lebenssituationen höchst unterschiedlicher
Protagonisten in den brüchigen Labyrinthen der „Habana Vieja" und
lassen sie im Wechsel ihre Geschichte und besonders die Geschichte des
Ortes erzählen: Reinoldo, ein Obdachloser, hat sich in der Ruine des
einst luxuriösen Musiktheaters „Teatro Campoamor" eine Bleibe
geschaffen und lenkt sich in dem apokalyptischen Szenarium durch
asiatischen Kampfsport ab. Misleidy, eine junge Frau um die 30, hatte
vor Jahren durch die Ehe mit einem ausländischen Millionär scheinbar
das große Los gezogen; dann aber konnte sie den „goldenen Käfig" nicht
länger ertragen und kehrte dem Luxusleben den Rücken. Jetzt lebt sie
mit ihrem Jugendfreund Enrique im oberen Stockwerk des extrem
baufälligen ehemaligen Luxushotels „Regina" und verlässt es kaum noch.
Auch Niconor de Campo, ein nach der Revolution enteigneter
Großgrundbesitzer, hat sich am Rand der Stadt eine eigene
abgeschottete Welt geschaffen. Hier wohnt er im Palast seiner Familie,
einem einstigen Landsitz, und kämpft gegen den Verfall des
mittlerweile von Autobahnen, Stauseen und anderen Menetekeln der
modernen Zeit umgebenen Gebäudes. Mit den letzten Familienangehörigen
hat er sich eine vorrevolutionäre Idylle geschaffen, eine fast
skurrile Atmosphäre, wie sie auch der Vorstellungskraft des
Altmeisters des kubanischen Kinos, Tomás Gutierrez Alea, hätte
entstammen können. Der Klempner Totico ist im Zentrum der Stadt
aufgewachsen; den Zerfall der Mietskaserne ignoriert er und widmet
sich mit Leib und Seele der Taubenzucht, einer Leidenschaft, der
letztlich seine Ehe zum Opfer fiel. Seine Frau versucht ein neues
Leben in den sozialistischen Plattenbauvierteln am Rand der Stadt, und
hier zeigt der Film andere Ruinen in der Großstadt Havanna, die
Überreste des kurzen Traums der sozialistischen Moderne. Die fünfte
Hauptfigur schließlich verbindet die diversen Elemente des Films,
fungiert als Stadtführer und als postsozialistischer
Stadtbild-Erklärer: Der Schriftsteller José Antonio Ponte bezeichnet
sich beruflich als „Ruinologen" und zieht Parallelen zur Dekadenz des
19. Jahrhunderts, als die Kultur des Zerfalls so weit ging, selbst
Ruinen zu erbauen.
Er zeigt Havanna als eine Art neoromantisches Trümmerfeld, ähnlich den
antiken und maurischen Ruinen, die einst Mittelmeer-Reisende in
schwärmerische Begeisterung versetzten. Den zerfallenden Zustand der
Stadt sieht er aber auch als Metapher für den Zerfall Kubas generell,
in erster Linie des politischen Systems, aber auch der sozialen
Geflechte und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Als kubanischer
Kulturschaffender bleiben José Antonio Ponte kaum noch Perspektiven;
bereits lange bevor ihn der Film begleitet, wurde er aus dem
Schriftsteller-Verband ausgeschlossen, was einem Berufsverbot
gleichkommt. Dass „Havanna – Die neue Kunst Ruinen zu bauen" beim
Filmfestival in der kubanischen Hauptstadt aus der deutschen Reihe
genommen wurde, zeigt, dass der Film durchaus politische Relevanz hat,
womit er sich wohltuend von so vielen Postkarten-Filmen über die
bizarre, sichtbare Oberfläche Havannas unterscheidet. Er bietet eine
pointierte, subjektive Zustandsbeschreibung der Gegenwart des
kubanischen Sozialismus, wobei die Filmemacher auf Antworten
verzichten und stattdessen Fragen provozieren: Was wird aus den
Protagonisten werden, wenn nach einem gesellschaftlichen Wandel
Abrissbirnen und Bautrupps den Ruinen ein Ende setzen?

Wolfgang M. Hamdor


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