[atp-news] indischer Dokumentarfilm "Final Solution"

Petra Bursee (Adivasi-Tee-Projekt) petra.bursee at adivasi-tee-projekt.org
Die Jun 22 19:59:19 CEST 2004


Liebe Mitglieder und FreundInnen des ATP,

vor kurzem habe ich den indischen Dokumentarfilm "Final Solution" gesehen und war wirklich sehr beeindruckt.
Unten eine Inhaltsangabe zur eurer Kenntnisnahme - vielleicht habt ihr ja mal die Chance, ihn zu sehen, auszuleihen oder zu kaufen?

Liebe Grüße, Petra


"Final Solution", ein Film von Rakesh Sharma

Indien 2003, 218 Minuten, OF mit engl. Untertiteln

 

"Final Solution" ist eine vierteilige Dokumentation der Ausschreitungen gegen Muslime 2002 in Gujarat. Der Film wurde auf der Berlinale 2004 ausgezeichnet. 

Am 27. Februar 2002 ging im nordindischen Bundesstaat Gujarat ein Wagon eines Reisezuges mit Hindu-Pilgern in Flammen auf. 85 Männer, Frauen und Kinder fielen den Flammen zum Opfer. Zuvor hatte es einen Streit zwischen einigen Fahrgästen und muslimischen Händlern am Bahnsteig in Godhra gegeben, wo der Zug hielt. Laut Augenzeugen riefen die Pilger, welche von Ayodhya zurück kamen, wo sie gegen das Verbot zum Bau eines Rama-Tempels protestierten, Parolen und wurden daraufhin von den Muslimen mit Steinen beworfen. 

Obwohl die genaue Ursache des Feuers nicht aufgeklärt werden konnte (und eine externe Ursache eigentlich kaum in Frage kommt), diente der Vorfall als sofortiger Auslöser von Progromen gegen Muslime im ganz Gujarat. Über 2000 Menschen kamen ums Leben - darunter viele Frauen und Kinder. Es kam zu massenhaften Vergewaltigungen, v.a. Vergewaltigungen von jungen Mädchen wurden nicht immer angezeigt aus Angst, sie nicht mehr verheiraten zu können. 175.000 Flüchtlinge suchen Schutz in Flüchtlingscamps, die Gesamtzahl an Flüchtlingen ist noch deutlich höher. Dabei kam die hauptsächliche Hilfe von außen, auch von muslimischen Organisationen. Die Regierung von Gujarat hat wochenlang nichts getan. Im Gegenzug kam es zu Gewalt gegen Hindus und Angriffe auf Tempel. 

Teil 1 des Films "Pride and Genocide" befasst sich mit dem Blutbad vom Frühjahr 2002 und den Folgen. Während sich durch Augenzeugenberichte und Kameraaufnahmen der Zerstörungen das Ausmaß der Gewalt aufzeigt, leugnen Politiker der rechten Hindu-Partei VHP in Gujarat das Blutbad und tun die sexuelle Gewalt gegen muslimische Frauen als unwesentlich ab. Im Teil 2 "The Terror Trail" beschreibt Sultana ihren Leidensweg. Teil 3 "The Hate Mandate" analysiert die Ausbreitung des Faschismus unter den Hindus in Gujarat. Rakesh Sharma begleitet Politiker der VHP auf ihrem Propaganda-Feldzug durch Gujarat und zeichnet ihre Hassreden gegen Muslime auf. Mit dem Zugunglück wird Wahlkampf betrieben, kein Wort von der Gewalt gegen Muslime. Teil 4 "Hope and Despair" lässt die muslimischen Opfer sprechen und zeichnet die Situation Monate nach den Ausschreitungen auf. Noch immer ist die Situation angespannt. An der Grenze zwischen muslimischem und hinduistischem Viertel in Ahmedabad kann der Konflikt jederzeit wieder ausbrechen. 

Der Film ist sehr erschütternd und zeigt die Gewalt schonungslos mit immer neuen Berichten in ihrem ganzen Ausmaß. Ganze Straßen wurden angezündet, Menschen verbrannten bei lebendigem Leib und wurden verstümmelt. Von manchen Familien überlebten nur wenige Mitglieder, ihre gesamte Habe ist verloren, viele kehren in ihre Dörfer nicht zurück. Die Polizei greift nicht ein, sondern kommt entweder nicht oder sieht zu. Opfer berichten, dass Polizisten den Mob regelrecht angeführt hätten. Rechte Hindu-Politiker instrumentalisieren das Zugunglück für ihren Wahlkampf für die Wahlen Ende 2002 in Gujarat. Es sei keine Wahl zwischen Kongress- und BJP-Partei, sondern zwischen Hindus und Muslimen (eine Bezugnahme auf die Communities ist laut indischen Wahlrecht verboten). Endlich, nach 50 Jahren, würden die "friedlichen" Hindus zurückschlagen, da sie provoziert worden wären und so lange still gehalten hätten. Der Feind Pakistan wird erneut aufgebaut, die Muslime hätten in Indien nichts zu suchen und Pakistan würde in lauter Stücke geschlagen werden. Die Mechanismen der Instrumentalisierung und Politisierung von Gewalt sind sehr anschaulich im Film und der Film gibt Einblicke, über die es sich lohnt, nachzudenken. 

 

-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: http://ilpostino.jpberlin.de/pipermail/atp-news/attachments/20040622/266547d2/attachment.html