[Gen-Info] Indien: Kollaps der "Grünen Revolution"
Klaus Schramm
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Mo Aug 2 01:16:29 CEST 2004
Hallo Leute!
Hier ein Artikel von Devinder Sharma aus dem Deccan Herald. Übersetzt
von Christian Semmler.
Ciao
Klaus Schramm
klaus.schramm at bund.net
31.07.2004
Selbstmorde
auf dem Bauernhof
Der Kollaps der "Grünen Revolution"
Die schädliche Kombination von chemischen Einträgen
mit wassergierigen Nutzpflanzen hat zu Verwüstungen
in der indischen Landwirtschaft geführt
Auch dies schockt in Indien kaum noch. Berichte, nach
denen 65 der 243 Bauern, die in der Region Vidharbha im
Bundesstaat Maharashtras Selbstmord begingen, dies
taten, weil sie geringfügige Schulden in Höhe von 8.000
Rupien hatten, konnten das Gewissen der sogenannten
Größten Demokratie der Welt nicht wachrütteln. Daß
Meena Prakash Rechpade, die Witwe des mit 36 Jahren
gestorbenen Bauern Prakash aus dem Dorf Dhanori bei
Wardha im Bundesstaat Maharashtra, kein Geld hat, um
das Abschiedsritual für ihren Ehemanns zu bezahlen,
der den tödlichen Ausweg wählte, um dem Elend der
"Grünen Revolution" zu entgehen, fordert eine starke
Reaktion heraus.
Im Bundesstaat Andhra Pradesh, nachdem Y. S.
Rajasekhar Reddy vor rund drei Monaten neuer
Ministerpräsident wurde, nahmen sich am 14. Mai mehr
als 400 Bauern das Leben. Die war die offizielle
Todesrate, die im Selbstmordregister bis einschließlich
15. Juli verzeichnet ist. Im Bundesstaat Karnataka hat der
neue Ministerpräsident Dharam Singh keine Zeit für
Bauern, die sich in Bedrängnis befinden. Er ist zu sehr
mit dem Ausbalancieren des Gleichgewichts seiner
Koalitionpolitik beschäftigt. Mehr als 300 Bauern nahmen
sich das Leben in einem Bundesstaat, der für sich in
Anspruch nimmt, auf dem besten Weg zu sein, die
Konvergenz von Informationstechnologie und
Biotechnologie zu realisieren. Der traurige Teil dieser
Geschichte ist, daß die Mehrheit derer, die in den Tod
gingen, verhältnismäßig jung war - weniger als 45 Jahre.
Im westlichen Teil des Bundesstaates Uttar Pradesh
nahmen sich allein im Juli mehr als 14 Bauern das Leben.
In den Bundesstaaten der sogenannten Agrarfront, im
Punjab und in Haryana, ist die Situation nicht besser.
Ministerpräsident Amarinder Singh hat selbst (bevor er
gewählt wurde) eine Rekordzahl genannt als er sagte,
nahezu 2.000 Bauern hätten in den letzten Jahren
Selbstmord begangen.
Während sie die Dimension erahnen, die jenes von ihnen
verordnete Blutbad auf den Bauernhöfen inzwischen
erreicht hat, kommt bereits Unterstützung aus der Ecke,
aus der sie zu erwarten ist, aus dem Bereich der
Biotech-Industrie. Der US gesteuerte Internationale
Aquisitionsdienst für agrar-biotechnische Anwendungen
(ISAAA), der unermüdlich für genmanipuliertes Getreide
und den Technologie- "Transfer" wirbt und der über
Multi-Millionen-Fonds von Bayer, Cargill, Dow, Monsanto,
Novartis, Pioneer und Syngenta verfügt und zu allem
Überfluß von Stiftungen und den
Finanzierungsagenturen westlicher Regierungen
unterstützt wird, kollaboriert aufs geschäftigste mit der
Föderation der Indischen Handels- und
Industrie-Kammern (FICCI) und der Vereinigung der
Indischen Industrie (CII), die besessen sind von der
Vision eines Indien als einem einzigen großen
Gentechnik-Valley.
Technologische Nebenwirkungen
All dies geschieht zu einer Zeit, in der Technologien, die
hochgradig auf der Chemie basieren, bereits die Böden
verseucht haben und ultimativ zu Landstrichen
beitragen, die um Atem ringen und wo wassergierige
Nutzpflanzen wie Hybridsorten und Bt-Baumwolle das
Grundwasser heraussaugen, und bei gleichzeitigem
Unvermögen des Marktes, die Bauern vor dem Kollaps
der landwirtschaftichen Systems zu bewahren. Die
Tragödie ist, daß die menschlichen Kosten
ausschließlich von den Bauern getragen werden.
In all diesen Jahren sind die trockenen Landstriche
Indiens, die fast 75 Prozent der gesamten kultivierbaren
Fläche umfassen, in zunehmendem Maße vom Spektrum
der hybriden Nutzpflanzen in Beschlag genommen
worden. Während die Ernteeerträge der hybriden Sorten
unbestreitbar hoch waren, wurde die Schlagseite dieser
Sorten - es handelt sich um äußerst wassergierige - sehr
bequem ignoriert. Um des Vergleiches willen lassen Sie
uns Reis als Beispiel betrachten. Im Punjab und in
Haryana kultivieren die Bauern ertragreiche Reissorten.
Diese Sorten beanspruchen ungefähr 3000 Liter Wasser,
um ein Kilo Reis-Körner zu produzieren. Anstatt nun
Sorten einzuführen, die weniger Wasser in den
trockenen Landstrichen mit ihren wasserdefizitären
Gebieten beanspruchen, wurde hybride Reissorten
propagiert mit einem Wasserbedarf, der 5000 Liter pro
Kilo Ertrag übersteigt.
Nicht nur Reis-Hybride, alle Hybrid-Sorten, ob Sorghum,
Mais, Baumwolle, Bajra oder Gemüse, wurden in den
trockenen Landstrichen propagiert. Zusätzlich haben
Agrar-Wissenschaftler die Bauern damit irregeführt,
indem sie sagten, die trockenen Landstriche seien
hungrig nach chemischen Düngemitteln. Die schädliche
Kombination von chemischen Eingängen mit
wassergierigen Nutzpflanzen hat zur Verwüstung der
trockenen Landstriche geführt, indem sie die Felder nicht
nur weiterhin unproduktiv, sondern nunmehr
unfruchtbar hinterläßt. Das Grundwasserlevel sank ab,
die Auswirkungen des unzulänglichen Niederschlags
wurden verstärkt und zwangen die Bauern zur Aufgabe
der Landwirtschaft und zum Abwandern. Und als ob
dieses nicht genug war, wurde die Bt-Baumwolle, die
mehr Wasser als hybride Baumwoll-Sorten erfordert,
bewußt propagiert, um so der Saatgut-Industrie zu
erlauben, Profite zu machen. Welche Folgen die Bauern
infolgedessen zu Tragen hatte, interessiert niemanden.
Und hat niemanden je interessiert.
Düngemittel und Pestizide wurden auf aggressive Weise
propagiert und zugleich mit sehr großen Beihilfen, die als
Almosen verteilt wurden, die Düngemittelfirmen flott
gehalten, ohne die resultierende Verwüstung zu
realisieren, die diese chemischen Eingänge auf die
Nachhaltigkeit der Landwirtschaft haben. In keinem
Stadium der Entwicklung verlangten die Wissenschaftler
eine Korrektur, um das Ungleichgewicht zu reduzieren,
das durch übermäßige Anwendung der Chemikalien
verursacht wurde.
Eine zweite "Grüne Revolution"?
Anstatt aus dem Debakel der "Grünen Revolution" zu
lernen, wurden dieselbe Brut von Wissenschaftlern und
politischen Entscheidungsträgern gebeten, eine Lösung
der vorliegenden landwirtschaftlichen Krise zu liefern.
Kein Wunder, eine zweite "Grünen Revolution", die auf
Agrarwirtschaft und Biotechnologie herumreitet, wurde
zum neuen Mantra, mit dem die bäuerliche Gemeinschaft
aus der rasenden Krise der Bauernhöfe herausgeführt
werden soll. Merkwürdiger Weise ist Indien bereits in die
zweite Phase der "Grünen Revolution" hinein
gesprungen, ohne zuerst einmal eine Bilanz der ersten
Phase der technologischen Ära gezogen zu haben. Eine
solcher Ansatz wird die Krise nur verschlimmern und
noch mehr Bauer in den Selbstmord treiben oder sie
dazu zwingen, ihre Bauernhöfe zu verlassen. Und in der
Folge wird Indien Zeuge der schlimmsten
Umweltzerstörung, die die Welt je gesehen hat und diese
wird sich auf dem Gebiet der Landwirtschaft abspielen.
Devinder Sharma
(Übersetzung: Christian Semmler)
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